Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman. Viola Maybach
Читать онлайн книгу.große Erfolg sieht anders aus.«
Während sie sich miteinander unterhielten, warf er ihr immer wieder verstohlene Blicke zu. Sie sah Helen sehr ähnlich, aber er merkte schnell, dass sie ein völlig anderer Typ war.
Viel ruhiger und zurückhaltender als Helen. Sie beobachtete mehr, redete weniger als ihre ältere Schwester.
Als er sie fragte, was sie beruflich machte, wunderte er sich nicht, als sie sagte, sie sei Lehrerin.
Je länger er neben ihr saß und mit ihr redete, desto besser gefiel sie ihm und desto wohler fühlte er sich in ihrer Gesellschaft.
*
Als sie sich von den Sternbergern verabschiedet hatten, wurde Bettina das Herz schwer. Sie musste nur das Gesicht ihrer Mutter ansehen, um zu wissen, dass Alexa sich mit ihrem Schicksal, ohne Vorwarnung zwei schwarze Enkelkinder bekommen zu haben, noch längst nicht ausgesöhnt hatte. Und nun also auch noch ihr Vater …
Danach war das Schlimmste hoffentlich überstanden. Sollten sich doch all die anderen die Mäuler zerreißen, das würde sie schon aushalten, aber mit ihren Eltern wollte sie in Frieden und Harmonie leben.
Doch die Miene ihrer Mutter verhieß nichts Gutes.
Wie so oft kam jedoch alles ganz anders als befürchtet. Henning von Rabenfels sah das versteinerte Gesicht seiner Frau, bemerkte den unsicheren, bangen Blick seiner Tochter und entdeckte erst dann die Zwillinge. »Donnerwetter!«, sagte er. »Das sind doch wohl nicht etwa deine, Tina?«
»Doch, Papa. Ich … es … es sollte eine Überraschung sein.«
»Wir sind Großeltern, Alexa!« Er drehte sich zu seiner Frau um, schien gar nicht wahrzunehmen, dass sie seine Freude offenbar nicht teilte. »Donnerwetter!«, rief er noch einmal. »Warum hast du uns das so lange verheimlicht, Tina? Wir hätten uns viel früher darüber freuen können.«
Bettina war nicht weniger perplex als ihre Mutter, als sie nun sah, mit welcher Begeisterung ihr Vater sich auf Miriam und Paul stürzte. Und diese Begeisterung beruhte offensichtlich auf Gegenseitigkeit, denn die Zwillinge strahlten den unbekannten Mann mit den freundlichen blauen Augen an, der da so freundlich und aufgeregt um sie herumflatterte. Er nahm sie beide auf den Arm, Miriam links, Paul rechts, und eilte mit ihnen auf das Haus zu, während er fröhlich auf sie einredete. Die beiden hörten ihm aufmerksam zu. Sie kamen nicht einmal auf die Idee, Bettina zu vermissen oder Angst zu bekommen. Offenbar fanden sie all das Neue, das seit zwei Tagen auf sie einstürmte, höchst interessant.
»Na, das war ja eine Überraschung«, murmelte Alexa vor sich hin, als sie sich anschickte, ihrem Mann zu folgen. »Ich hätte schwören können, dass ihn der Schlag trifft.«
Bettina folgte ihrer Mutter. »Mama, bitte«, sagte sie flehend, »kannst du dich denn gar nicht damit abfinden?«
»Mit den Kindern kann ich mich sicher abfinden, weil ich sie entzückend finde«, erwiderte Alexa. »Aber nicht damit, dass du beinahe zwei Jahre ein solches Geheimnis vor uns hütest. Damit werde ich mich niemals abfinden, dass du es nur weißt.«
»Ich habe Gründe«, erklärte Bettina. »Hast du kein Vertrauen zu mir? Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich euch nicht einfach zwei Enkelkinder verheimliche, ohne meine Gründe zu haben?«
Ihre Stimme hatte ernst geklungen, aber auch vorwurfsvoll. Verwundert sah Alexa ihre Tochter an. »Ich hatte immer Vertrauen zu dir, das weißt du.«
»Und jetzt nicht mehr? Warum nicht?«
»Weil ich es nicht verstehe – und weil du es mir nicht erklärst.«
»Ich kann nicht – noch nicht. Ihr müsst Geduld haben, Mama.«
»Du verlangst sehr viel, Tina.«
»Das weiß ich. Aber Papa scheint damit weniger Probleme zu haben als du. Warum bist du so schnell bereit, mich zu verurteilen?«
Alexa blieb stehen. »Das habe ich doch schon gesagt: Weil ich es nicht verstehe!«, entgegnete sie heftig. »Und wenn du mir vorwirfst, dass ich kein Vertrauen zu dir habe: Wie steht es denn mit deinem Vertrauen zu mir? Was soll dieses ganze Gerede, du könntest jetzt keine Erklärungen abgeben? Natürlich kannst du das! Falls es um irgendwelche Geheimnisse geht, die gewahrt werden müssen, so lass dich bitte daran erinnern, dass ich noch nie eins deiner Geheimnisse ausgeplaudert habe!« Mit diesen Worten setzte sie sich wieder in Bewegung. Bettina folgte ihr mit betroffenem Gesichtsausdruck. Natürlich hatte ihre Mutter nicht Unrecht – und doch sah sie keine Möglichkeit, sich anders zu verhalten, als sie es tat.
