Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman. Viola Maybach
Читать онлайн книгу.dem Entschluss, ihr zu sagen, dass er sich in sie verliebt hatte. Was danach passierte, würden sie ja sehen.
Diese Entscheidung erleichterte ihn. Kurz darauf hatte er das Krankenhaus erreicht.
*
Dr. Andreas Bertram betrachtete seine Patientin nachdenklich. »Ich gewöhne mich allmählich an Sie«, sagte er. »Dabei dachte ich eigentlich, ich sähe Sie nie wieder.«
»Wäre mir bedeutend lieber gewesen«, erwiderte Albertina. »Das geht nicht gegen Sie persönlich, aber ich habe was gegen Krankenhäuser. Wie geht es Kurt Wille?«
»Er schwebt jedenfalls nicht in Lebensgefahr – und das hat er ja wohl, wenn ich den Berichten Ihrer Kollegen Glauben schenken darf, Ihnen zu verdanken.«
»Wird er wieder ganz gesund? Oder kann es sein, dass er … dass er bleibende Schäden davonträgt? Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit.«
»Nach jetzigem Kenntnisstand wird er wieder ganz gesund«, erklärte der junge Arzt. »Er wird eine Weile nicht arbeiten können und sicherlich eine Narbe am Kopf behalten, aber ich bin zuversichtlich, dass mehr nicht zurückbleiben wird.«
Eine Schwester erschien. »Da ist Besuch für Frau von Braun«, sagte sie.
»Die beiden Teenager?«, fragte Dr. Bertram.
»Nein, Graf Carl zu Kallwitz, Herr Doktor.«
»Dann lasse ich Sie mit Ihrem Besucher allein, Frau von Braun.«
Albertina war so überrascht, dass sie nicht einmal protestierte.
Es war aber tatsächlich Carl zu Kallwitz, der jetzt zögernd nähertrat, nachdem Dr. Bertram hinausgegangen war. »Chris hat mich angerufen«, erklärte er. »Anna und er sind ziemlich durcheinander, und ich war wohl derjenige, der dem Geschehen am nächsten war. Wie geht es Ihnen?«
Schon wieder traten ihr Tränen in die Augen, obwohl sie heftig dagegen ankämpfte. »Nicht so toll«, schniefte sie. »Ich … ich habe Angst um meinen Kollegen, obwohl der Arzt meinte, er würde wieder ganz gesund.« Mit einer fast zornigen Bewegung fuhr sie sich mit einer Hand über die Augen. »Entschuldigen Sie, ich bin sonst nicht so wei-nerlich.«
»Sie haben einen Schock«, erklärte Carl ruhig, »kein Wunder, dass Ihre Nerven flattern. Geben Sie mir Ihre Hand, bitte.«
Sie zögerte nur kurz, dann streckte sie die rechte Hand aus, die er ergriff. Sie war eiskalt und fühlte sich feucht an. Er umschloss sie mit seinen beiden Händen und rieb sie leicht, um sie zu wärmen. »Es ist natürlich nicht der glücklichste Moment für ein Geständnis«, sagte er nach einer Weile, »andererseits haben wir ja jetzt Zeit, und niemand stört uns. Also kann ich es Ihnen eigentlich auch gleich sagen.«
»Was denn?«, fragte sie.
»Ich habe mich auf Sternberg in Sie verliebt«, gestand er. »Leider schienen Sie an mir nicht das geringste Interesse zu haben.«
»Ich will mich nicht verlieben«, murmelte sie. »Ich liebe meine Arbeit.«
Diese Reaktion fand Carl durchaus ermutigend – immerhin hatte sie ihn nicht ausgelacht und die Möglichkeit einer Beziehung zwischen ihnen von vornherein völlig ausgeschlossen. »Tja, die Arbeit ist tatsächlich ein Problem«, gestand er. »Ich bin nämlich vor einiger Zeit mal auf der Baustelle gewe-sen …« Er berichtete ihr, wie er dazu gekommen war, sie heimlich in Augenschein zu nehmen und schloss mit dem aufrichtigen Geständnis: »Ich habe mich gefragt, wieso meine Eltern Sie so reizend fanden – denn was ich gesehen habe, hat mich, wenn Sie es genau wissen wollen, abgeschreckt.«
»Sie waren da?«, fragte sie. »Und haben mich gehört und gesehen und …« Sie verstummte. »Ich habe wahrscheinlich geflucht und ausgespuckt, oder?«
»Ja, das haben Sie«, bestätigte er.
