Der Marquis und das arme Madchen. Barbara Cartland

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Der Marquis und das arme Madchen - Barbara Cartland


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ihren Vater tun zu können.

      Sie wußte nur zu gut, wie ihn Unfälle dieser Art aufregten. Er konnte niemanden leiden sehen, und das war auch der Grund dafür, warum ihm viele der Dorfbewohner geheimnisvolle Kräfte zusprachen. Er war ein sehr sensibler Mensch und immer bemüht, die Leiden seiner Patienten zu lindern.

      Vor ihrem geistigen Auge konnte Rowena die schreienden Frauen und Kinder sehen, die Verletzten, die auf der Straße lagen zwischen all dem Gepäck, das heruntergefallen war.

      Sie hoffte nur, daß keines der Pferde verletzt war, denn sie konnte sich vorstellen, daß der Gentleman, der jetzt verletzt in ihrem Haus lag, sicher Pferde von bester Rasse und Qualität besaß. Es wäre furchtbar, wenn diesen Tieren etwas geschehen war, so wie es bei dem letzten schweren Unfall der Fall gewesen war.

      ,Ist der Doktor da?“ fragte Mrs. Hanson, als Rowena in die Küche trat.

      „Ja, er ist oben bei dem Patienten“, erwiderte Rowena.

      „Ich wollte ihm sagen, daß Mistress Carstairs es sehr schätzen würde, wenn er heute Abend bei ihr ‘reinschauen könnte.“

      „Dafür wird er wohl keine Zeit haben“, antwortete Rowena bestimmt. „Sie wissen genauso gut wie ich, daß Mrs. Carstairs keinerlei Beschwerden hat. Sie braucht nur jemanden, der ihren Klagen über ihren Sohn zuhört. Sie verschwendet nur Papas Zeit, und er ist zu gutmütig, um es ihr zu sagen.“

      „Ich richte ja auch nur aus, was sie mir aufgetragen hat“, erwiderte Mrs. Hanson.

      „Ja, ich weiß“, entgegnete Rowena. „Aber ich denke, daß es besser ist, es heute zu vergessen. In all der Aufregung kann uns das ja passieren.“

      Sie war überzeugt davon, daß Mrs. Carstairs nur eine der Personen war, die die Gutmütigkeit und Großzügigkeit ihres Vaters ausnutzte.

      Für die Dorfbewohner war ihr Vater nicht nur der Arzt, sondern der Vertraute, der Beichtvater, der Ratgeber. Manchmal neckte sie ihn, indem sie ihn sogar als den Wahrsager der Leute bezeichnete.

      „Mit allen Sorgen und Bedürfnissen kommen sie zu dir“, hatte sie ihm erst neulich gesagt. „Es wird Zeit, daß sich dieser faule Vikar um einige dieser Leute kümmert.“

      „Sie vertrauen mir“, hatte er sanft geantwortet. “Und ich kann sie nicht enttäuschen.“

      Während sie die Treppe hinaufstieg, um ihrem Vater den Tee zu bringen, dachte sie darüber nach, daß er sich nach dem Tode seiner Frau noch mehr in seinen Beruf vertiefte, als er es vorher getan hatte. Sie war sicher, daß er nur deshalb so viel arbeitete, um nicht über den Verlust seiner Frau nachdenken zu müssen. Ihr Tod hatte ein schmerzliches Loch in sein Leben gerissen, das auch seine Kinder nicht füllen konnten.

      Rowena wußte, daß ihr Vater sie sehr liebte und sehr an ihr hing. Aber niemand konnte den Platz ihrer Mutter einnehmen, so sehr er es auch wünschte. Als sie starb, das wußte Rowena, war das Licht aus dem Leben ihres Vaters geschwunden.

      Rowena hatte oft darüber nachgedacht, wie schnell alles gegangen war und wie unnötig der Tod der Mutter gewesen ist.

      Es war ein harter und langer Winter gewesen. Ihre Mutter hatte sich eine Erkältung geholt, die trotz der verschiedenen Hausmittel, die man ausprobiert hatte, nicht vergehen wollte. Im Haus war es kalt gewesen, da das Geld nicht gereicht hatte, um genügend Kohlen zum Heizen zu kaufen. Es hatte zeitweilig nicht einmal gereicht, um die ganze Familie satt zu kriegen.

      Als Rowena später zurückdachte, war sie sicher, daß ihre Mutter oft verzichtet hatte, um wenigstens die Kinder satt zu bekommen.

      Der Husten war immer schlimmer geworden, und plötzlich stellte man fest, daß sie eine Lungenentzündung hatte. Sie war durch Kälte und Hunger so geschwächt, daß sie der Krankheit nichts entgegensetzen konnte, und plötzlich war sie gestorben.

