Om mani padme hum. Wilhelm Filchner

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Om mani padme hum - Wilhelm Filchner


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vorgreifen und von seinem plötzlichen Tod berichten. Pater Veldman erzählte mir bei seinem vorübergehenden Aufenthalt in Europa, wie sich das Attentat auf den Generalgouverneur, den »Dudewin«, abgespielt haben soll. Gelegentlich eines Diners, das ihm zu Ehren gegeben wurde, fand er den Tod. Auch die katholischen Missionare waren geladen, durch amtliche Pflichten aber am Erscheinen verhindert. Unter den Ministern hatte sich eine Verschwörung gebildet mit dem Ziel, den Generalgouverneur bei erster Gelegenheit zu beseitigen. Im Komplott soll auch mein Freund, der Fan Dao-tai, gewesen sein. Das Bankett war in vollem Gange. Die Dienerschaft hielt unter ihren Servietten geladene Revolver. Dem misstrauischen Generalgouverneur fiel die eigentümliche Haltung der Diener auf, und er entdeckte tatsächlich das Attentat vorzeitig. Sofort stand er auf und wollte hinaus, um seinen Mantel zu holen. Aber in demselben Augenblick knallten auch schon die Schüsse. Er stürzte blutüberströmt zu Boden. Der tapfere Chef seiner Leibgarde, der sich zwischen die Schützen und seinen Herrn gestellt hatte, fing die letzten Geschosse auf. Der Dudewin starb. Peking hatte nach Eintreffen der Nachricht den Fan Dao-tai sofort zum Nachfolger des toten Generalgouverneurs ernannt. Als sich Fan Dao-tai nun zum Jamen begab, um die Amtssiegel an sich zu nehmen, wurde er vom Sekretär des getöteten Generalgouverneurs gefangengesetzt. Das gleiche Schicksal fand seine Tochter. Der Sekretär riss die Herrschaft an sich, ließ zunächst sämtliche Beamten und Diener Fan Dao-tais hinrichten und endlich vor den Augen des Vaters auch dessen Tochter töten. Beide wurden zum »Ling-schi« verurteilt, d. h. sie wurden bei lebendigem Leib in 10 000 Stücke zerschnitten. Nur ein Beamter Fan Dao-tais blieb am Leben: Joseph, der Geheimpolizist, ein Katholik.

      Mit eigentümlich gemischten Gefühlen muss ich an meinen Aufenthalt in Tihwa zurückdenken. Ich lernte ihn sehr gut kennen, diesen »Dudewin«, in angenehmer und auch in anderer Weise. Er war unbedingt eine höchst interessante Persönlichkeit, wie sie allerdings in solch mittelalterlichem Typus heute wohl nur noch im »Reich der Mitte« denkbar ist.

      Inmitten eines herrlichen Parks mit hohen uralten Bäumen lag seine prächtige Sommervilla am schattigen Ufer des Flusses. Reich gefüllte Ställe, Dienerwohnungen, Garten, Lustboot: Nichts fehlte, was zum Besitz eines großen Herrn gehört. Schon bei Lebzeiten hatte er für ein ansehnliches Denkmal gesorgt. Die »dankbare« Kaufmannschaft der Provinz Sinkiang hatte es ihm errichtet, »in der Furcht des Herrn«.

      Von Peking aus hatte man ihn mehr als einmal abgesetzt. Aber er pfiff auf die Dekrete der »Zentralregierung«. Er hatte die Macht und hielt sie fest!

      Man sagte ihm, ich weiß nicht mit welchem Recht, Aussaugen der Bevölkerung und willkürliche Justiz gegen die Mohammedaner nach.

      Mir wurde bald nach meiner Ankunft mitgeteilt, dass auch ich demnächst der Gast dieses Vizekönigs sein solle. Man kann sich vorstellen, mit welchen Empfindungen ich das vernahm.

      Um dieselbe Zeit erzählte man mir auch noch eine andere schöne Bankettgeschichte von demselben hohen Gastgeber. Er hatte, ein paar Jahre zuvor, sieben Personen, die ihm unbequem wurden, zum festlichen Mahl geladen. Bei Tisch stand hinter jedem dieser Gäste ein Soldat mit gezücktem Schwert. Auf ein Zeichen ihres Herrn schlugen die Soldaten – so versicherte man mir – den ahnungslosen Gästen die Köpfe ab!

      Ich blieb immerhin gefasst. Ich sah keinen rechten Grund, weshalb der Vizekönig bei mir dasselbe radikale Verfahren hätte anwenden sollen. Ich hoffte sogar, ganz leidlich mit ihm auszukommen.

      Es wurde behauptet, dass der russische Generalkonsul zuweilen seinen Einfluss geltend mache. Dies war umso leichter, als ein namhafter Teil der in Tihwa ansässigen Mohammedaner damals mit Russland sympathisierte. Waren doch schon vor drei Jahren die Kirgisen und gesinnungsverwandte Stämme im Gebiet Sinkiangs, von den Russen aufgewiegelt, bereit gewesen, sich gegen die chinesische Herrschaft aufzulehnen. In letzter Stunde wurden die chinesischen Behörden von der Putschabsicht informiert und von diesen Gegenmaßnahmen getroffen.

