Der Marquis und das arme Madchen. Barbara Cartland

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Der Marquis und das arme Madchen - Barbara Cartland


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der seinen Kopf gefüllt hatte und ihn am Denken gehindert hatte, schien geschwunden zu sein. Er war jetzt sicher, daß sich jemand im Raum befand. Er hatte die Gegenwart dieser Person, die sich sehr leise bewegte, schon vorher gefühlt, aber es war ihm unmöglich gewesen, sich zu konzentrieren.

      Plötzlich fühlte er, wie jemand seinen Arm berührte. Sein Kopf wurde ein wenig hochgehoben und eine Tasse wurde an seine Lippen gehalten.

      „Versuchen Sie, ein wenig zu trinken“, sagte eine weiche Stimme.

      Automatisch befolgte er die Aufforderung. Plötzlich wußte er, daß er dieser Stimme schon vorher gehorcht hatte.

      Er schmeckte etwas Süßes, und da er durstig war und sein Hals wehtat, trank er noch ein wenig mehr.

      „Das ist sehr gut“, sagte die Stimme. „Nun schlafen Sie ein wenig, und dann werde ich Ihnen etwas Kraftbrühe bringen.“

      „Warum kann ich nicht auch ein wenig Brühe haben?“ fragte eine andere Stimme.

      Der Marquis erkannte, daß es ein Kind war.

      „Lotty, wie oft habe ich dir gesagt, daß du nicht in dieses Zimmer kommen sollst?“ fragte die erste Stimme.

      „Aber ich schau’ ihn so gerne an“, erwiderte Lotty trotzig. „Hermoine sagt, er sieht aus wie ein gefallener Gladiator. Ich glaube, sie ist in ihn verliebt!“

      „Du sollst nicht solchen Unfug reden! Geh’ jetzt hinunter. Und weder du noch Hermoine wird hier noch einmal hereinkommen. Ist das klar?“

      „Ich finde, du bist sehr egoistisch, Rowena. Du willst ihn nur für dich haben“, widersprach Lotty. „Wir wollen ihn auch ansehen.“

      „Du gehst sofort hinunter!“

      Der Ton in Rowenas Stimme verfehlte seine Wirkung nicht. Der Marquis hörte, wie jemand die Treppe hinunterlief, und Rowena, wer immer sie auch sein mochte, schloß die Tür.

      Ganz vorsichtig öffnete der Marquis die Augen. Er hatte Angst, daß diese entsetzlichen Kopfschmerzen wiederkehren würden.

      Wie er erwartet hatte, lag er in einem Bett in einem fremden Raum.

      Am Waschtisch stand die schlanke Figur einer Frau und wusch die Tasse aus, aus der er getrunken hatte. Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Der Marquis erinnerte sich an die weiche Stimme, mit der sie zu ihm gesprochen hatte, und an die sanfte Berührung, mit der sie seinen Kopf gehalten hatte, und er wünschte, sie würde sich zu ihm wenden, damit er ihr Gesicht sehen konnte.

      Sie trocknete die Tasse ab und stellte sie lautlos auf einen Teller, legte das Handtuch zusammen und drehte sich dann um.

      Er hatte zwar erwartet, daß sie ihrer Stimme ähnlich war. Aber auf das, was er jetzt sah, war er nicht vorbereitet. Er glaubte für einen Augenblick, sie sei eine Halluzination.

      Das Mädchen, das sich jetzt seinem Bett näherte, war lieblicher als irgendjemand, den er zuvor gesehen hatte.

      Sie war in Gedanken, und ihre großen Augen, die fast ihr ganzes zartes Gesicht ausfüllten, sahen ihn nicht wirklich, bis sie an seinem Bett stand.

      Als sie das Betttuch zurecht ziehen wollte, bemerkte sie, daß er sie ansah. Sie hielt inne.

      „Sie sind wach?“ fragte sie. Ohne seine Antwort abzuwarten, fuhr sie schnell fort: „Bitte, versuchen Sie nicht, zu reden. Sie waren lange Zeit bewußtlos. Aber ich glaube, daß Sie mich jetzt hören können. Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Sie sind in guten Händen.“

      Trotz ihrer Bitte versuchte der Marquis zu sprechen. Seine Stimme klang fremd und heiser.

      „Wo bin ich?“

      „Sie sind in Little Powick, wo Sie einen Unfall hatten.“

      Rowena machte eine Pause, um ihm Zeit zu geben, sie zu verstehen.