»Ich dachte, die Jungs akzeptieren mich sonst nicht. Aber Kurt … das ist der Kollege, der verletzt worden ist, wir sind befreundet… also, Kurt hat mir gesagt, dass das nicht mehr nötig ist. Ich habe mich durchgesetzt und muss jetzt nicht mehr beweisen, dass ich so hart bin wie ein Mann, wenn es um die Arbeit geht.«
»Sie meinen also, die Zeit des Fluchens und Spuckens ist vorbei?«
Sie nickte. »Ja, und seltsamerweise fällt es niemandem auf, dass ich es nicht mehr mache. Und ich habe erst nach dem Gespräch mit Kurt gemerkt, dass ich mich beim Fluchen so ähnlich verbiegen muss-te wie zu Hause bei meinen Eltern, wenn ich so tue, als gäbe es nur Albertina, die höhere Tochter.«
»Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte, oder?«
Sie nickte nachdenklich. »Aber ich liebe meine Arbeit!«, wiederholte sie dann heftig.
»Ich liebe meine auch«, erklärte Carl gelassen.
»Und ich will nicht ständig elegant gekleidet sein und so tun, als interessierten mich Klatschgeschichten aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis.«
»Ich auch nicht. Ich trage sehr gern sportliche Kleidung.«
»Und ich möchte Kurt und seine Frau auch mal privat treffen.«
»Ich würde die beiden gern kennenlernen.«
»Ich will mich am liebsten überhaupt nicht mehr verstellen«, murmelte Albertina.
»Genau das wäre mir auch am liebsten«, versicherte Carl. »Fühlst du dich besser?«
»Ja, aber …«
»Aber was?«
Sie lächelte plötzlich. »Ach, nichts. Ich habe mich auch in dich verliebt, Carl, aber ich wollte auf keinen Fall, dass du es merkst.«
»Das ist dir leider gelungen«, seufzte er. »Ich bin sehr unglücklich von Sternberg weggefahren – weil ich dachte, ich habe keine Chance.«
»Und außerdem dachtest du, ich sei sowieso eine unmögliche Person, die du dir am besten wieder aus dem Kopf schlägst.«
»Stimmt«, gab er zu. »Aber jetzt sehe ich die Sache vollkommen anders.«
»Wie denn?«
Er gab ihr die Antwort mit einem langen innigen Kuss, in dessen Verlauf die Nachwirkungen des Schocks bei Albertina unmerklich verschwanden. Sie zitterte nicht mehr, musste nicht mehr weinen, und die Hände, mit denen sie
Carls Gesicht streichelte, waren mit einem Mal ganz warm und trocken.
Dr. Bertram, der mehrmals ins Zimmer sah, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, lächelte in sich hinein. Seine Patientin war lernfähig, in jeder Beziehung! Und um ihre Gesundheit musste er sich offenbar auch keine Sorgen mehr machen.
»Gut gemacht!«, sagte er zu Anna und Christian, als sie aus der Cafeteria zurückkehrten. Dorthin hatte er sie geschickt, weil er fand, dass sie reichlich blass und aufgeregt aussahen.
»Was denn?«, fragte Anna.
»Sehen Sie selbst, dann wissen Sie, was ich meine«, antwortete Dr. Bertram und wies auf die offene Tür zu Albertinas Zimmer.
Neugierig traten sie näher und blieben wie angewurzelt stehen, nachdem sie einen Blick hineingeworfen hatten. Als sie sich zu Dr. Bertram umdrehten, erwiderten sie sein Lächeln.
*
»Sie kommen bald«, berichtete Christian seinen Eltern drei Wochen später, als er ihnen seinen täglichen Besuch abstattete. Es war kühler geworden, der Herbst kündigte sich an, die Bäume verloren bereits die Blätter. »Albertina, Carl, ihre Eltern, seine Eltern – und dann noch Kurt Wille mit seiner Familie und Carls Freund Robert mit seiner Freundin. Kurt Wille geht es besser, von der nächsten Woche an arbeitet er wieder. Er ist ein sehr, sehr netter Mann, wir haben ihn im Krankenhaus besucht, Anna und ich, wenn wir bei Albertina waren.«
Er machte eine kurze Pause, bevor er in Gedanken weitersprach. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie glücklich Albertinas und Carls Eltern sind, weil die beiden sich ineinander verliebt haben. Anna und ich finden es auch toll. Sie haben