Wirtschaftsphilosophie. Thomas Sören Hoffmann
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1.1.3 Platon und Aristoteles stehen beispielhaft für eine philosophische Denklinie, in der es aus ganz verschiedenen Perspektiven um eine prägnante, tiefenscharfe Erfassung der ökonomischen Sphäre ging. In bestimmtem Sinne hat in dieser Linie die Philosophie auch die Ökonomie allererst aus sich herausgesetzt – ähnlich, wie es in den Relationen Naturphilosophie → Naturwissenschaften, politische Philosophie → politische Wissenschaften (und anderen Fällen) gilt. Die Ökonomie hat dabei der Philosophie nicht nur Leitgesichtspunkte ihrer Fragestellungen und kategoriale Mittel entnommen. Sie verdankt ihr z. B. auch jenen »regulativen Optimismus«, dessen es in jedem Fall bedarf, wenn man ein scheinbar so opakes, ja irrationalitätsanfälliges Phänomen wie »den Markt«, einen so komplexen »Apparat« wie den der Bewirtschaftung einer entwickelten Industriegesellschaft rational zu erschließen versucht. Man wird – auch historisch – die These vertreten können, daß die moderne Ökonomie in ihrem letzten Antrieb vielleicht mehr am neuzeitlichen Rationalismus und etwa an dem großen Prinzip des »zureichenden Grundes« bei Leibniz partizipiert als der »Geist des Kapitalismus« es nach einer bekannten These des großen Soziologen Max Weber an calvinistischen Glaubenssätzen tut6. Die moderne Ökonomie ist ohne die Entdeckerfreude einer »beobachtenden Vernunft« (Hegel), die sich selbst überall in der Empirie am Werke findet, nicht zu denken, und gerade die großen scheinbaren Paradoxien, die den ökonomischen Theoremen der Konvertibilität von Eigen- und Gemeinnutz oder der vernünftigen Lenkung des Marktgeschehens durch eine unmittelbar »unsichtbare Hand« zugrunde liegen, setzen dieses Vertrauen der Vernunft in sich selbst, in ihr allgegenwärtiges Wirken voraus. Genau an diesem Punkt ist dann das Interesse der Philosophie an den Theoriebildungen der Ökonomie erwacht – von Fichte und Hegel an auf dem Kontinent, bei Bentham und Mill auf den britischen Inseln. »Wirtschaftsphilosophie«, die jetzt explizit Philosophie der ökonomischen Lebenswelt und des ökonomischen Denkens ist, etabliert sich zuletzt im Zeichen eines konkret zu buchstabierenden Rationalitätsversprechens, das die Philosophie seit Descartes als sich als solche begreifende Vernunftwissenschaft abgegeben hat. Daß dies mit einer Apologetik in bezug auf die jeweils realen Verhältnisse nichts zu tun hat, liegt immer dann auf der Hand, wenn man sich der Tatsache bewußt ist, daß die Gewißheit der Möglichkeit einer rationalen Dechiffrierung der menschlichen Lebenswelt die unabdingbare Prämisse ihrer rationalen Veränderung ist – bei aller konkreten Problematik ist gerade dies schon die Botschaft der Wirtschaftsphilosophie Fichtes, und auch bei Hegels (normativer) Fixierung der Insuffizienzen der bürgerlichen Gesellschaft liegen die Dinge nicht anders. »Wirtschaftsphilosophie« wird sich so auch auf den folgenden Seiten nicht einfach als passives Nach-Denken ökonomischer Realitäten verstehen. Aber sie wird bei dem Bewußtsein ansetzen, daß das Wirtschaftsgeschehen wie auch die ökonomische Theoriebildung nicht einfach der Vernunft verschlossen, sondern ihr durchaus zugänglich sind. Philosophie muß den Realitätskontakt nicht scheuen – auch Platon hatte, als er den philosophischen Lebensweg nicht »den Markt« kreuzen ließ, nicht die Weltflucht als Programm im Auge, sondern den Hinweis, daß die einfache Unmittelbarkeit der Involviertheit in Welt jedenfalls noch keine hinreichende Bedingung der Erkenntnis von Welt ist. Wir erinnern uns, daß nach Platons berühmtem Gleichnis der Philosoph, der die Höhle verlassen und zur Erkenntnis des wahrhaft Guten und der Wahrheit gelangt ist, doch auch wieder in die Höhle zurückkehren soll und wird, um dort »praktisch-aufklärerisch« zu wirken7. Auch, wenn Wirtschaftsphilosophie heute gut daran tut, nicht mit dem Anspruch aufzutreten, platonische »Philosophenkönige« auszubilden, die die Dinge schon richten werden, tut sie doch ebenfalls gut daran, sich mit dem guten Gewissen der Vernunftwissenschaft auszustatten, deren Stimme im Kontext der Erkenntnisbemühungen um unsere wirkliche Lebenswelt niemals die unerheblichste ist.
