Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich

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Eine Mutter - Gerstäcker Friedrich


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da kam er auf die unglückliche Idee, mit dem Baron eine Perlenfischerei an der Küste anzulegen.«

      »Eine Perlenfischerei?«

      »Ja, gewiß – und gefischt haben sie auch genug,« meinte Jeremias, »aber nicht einmal so viel Perlen gefunden, um sich eine Tuchnadel davon machen zu lassen, und da bekam es der Herr Baron denn zuerst satt – die Mittel erlaubten es nicht – und Herr von Pulteleben ging nachher nach Rio Grande, aber ich habe nichts weiter von ihm gehört.«

      »Und die Gräfin Baulen,« sagte Helene ruhig, »ist sie noch in Santa Clara?«

      »Ihre Frau Mutter? Gewiß!« rief Jeremias, der natürlich keine Ahnung von den dortigen Vorgängen haben konnte – »immer noch die Alte – sehr achtungswerthe Dame,« setzte er aber rasch und erschreckt hinzu – »ungeheure Betriebskraft, weiß immer etwas Neues, um zu speculiren – aber Graf Oskar ist fort...«

      »Fort – wohin?« rief Helene rasch.

      »Der liebe Gott weiß es,« sagte Jeremias achselzuckend – »mein Himmel, junges Blut will austoben, und Brasilien ist groß – Frau Mutter hatte eine kleine Schwierigkeit mit dem Bäckermeister Spenker und zog aus, miethete nachher ein kleines Haus gerade dem Baron gegenüber, und da war der junge Graf eines Morgens auf eine Entdeckungsreise ausgegangen, wie sie sagten, und konnte nachher selber nicht mehr entdeckt werden. Aber das Alles hat Ihnen gewiß Ihre Frau Mutter schon geschrieben – lieber Gott, in Brasilien geht das ja auch oft so, daß ein junger Mensch einen Platz satt bekommt und sich nach einem andern umsieht, der ihm besser gefällt!«

      »Und was ist aus der Frau jenes Mörders, jenes Bux geworden?« fragte Felix, der das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen wünschte.

      »Der geht's gut,« bestätigte Jeremias; »das war eine brave, rechtschaffene Frau, und wie sie sich nur erst einmal von der schlechten Behandlung erholt hatte, schaffte sie tüchtig. Ihre Kinder brachten wir rasch bei Colonisten unter, und nachher habe ich sie selber in das Hotel genommen, wo sie sich vortrefflich betragen hat. Sie ist jetzt noch dort und verdient sich hübsches Geld...«

      »Und jener Bux?«

      »Nun, den haben sie nach Rio gebracht und dort wahrscheinlich gehangen oder in's Loch gesteckt. Ich habe nie etwas Weiteres von ihm gehört.«

      »Aber ein sonderbares Zusammentreffen ist es doch,« lächelte Helene, »daß wir uns hier gerade in Haßburg wiedersehen sollten...«

      »Und noch dazu den ersten Tag, wo ich hier bin!« rief Jeremias.

      »Apropos, Sie wollten mir ja erzählen, was Sie gerade nach Haßburg geführt,« sagte Felix, »denn wie Sie selber sagen, stammen Sie gar nicht aus der Gegend...«

      »Hm,« meinte Jeremias und warf einen Blick über die Schulter nach dem aufwartenden Diener und dann nach der Bonne hinüber, »das ist auch eine etwas längere Geschichte.«

      »Also dann beim Kaffee,« nickte der junge Graf, dem es nicht entgangen war, daß der kleine Mann noch etwas Anderes auf dem Herzen hatte – »aber vorher noch ein Glas Wein, Jeremias, wie? Machen Sie keine Umstände, Mann, der Wein ist trinkbar.«

      »Famoser Stoff!« bestätigte Jeremias, der indessen mit seinen Gedanken nicht ganz bei der Sache war, denn es ging ihm im Kopf herum, daß sich die junge Gräfin eigentlich gar nicht so lebhaft nach ihrer »Mutter« erkundigt hatte, wie er wohl erwartet haben mochte, und auch über das Verschwinden ihres Bruders nicht im Mindesten aufgeregt erschien. Aber sie mußte es jedenfalls schon früher brieflich erfahren haben, und wußte vielleicht sogar, wo er stak. Daß er ihm selber noch eine nicht unbeträchtliche Summe schulde, erwähnte er nicht; er besaß, trotz seiner rauhen Hülle, zu viel Zartgefühl, und doch hatte es ihm Rottack entweder angemerkt oder es sich auch nur gedacht – und große Definitionsgabe gehörte allerdings nicht dazu.

      Aber die Tafel wurde jetzt abgeräumt und dann der Kaffee gebracht. Die Bonne verließ mit den Kindern den Speisesaal, und das junge Paar war mit Jeremias allein.