*
Am Mittwochmorgen fing Konstantin sehr früh an zu arbeiten, da er ja wusste, dass er früh Schluss machen würde, um den Vortrag über Afrika zu hören. Er kam gut voran, seit er wieder regelmäßig genug schlief. Wenn alles so lief, wie er es sich vorstellte, dann würde er die zusätzliche Zeit, die Helen ihm eingeräumt hatte, nicht einmal vollständig in Anspruch nehmen müssen.
Gegen fünf Uhr hörte er auf, er war zufrieden mit dem, was er an diesem Tag geschafft hatte. Er aß noch eine Kleinigkeit, dann machte er sich auf den Weg zur Bibliothek, denn dort würde Dr. Bettina von Rabenfels ihren Vortrag halten.
Moritz wartete am Eingang auf ihn. »Da bist du ja«, rief er erleichtert. »Schnell, lass uns reingehen, das wird voller als ich dachte, und ich möchte nicht gern ganz hinten sitzen.«
Sie fanden noch zwei recht gute Plätze im vorderen Drittel. Tatsächlich füllte sich der Saal rasch. Als Bettina von Rabenfels pünktlich das Podium betrat, war auch der letzte Platz besetzt.
»Schöne Frau«, raunte Moritz seinem Freund zu. »Und irgendwie wirkt sie viel zu jung für eine Ärztin, findest du nicht?«
Konstantin nickte abwesend.
Die junge Ärztin hielt in der folgenden Stunde einen leidenschaftlichen Vortrag über ihre Zeit im Grenzgebiet zwischen Gabun und dem Kongo – und es dauerte nicht lange, bis sie auch den letzten Zuhörer in ihren Bann gezogen hatte. Sie beschrieb schonungslos die Situation der dort lebenden Menschen, schilderte die Umstände, unter denen sie und ihre Kollegen hatten arbeiten müssen und endete mit einem flammenden Appell an die Weltöffentlichkeit, die Augen nicht abzuwenden. Darüber hinaus beschrieb sie afrikanischen Alltag unter erschwerten Bedingungen so plastisch, dass sich auch diejenigen im Publikum ihrem Bericht nicht entziehen konnten, die noch nie in einem afrikanischen Land gewesen waren.
Minutenlanger Applaus dankte der jungen Frau am Ende für ihre engagierte Rede. Danach stellte sie sich den Fragen der Zuhörer.
Konstantin verfolgte die Diskussion aufmerksam, beteiligte sich aber nicht daran. Moritz jedoch stellte mehrere Fragen.
Bettina von Rabenfels ging ausführlich auf jeden Einwand, jede Frage ein. Nicht ein einziges Mal schien sie unsicher zu sein oder nach einer Antwort suchen zu müssen.
Als der Veranstalter schließlich sagte, nun sei es genug, Frau Dr. von Rabenfels hätte dem Publikum schon viel länger zur Verfügung gestanden als vorgesehen, erhob sich noch einmal lang anhaltender Beifall, dann war die Veranstaltung beendet.
»Tolle Frau«, stellte Moritz bewundernd fest, als sie sich erhoben. »Und ein toller Vortrag.«
»Ja«, stimmte Konstantin zu. »Das kann man wohl sagen. Hör mal, Mo, ich muss gleich weg. Lass uns morgen telefonieren, ja? Ich nehme diesen Seitenausgang hier. Bis dann!«
»He, ich könnte doch mit dir …«, rief Moritz ihm nach, doch Konstantin war bereits in der Menge verschwunden. Moritz fand dieses Verhalten seines Freundes mehr als seltsam.
Noch verwunderter wäre er sicherlich gewesen, wenn er gesehen hätte, dass Konstantin sich keinesfalls sofort auf den Heimweg machte.
*
Bettina war mit ihrem Vortrag und der anschließenden Diskussion zufrieden. Die Leute hatten aufmerksam zugehört, und an den Fragen, die hinterher gestellt worden waren, hatte sie ablesen können, dass das Publikum das Leid der Bevölkerung und die Schwierigkeiten der in Afrika arbeitenden Ärzte durchaus