Om mani padme hum. Wilhelm Filchner

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Om mani padme hum - Wilhelm Filchner


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Er sieht in ihnen arbeitsscheue und lästige Bittsteller, die er sich gern vom Halse hält und denen er alles zu bieten wagt. Damit ist aber zugleich seine einstige Achtung vor den Vertretern der westeuropäischen Kultur gesunken. In seiner Verallgemeinerung macht er nun überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen »Europäern« und »Emigranten«. Alle Weißen wirft er in einen Topf. Natürlich leidet jeder Fremde unter dieser Einstellung, in erster Linie aber der europäische Forscher, auf den die Missachtung übertragen wird.

      Der Generalgouverneur lässt mich um Darlegung meines Expeditionsprogramms bitten, das ich ihm sogleich übersende.

      Die Luft am Hof des gestrengen Herrn wird sehr dick. Ein verdächtiges Mitglied der Emigrantenschar, der Lehrer des Gouverneurssohnes, intrigiert heimlich gegen mich. Sein Hass ist nicht persönlich. Er steht bei der katholischen Mission in üblem Ruf. Da ich nun von dieser Seite alle nur denkbare Förderung erfahre, sucht er mich zu verdächtigen und meine Kreise zu stören. Seine Einflüsterungen fallen auf guten Boden; denn bald erfahre ich, dass man mich als »lästigen Ausländer« nach Sowjetrussland abschieben will. Diesen Schlag pariere ich sofort und bleibe schließlich Sieger.

      Am 13. Mai bin ich Gast im Palast des Generalgouverneurs. Der Empfang ist formvollendet. Der Posten tritt ins Gewehr. Man gibt mir den Ehrenplatz an der Tafel. Das Diner ist ausgezeichnet. Der Schampus fließt in Strömen. Auch hier im Herzen Asiens versteht man zu leben. Trotz alles äußeren Gepränges bleibt die Haltung des Gastgebers mir gegenüber kühl und gemessen. Das macht keinen tieferen Eindruck auf mich. Ich kenne die Söhne des Reiches der Mitte zu genau. Im Verkehr mit ihnen muss man die Zeit arbeiten lassen. Das asiatische »Schnell, aber langsam!« habe ich nun zur Genüge erprobt. Je mehr Misstrauen mir entgegenweht, umso liebenswürdiger, höflicher und – harmloser gebe ich mich.

      Am Tag nach dem Fest führe ich in der Nähe der Telefunkenstation meine Messungen aus. Ein kleines Intermezzo: Die Pferde eines offenen Personenwagens scheuen. Der Wagen kippt um. Ein älterer Chinese und ein achtjähriges Mädchen kommen zu Fall. Die Kleine verwundet sich bei dem Sturz am Fuß. Mit Pater Veldman zusammen bringen wir sie zur katholischen Mission, und dort verbinde ich sie. Nun stellt sich heraus, dass die Kleine eine Nichte des Generalgouverneurs ist. Ihr Vater, der bei dem Unfall heil davonkam, ist dessen Bruder und der Leiter der fünf Kilometer entfernten Munitionsfabrik, die vor langen Jahren von Deutschen eingerichtet worden ist. Das Mädchen besuchte mich nun fast täglich. Dieser Zwischenfall brachte mir insofern einen wesentlichen Vorteil, als sich die ganze Familie der Kleinen in ihrer Dankbarkeit für meine Hilfsbereitschaft nicht genug tun konnte. Durch diese zufälligen Beziehungen gestaltete sich mein Verhältnis zum Generalgouverneur allmählich angenehmer.

      Am Nachmittag besah ich mir einen chinesischen Tempel, der mehrere große, reich bemalte Höfe hatte. In dem einen der Höfe waren zwei Räume eingebaut mit vielen Figuren, Symbolen der Höllenstrafen. Die »Plastiken« waren aus bemaltem Lehm geformt. Auch leere und besetzte Särge standen in großer Zahl umher.

      Am folgenden Tag besuchte ich den Engländer Mr. Hunter, den Leiter der China-Inland-Mission. Schon vor 22 Jahren hatte ich ihn in Sining-fu im Hause meines opferfreudigen englischen Freundes, des Herrn Ridley, kennengelernt. Hunter ist ein ausgezeichneter Kenner des Islams. Er warnte mich, auf meiner Weiterreise Kansu zu berühren.

      In Tihwa ist neben anderen auch ein Deutscher ansässig. Er heißt Zug und betreibt eine Darmschlemmerei. Bereits seit zehn Jahren lebt er in China und ist ein hervorragender Vertreter des Deutschtums in Asien. Neben seinem Handwerk versteht er die Chinesen richtig und mit Takt zu behandeln, was leider nicht von allen Landsleuten behauptet werden kann, die einem auf fremder Erde begegnen.

      Auch in Asien wohnt das Glück. So habe ich heute meine Taschenuhr, die ich gestern verlor, wiedergefunden!

      Die nächsten Tage sind ausschließlich magnetischen Messungen gewidmet. Der Geheimpolizist Joseph bringt mir eine unerfreuliche Neuigkeit. Der Generalgouverneur hat mein Gesuch um Weiterreise kategorisch abgelehnt. Am Nachmittag bestätigt sich die Hiobspost. Fan Dao-tai erscheint persönlich. Er begründet die Ablehnung des Gouverneurs mit dem unsicheren Zustand im Osten und fügt liebenswürdig hinzu, man wolle mich vor allen Dingen vor Gefahren schützen. In dieser kritischen Stunde erwächst mir im italienischen Postmeister Cavalieri ein warmherziger Fürsprecher, der persönlich beim Generalgouverneur für mich wirkt.