      »Und nun, mein alter Freund,« sagte Felix, »schießen Sie einmal los – Sie haben noch etwas auf dem Herzen.«

      Jeremias war eigentlich nicht wenig froh, daß er dieses Diner glücklich überstanden hatte, denn er fühlte sich, so lange es dauerte, fortwährend in einer gewissen Aufregung, aus Furcht, irgend einen Mißgriff zu begehen. Aber es schien doch ziemlich gut abgelaufen zu sein, denn das ausgenommen, daß er von den ihm präsentirten Speisen hartnäckig die Gabel abgenommen und neben sich gelegt hatte, so daß er sich zuletzt im Besitze von sieben oder acht solcher Instrumente fand und über den Vorrath selber erschrak, war nicht das geringste Ungehörige vorgefallen. Jetzt aber wurde er plötzlich, ohne die geringste scheinbare Ursache, feuerroth und sagte, viel verlegener, als er sich nur je gezeigt: »Hm, ja, Herr Graf, ich – ich wollte eigentlich – Schwerebrett, Sie lachen mich aber aus, wenn ich's Ihnen sage – die Frau Gräfin lacht jetzt schon.«

      »Gewiß nicht, Jeremias, wenn es etwas Ernstes ist,« lächelte Helene, der die Unruhe des kleinen Mannes allerdings komisch vorkam.

      »Ja, ernst wär' es schon,« nickte ihr Gast leise mit dem Kopf vor sich hin, »aber – lachen werden Sie doch,« setzte er resignirt hinzu, »denn eigentlich könnte ich selber darüber lachen, wenn – wenn...« – Er stak fest und nahm sein Taschentuch heraus, um sich damit die Stirn und den Kopf abzutrocknen, denn die Stirn ging ihm fast bis hinten in die Halsbinde hinunter.

      »Also erzählen Sie, Jeremias,« sagte Helene freundlich; »Sie wissen ja, daß wir es gut mit Ihnen meinen, und wenn Ihnen Felix bei irgend etwas behülflich sein kann, so bin ich fest überzeugt, daß es ihm die größte Freude machen wird.«

      »Ich auch, Frau Gräfin, ich auch,« bestätigte Jeremias treuherzig und leerte dabei das Glas, das ihm der junge Graf noch einmal vollgeschenkt hatte, wie um sich Muth zu machen, auf Einen Zug. »Und Sie sollen's auch erfahren,« setzte er dann hinzu – »Sie sollen's erfahren, denn ich weiß, Sie meinen es gut mit mir. Aber erst erlauben Sie mir, daß ich eine Tasse Kaffee trinke – der starke Wein ist mir in den Kopf gestiegen, und ich möchte kein dumm Zeug schwatzen – es ist so schon, wie's ist – so, danke Ihnen, und nun sollen Sie meine Lebensgeschichte hören, aber ganz kurz, ich bin im Augenblick damit fertig, denn es ist Alles ungeheuer geschwind gegangen und eigentlich gar nicht viel zu erzählen – wenn nur eben die Frau nicht wäre.«

      »Die Frau?«

      Jeremias seufzte tief auf, trank seinen Kaffee, den ihm Helene selber eingeschenkt, und begann dann: »Ich war ein leichtsinniger Strick in meiner Jugend, lief meinem Alten fort und ging zum Theater.«

      »Zum Theater?« lachte Felix erstaunt.

      »Das heißt, ich wirkte im Chor,« fuhr Jeremias fort, »und half mit beim Ballet, und damals war ich auch noch schlank und geschmeidig und hatte die Beine dazu. Ich verdiente auch, was ich brauchte, als einzelner Mensch nämlich, aber da kam – und jetzt werden Sie lachen, Frau Gräfin – da kam die Liebe und ich heirathete!«

      »Sie sind verheirathet, Jeremias?« riefen beide Gatten zugleich und erstaunt aus.

      »Ja, wenn ich's nur selber wüßte,« sagte Jeremias mit einem höchst komischen Ausdruck von Verzweiflung in den Zügen – »das ist ja eben das Unglück, daß ich nicht weiß, ob ich's bin oder ob ich's war, und deshalb bin ich ja wieder nach Deutschland zurückgekommen!«

      »So wissen Sie nicht, ob Ihre Frau noch lebt?«

      »Das ist die Geschichte, und auf den Kopf haben Sie's getroffen, Frau Gräfin – aber hören Sie. Meine Frau war brav und gut und ebenfalls beim Theater. Sie spielte kleine Rollen, und wir Beide verdienten etwa so viel, wie wir brauchten. Da wurde sie krank und entlassen, die Familie vermehrte sich ebenfalls, und...« – Jeremias wurde hier augenscheinlich so verlegen, daß er eine ganze Weile kein Wort weiter vorbrachte. Er trank an seinem Kaffee, er zupfte an seinem Rock und rückte auf seinem Stuhl herum. Endlich aber, da er doch wohl merkte, daß es nicht so fortging, nahm er sich mit Gewalt zusammen und platzte heraus – »und ich wurde liederlich – Sie dürfen mir's glauben,


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