      Gerade in der Gegend Kaschgar gärte es ununterbrochen. Der Generalgouverneur hatte deshalb zur Vorsicht über sein Reich den Belagerungszustand verhängt.

      Die Untersuchung meines Gepäcks war inzwischen im Auftrag des Generalgouverneurs und auf Befehl des Dao-tai, der zugleich Chef des Fremdenamtes und erster Berater des Generalgouverneurs war, von dem Englisch und Russisch sprechenden Mitglied der geheimen politischen Polizei, »Joseph«, vorgenommen worden.

      Da Joseph den Zweck meiner Instrumente kannte, wurden sie für unbedenklich erklärt. Joseph war ein Kollege Burkhan Effendis, eines Tataren, der beim Generalgouverneur die Stellung eines Privatsekretärs bekleidete. Der Chauffeur des Gewaltigen war übrigens ein Deutscher namens Schmidt. Er musste seinen Herrn und dessen Sohn fast täglich in der Umgebung der Stadt spazieren fahren.

      Beim Dao-tai Fan wurde ich sehr liebenswürdig aufgenommen. Seine Wohnung ist ganz europäisch eingerichtet; saubere, hohe Zimmer. Fan, ein schmächtiger Mann mit klugen listigen Augen, spärlichem, schwarzem Haar, Glatze und borstigem Schnurrbart, behandelte mich sehr verbindlich; er gilt als gewandter Diplomat, der zwölf Jahre in Japan gelebt und dort Jurisprudenz studiert hat. Wir waren bald gute Freunde. Fan half mir in Tihwa manche Schwierigkeit zu überwinden. Er förderte bereitwillig meine umfangreichen Messungen in der Nähe der Stadt.

      In Tihwa haben die Engländer übrigens eine sehr starke Sendestation mit drei hohen Stahlmasten und einem geräumigen Senderaum erbaut. Dieses Institut steht mit der Schwesterstation in Kaschgar in ständiger Verbindung und kann unter anderem auch täglich von der indischen Festung Peschauer Zeitsignale in Empfang nehmen. Aber auch mit Peking ist der Verkehr recht lebhaft.

      Mein neuer Freund Fan brachte mich zum Generalgouverneur, einem stattlichen Chinesen mit sehr großem, klugem und breitem Gesicht, weißem Haar, Schnurrbart und Spitzbart. Seine durchdringenden Augen verrieten jedoch nichts von seiner Energie. Seine Bewegungen waren gemessen und mit Würde gepaart. Er sprach langsam, das Wichtige deutlich hervorhebend. Er konnte aber auch sehr temperamentvoll werden, ein glänzender Redner und weltgewandter Wirt. Wir saßen zwei Stunden beieinander, sprachen über mein Reisegepäck, meine Messpläne, den Bolschewismus, über Fabriken und die Arbeiterfrage, den deutschen Reichspräsidenten, die Judenfrage, die Christenfrage, die Mohammedaner. Die Bolschewiken verglich er mit einem widerspenstigen, sich bäumenden Pferd, dessen Kraftüberschuss durch Trense und Kandare gebändigt werden müsse. Religion und Politik behandelte der Gouverneur in einem Atem. Es erschien ihm ganz unverständlich, dass die Christen – Katholiken und Protestanten – wegen religiöser Meinungsverschiedenheiten einander befehden.

      Meine nächsten Besuche gelten dem italienischen Postmeister Cavalieri und Herrn Feldmann, dem Direktor der Russisch-Asiatischen Bank. Direktor Feldmann hatte Besuch aus Kaschgar. Es handelte sich um die Familie Roerich, Vater, Mutter und Sohn. Sie wollten ursprünglich nach Kansu weiterreisen. Der Generalgouverneur verweigerte ihnen jedoch den Pass. Sie sollten nun nach Tschugutschak in der Sowjetunion abgeschoben werden. Roerich, ein bedeutender Bildhauer, war russischer Staatsangehöriger, wanderte mit seiner Familie dann aber nach Amerika aus und lebte zuletzt in Paris. Er erzählte uns, dass ihm die Vereinigten Staaten eine Million Dollar zu einer Kunstreise in Asien angewiesen hätten.

      Tags darauf besuche ich den Generalkonsul der Sowjetunion. Er steht im besten Mannesalter und kommt aus alter Schule. Dieser allgemein beliebte und angesehene Mann erbot sich, meine astronomisch-magnetischen Messungen mit Kurier über Moskau nach dem Zentralobservatorium Leningrad zu senden. Leider sind auf diesem Weg die Messungen von zwölf Stationen verlorengegangen. Es darf im Interesse der Wissenschaft erwartet werden, dass alles geschieht, um das Fehlende wieder herbeizuschaffen.

      Auch den beiden ansässigen Ärzten, Pedaschenko und Dr. Eichtmeyer, die als russische Emigranten hier leben, stellte ich mich vor. Sie dürfen als die »Elite« der Emigranten bezeichnet


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