      Dann sagte sie: „Es wurde niemand außer Ihnen verletzt. Ich nehme an, daß Sie gerne wissen möchten, daß auch Ihren Pferden nichts geschehen ist, außer daß sie einen Schrecken erlitten haben.“

      „Es freut mich ... das zu hören ... aber ... wer sind ... Sie?“

      „Ich bin die Tochter des Doktors, Rowena Winsford.“

      „Doktor... Winsford?“ wiederholte der Marquis, als versuchte er, sich an diesen Namen zu erinnern.

      Er sah das Lächeln, das Rowenas Gesicht erhellte.

      „Sie haben bestimmt noch nicht von uns gehört”, sagte sie. „Aber Ihr Spezialist, Sir George Seymour, ist von London gekommen, um Sie zu untersuchen. Er sagte, daß Ihnen nichts fehlt, was nicht wieder von selbst heilt. Aber er hat es strikt abgelehnt, Sie von hier fortzubringen.“

      Während sie sprach, bemerkte Rowena, daß der Marquis die Augen schloß, als sei er erschöpft.

      „Es ist besser, wenn Sie jetzt wieder schlafen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. In einigen Tagen werden Sie kräftig genug sein, nach Hause zu fahren.“

      Der Marquis richtete sich mühsam in seinem Bett auf und betrachtete das Tablett, das man ihm hingestellt hatte.

      „Ich mag keine Tauben!“ sagte er eigensinnig.

      „Ich fürchte, es ist nichts Anderes da“, erwiderte Rowena. „Hühnchen sind sehr teuer, und Rindfleisch hatten Sie erst gestern.“

      „Wenn er keine Tauben mag“, ertönte eine Stimme von der Tür her, „dann kann er vielleicht meine Fleischpastete haben. Ich liebe Tauben und Hermoine auch!“

      Der Marquis drehte sich zu Lotty um, die er inzwischen gut kannte und die ihn bittend von der Tür her ansah.

      Lotty sah ihrer Schwester sehr ähnlich. Während Rowenas Gesicht jedoch zart war und zu ihrer schlanken Figur paßte, war Lottys Gesicht rund und ein wenig zu plump. Der Marquis dachte, daß sie Ähnlichkeit mit einem Botticelli Engel hatte.

      Er war jedoch nicht abzulenken.

      „Warum ist Hühnchen zu teuer?“ fragte er.

      „Weil wir nicht das Geld haben, es zu kaufen, mein Herr“, erwiderte Rowena.

      „Wollen Sie damit sagen, daß ich für meinen Aufenthalt nicht bezahle?“

      „Bis jetzt waren sie noch nicht in einer gesundheitlichen Verfassung, die es erlaubt hätte, Sie nach Geld zu fragen“, antwortete Rowena.

      „Und warum haben Sie nicht meinen Sekretär danach gefragt? Er ist oft genug hier.“

      „Daran habe ich noch nicht gedacht“, sagte Rowena freimütig.

      „Warum, zum Teufel, hat er es nicht von selbst angeboten?“ fragte der Marquis ungeduldig.

      „Er hat einige Früchte gebracht, die wir selbst nicht kaufen können, und den Wein, von dem Papa jedoch nicht möchte, daß Sie ihn trinken, bevor Ihr Kopf besser ist.“

      „Ich glaube, der kann sich gar nicht vorstellen, dass Sie sich nicht jeden Luxus leisten können“, sagte der Marquis, als spräche er mit sich selbst. „Wie dem auch sei, ich hatte Geld bei mir.“

      „Es liegt hier in dieser Schublade, Mylord.“

      „Dann bringen Sie es mir doch bitte her.“

      „Ihr Essen wird kalt“, antwortete sie. „Ich schlage vor, daß Sie zuerst einmal essen.“

      Der Marquis sah Lotty an.

      „Ich glaube, ich ziehe die Fleischpastete vor“, sagte er.

      „Ich hole sie Ihnen. Ich hole sie sofort!“ rief Lotty begeistert.

      „Nein warte!“ rief Rowena, aber es war schon zu spät. Ihre kleine Schwester war schon fast unten.

      „Wenn Sie jetzt anfangen, sich in meine Hausordnung einzumischen und alles durcheinander zu bringen, schicke ich Sie nach Hause, egal was der Doktor sagt“, warnte Rowena den Marquis.


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