      Am 22. Mai laufen tatsächlich bedenkliche Nachrichten von Raubüberfällen auf der Strecke Dschin-huo–Sairam-nor–Tihwa ein. Eine von 18 Moslems geführte Warenkarawane ist überfallen worden. Die Räuberbande, etwa 25 Kirgisen, war ausgezeichnet bewaffnet, begnügte sich aber mit dem Diebstahl sämtlicher Pferde. Die Waren blieben unberührt. Cavalieri setzt seine diplomatischen Bemühungen in meinem Interesse fort. Er entwirft zwei Briefe, einen an den Generalgouverneur, einen zweiten an Fan Dao-tai.

      Gleichzeitig bringe ich nachstehende Depesche an die Deutsche Gesandtschaft in Peking zur Absendung:

      »Weiterreise Kansu möglich, wenn das Zentralgouvernement der Chinesischen Republik amtliche Versicherung erhält, dass meine Expedition wissenschaftliche und keine anderen Ziele verfolgt. Eure Exzellenz bitte ich ehrerbietigst und herzlich, mir und der Wissenschaft diese Hilfe zu gewahren. Filchner, Katholische Mission.«

      Am 23. Mai teilt mir der Geheimpolizist Joseph mit, dass die Erlaubnis zur Weiterreise nicht mehr lange ausbleiben werde. Am 26. Mai konferiert Cavalieri stundenlang mit Fan Dao-tai. Drei Tage nachher bestürmt er Fan Dao-tai und Joseph wiederum eindringlich, um meiner Sache zu dienen. Dann stellt er an mich die Schicksalsfrage: »Was gedenken Sie zu tun, wenn man Sie über Tschugutschak abschieben will?« Ich erwidere: »Ich würde mit der sibirischen Bahn nach Peking reisen und von dort über Schanghai nach Lantschou fahren.« Mit dieser Antwort wollte ich dem Generalgouverneur die Sinne schärfen. Ich wusste genau, dass es ihm gegen den Strich ging, wenn ich von hier auf dem nächsten Wege nach Lantschou reiste, weil er befürchtete, ich würde von dort nach Peking weiterfahren. Er will mir nämlich noch immer nicht glauben, dass ich von Lantschou aus die Route westwärts nehmen will, nach Kaschgar oder Kaschmir.

      Am 30. Mai scheint es im Palast des Generalgouverneurs sehr stürmisch hergegangen zu sein. Die höheren Beamten sind über die Willkür des Machthabers empört und billigen seine Maßnahmen nicht. Selbst dem Dao-tai, der einen Pass nach dem Osten verlangt, wird sein Gesuch vom Generalgouverneur abgeschlagen. Überall herrscht Auflehnung gegen seine Tyrannei. Man munkelt von seinem baldigen Sturz. Auch im Volk gärt es.

      Joseph sucht meinen Unmut zu dämpfen. Er versichert, dass nicht das Geringste gegen mich vorliege. »Im Gegenteil«, sagte er, »man schätzt Sie und hält Sie für einen ehrlichen Mann, der mit den Chinesen sehr gut fertig wird. Der Dao-tai und alle Minister stehen auf Ihrer Seite.«

      Josephs wohlgemeinten Rat, sofort funktelegraphisch in Kaschgar beim englischen Konsul anzufragen, ob er mich unter seinen Schutz nehmen wolle, lehnte ich ab, mit dem Hinweis, dass ein deutscher Konsul in Tientsin existiere. Der Trost war schwach, aber schließlich hätte ich die Heimatbehörde doch nicht schneiden können!

      Es wird endlich vereinbart, dass Pater Veldman und der hilfreiche Cavalieri anderentags mit dem Dao-tai konferieren. Man weiß genau, dass ich politisch durchaus unverdächtig bin. Der Dao-tai will meinetwegen beim Generalgouverneur sogar schweres Geschütz auffahren. Mitten in all den unerquicklichen Verhandlungen erreicht mich die erfreuliche Nachricht, dass von der Filmfabrik Wolfen am 8. Mai weitere 10 000 Meter Film nach Tientsin auf den Weg gebracht wurden.

      31. Mai. Zweistündige Konferenz beim Dao-tai. Er übt scharfe Kritik am Generalgouverneur und deutet bekräftigend mit dem Finger nach der Stirn. Schließlich schlägt er vor, mit ihm gemeinsam sofort zum Generalgouverneur zu gehen und diesem noch einmal die Versicherung zu geben, dass Peking für mich überhaupt nicht in Betracht komme, sondern nur ein Westmarsch von Lantschou aus. Der Dao-tai ist empört und sagt wörtlich: »Es ist ungeheuerlich, Sie, den Gelehrten, nicht ziehen lassen zu wollen!«

      Um ein Uhr Audienz beim Gouverneur in Gegenwart des Dao-tai. Einstündige Unterredung. Der Gouverneur operiert mit seiner Nachricht aus Kansu. Dort seien schwere Unruhen ausgebrochen. Er wolle mich nicht in Gefahr bringen! Pater Veldman behauptet das Gegenteil und versichert, er habe Berichte von seinen Missionsbrüdern aus Kansu,


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