      „Wenn deine Patienten ihre Rechnungen bezahlt hätten, könnte Mutter heute noch leben“, hatte Rowena ihrem Vater bitter vorgeworfen, als ihre Mutter beerdigt worden war.

      Der Vater hatte nichts geantwortet, und Rowena wollte ihn auch nicht weiter quälen. Aber sie hatte sich geschworen, daß kein Patient ihnen etwas schuldig bleiben sollte, dem es möglich war, zu zahlen.

      Die örtlichen Persönlichkeiten, von denen es nicht viele gab, waren in der Folgezeit sehr erstaunt, als sie die Briefe erhielten, die Rowena in ihrer feinen Schrift aufgesetzt hatte, und in denen ihnen mitgeteilt wurde, wie viele Besuche ihr Vater bei ihnen gemacht hatte, und in denen sie aufgefordert wurden, den fälligen Betrag so bald als möglich zu zahlen. Wenn dies nichts half, zögerte Rowena nicht, diese Leute persönlich aufzusuchen.

      „Ich muß schon sagen, Miss Winsford, Ihr Vater hat uns früher nie auf diese Weise gedrängt“, hatte die Frau des Metzgers ihr vorgeworfen.

      „Mit dem Ergebnis, daß wir oft hungrig zu Bett gehen mußten, Mrs. Pitt“, war Rowenas Antwort gewesen.

      Mrs. Pitt war erstaunt gewesen.

      „Ist das wirklich wahr?“

      „Sie können Ihren Mann fragen, Mrs. Pitt. Er wird ihnen bestätigen, daß wir in den letzten Wochen kein Fleisch bestellt haben. Und das nur, weil wir kein Geld dafür hatten.“

      Die Frau des Metzgers hatte daraufhin bezahlt. Auch die anderen wenigen begüterten Familien hatten gezahlt. Aber die Mehrheit der Patienten ihres Vaters war selbst so arm, daß sie nicht genug zu essen hatten.

      Rowena hatte große Achtung vor der Wohltätigkeit ihres Vaters. Oft jedoch sagte sie sich, dass Wohltätigkeit eigentlich im eigenen Haus beginnen sollte. Besonders wenn sie ihre schäbige Garderobe betrachtete und wenn sie daran dachte, daß sie jede freie Minute damit verbrachte, Kleider für ihre Geschwister zu nähen.

      Sie öffnete die Tür zum Krankenzimmer. Ihr Vater hatte die Hemdsärmel aufgerollt und war gerade dabei, den Patienten wieder zuzudecken.

      „Ist es sehr schlimm?“ fragte Rowena.

      „Schlimm genug“, erwiderte der Doktor. „Ich vermute, daß zwei oder drei Rippen gebrochen sind. Und der Magen ist gequetscht. Aber es ist schwer zu sagen, was für innere Verletzungen er noch erlitten hat.“

      „Hast du eine Ahnung, wer er ist?“

      „Ja, sein Stallbursche sagte mir, er ist der Marquis of Swayne.“

      „Der Marquis of Swayne!“ wiederholte Rowena mit großen Augen. „Dann wohnt er in Swayneling Park, in dem großen Haus in der Nähe von Hatfield?“

      „So ist es“, antwortete Dr. Winsford.

      „Und was wirst du mit ihm machen?“

      „Sein Reitknecht, der nicht verletzt worden ist, fährt nach Hause und wird dort berichten, was geschehen ist. Er hat sicher einen Sekretär oder irgendjemanden, der sich mit uns in Verbindung setzen wird. Aber ich bin der Meinung, er sollte nicht transportiert werden, bevor ein Spezialist ihn untersucht hat.“

      „Ein Spezialist?“ rief Rowena aus. „Wo sollen wir hier in der Umgebung denn einen finden?“

      „Zweifellos werden sie jemanden aus London holen. Ich glaube nicht, daß das für den Marquis etwas Besonderes ist.“

      Er lächelte seine Tochter an. Das Lächeln ließ sein dünnes Gesicht leuchten. Er war einmal ein sehr schöner Mann gewesen. Und alle Leute die ihn früher gekannt hatten, wußten, warum alle seine Kinder so außerordentlich hübsch waren.

      „Sieh mich nicht so erschrocken an, meine Liebe”, fuhr Dr. Winsford fort. „Ich bin ganz sicher, der Marquis wird uns nicht lange zur Last fallen. Und je eher er in die Hände von einem Spezialisten kommt, desto besser!“

      „Ich glaube nicht, daß es besser für ihn ist“, antwortete Rowena. „Du weißt genau, daß du so etwas wie ,heilende Hände’ hast, wie die alten Frauen es nennen. Ich bezweifle, ob ein Spezialist mehr für ihn tun kann als du.“

      „Ich wünschte, du hättest recht“, erwiderte der Doktor.


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