1.2 Wirtschaft philosophisch lenken? Der praktische Aspekt
1.2.1 Wirtschaftsphilosophie ist von ihren Anfängen, die wir gerade berührt haben, bis zu ihrer Etablierung als »anerkannter« Teildisziplin der Philosophie im 20. Jahrhundert nicht zuletzt immer auch Wirtschaftsethik gewesen. Das verwundert nicht, meint »Wirtschaft« doch immer ein System menschlicher Zwecksetzungen, unmittelbarer Tätigkeit und überlegter Handlungen, das eo ipso normative Fragestellungen provoziert, mindestens aber die Abklärung des Verhältnisses zu den übrigen menschlichen Handlungssphären verlangt. Naheliegenderweise entstehen hier freilich Rückfragen: müssen sich die Philosophen denn in alles und jedes mischen – und das gar mit dem Anspruch des überlegenen Wissens? Ist es nicht illusorisch, eine historisch mit gutem Grund erfolgte Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene Systeme, darunter in das der Wirtschaft, durch eine philosophische »Synthese« quasi rückgängig machen zu wollen? Und führt dergleichen, wie Poppers bekannte Kritik an Platon gezeigt hat, nicht notwendig in den Totalitarismus – wie es denn kein Zufall ist, daß gerade dann, wenn – von Platon über Fichte bis Marx – Philosophen sich des Themas »Wirtschaft« angenommen haben, die großen totalitären Versuchungen entstanden sind?
1.2.2 Wirtschaftsphilosophie tut sicher gut daran, Bedenken dieser Art durchaus ernst zu nehmen, auch wenn sie sogleich darauf hinweisen wird, daß sie in aller Regel eben keinerlei »imperialen«, sondern zunächst einmal Verstehensansprüche gegenüber der Welt des Wirtschaftens und der korrelativen Theoriebildung erhebt. Das gilt auch in praktischer Hinsicht, in der es philosophisch darum geht, die Motivationen wirtschaftlichen Handelns ebenso zu verstehen wie die maßgeblichen Zielbestimmungen, die konkrete Verfaßtheit der ökonomisch-praktischen Rationalität ebenso wie deren geschichtliche, kulturelle und transkulturelle Dimensionen. Der Tätigkeitsbereich »Wirtschaft« stellt sich dabei übrigens als eine Handlungssphäre von durchaus besonderem philosophischen Interesse dar: geht es hier doch um eine komplexe »Kulturtätigkeit«, eine Tätigkeit also, in der der Mensch sich generell von der Natur, diese für seine Zwecke nutzend, abstößt, um zur Konstitution von Lebenswelten zu gelangen, die sich in relativer Stabilität – als »zweite Natur« – selbst zu erhalten und der Boden der Realisierung auch von höheren Freiheitszwecken (wir denken etwa an Recht, Kunst und Wissenschaft) zu sein vermögen. Philosophisch interessant ist dabei zum Beispiel das Phänomen, das sich zeigt, wenn wir die Frage nach dem wirtschaftlichen Akteur stellen: denn dieser ist nur partiell ein einzelnes Subjekt, nicht einfach ein »atomes« Individuum, sondern immer schon das in Relationen auf andere Individuen und Institutionen verstrickte Individuum. Wirtschaft ist niemals nur subjektive, sondern immer auch kollektive, ja, besser noch: immer auch »objektive«, von keinem »Ich« organisierte Unternehmung, weshalb denn auch gerade an das Wirtschaftssystem die Fragen nach »Entfremdung« und der »Verdinglichung« des Menschen gerichtet werden können. Für die philosophische Ethik heißt dies etwa, daß man mit einem rein tugend- oder auch pflichtethischen Ansatz, mit einem Appell nur an die Sittlichkeit und Moralität des einzelnen, die eigentlich brennenden Probleme der Wirtschaftsethik kaum wird lösen können. Das komplexe Verhältnis von Markt und Moral insgesamt oder etwa das Problem der Setzung des »richtigen« ordnungspolitischen Rahmens sind schlicht auf der individualethischen Ebene nicht zu lösen, und die Fragen, die uns etwa die Globalisierung stellt, sind durch den Verweis auf Kants kategorischen Imperativ nicht nur nicht schon beantwortet, sie sind so noch gar nicht ernst genommen. Das heißt freilich nicht, daß Ethik im Falle der Wirtschaft überhaupt ihre Ansprüche an den Kalkül abzutreten hätte, wie es der Utilitarismus will. So sehr das utilitäre Denken im Rahmen des Wirtschaftssystems auch am Platze ist, wird ein Standpunkt, der die Frage nach den letzten regulierenden Zielen des Wirtschaftens durch eine Theorie der ökonomischen Mittel ersetzt, immer darauf hinauslaufen, daß »Marktförmigkeit« als oberster Wert erscheint und deshalb der Markt auch nicht mehr dem Menschen, sondern dieser, auch als Kalkulierender, nur noch dem Markt als absoluter »Vermittlung« dient. Dagegen wird die primäre Aufgabe der Wirtschaftsethik immer die sein, das Bewußtsein dafür zu schärfen, daß das ökonomische System, so sehr es in seiner Existenz einem objektiven Bedürfnis entspricht, nicht schon das »absolute« System des menschlichen Handelns auf Welt, auch nicht das eine System der menschlichen Bedürfnisse ist. Dieses System findet seine Grenze nicht zuletzt an der (rationalen) Idee des Rechts wie überhaupt an allen Sphären »transökonomischen« Handelns, die auf der individuellen, der sozialen und zuletzt auf der Ebene von Kunst, Religion und Wissenschaft elementare Weisen der Selbstvergewisserung wenn auch nicht des »homo oeconomicus«, so doch des »vernunftbegabten Lebewesens« als eines Wesens sind, dem es auch mit seinem