Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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die Schule ist.«

      »Schreibe ihm, wo sie ist; ich gebe einen halben Anna.« Die Rohrfeder kratzte hurtig. »Nun kann er sie finden.« Der Schreiber blickte auf. »Wer beobachtet uns da von der Straße her?«

      Kim sah rasch hinüber und gewahrte Oberst Creighton im Tennis-Kostüm.

      »Oh, das ist ein Sahib, der mit dem dicken Priester in den Baracken bekannt ist. Er winkt mir.«

      »Was tust Du da?« fragte Creighton, als Kim herantrottete.

      »Ich – ich laufe nicht davon. Ich sende einen Brief an meinen Heiligen in Benares.«

      »Das fiel mir nicht ein. Hast Du ihm geschrieben, daß ich Dich nach Lucknow bringe?«

      »Nein, das tat ich nicht. Lest den Brief, wenn Ihr mir nicht glaubt.«

      »Warum denn hast Du meinen Namen ausgelassen in dem Brief an den Heiligen?« Der Oberst lächelte sonderbar. Kim nahm seinen Mut in beide Hände.

      »Man sagte mir einmal, es wäre unangemessen, Namen von Fremden, die an einer Sache beteiligt waren, zu nennen, denn durch Nennung von Namen würde mancher gute Plan verdorben.«

      »Man hat Dich gut unterwiesen,« erwiderte der Oberst. Kim errötete. »Ich habe meine Zigarrentasche auf des Paters Veranda gelassen. Bringe sie mir diesen Abend nach meinem Hause.«

      »Wo ist das Haus?« fragte Kim. Sein Scharfsinn sagte ihm, daß er in irgendeiner Art auf die Probe gestellt würde, und er war auf seiner Hut.

      »Frage irgend jemand in dem großen Basar.« Der Oberst ging weiter.

      »Er hat seine Zigarrentasche vergessen,« sagte Kim, zurückkommend. »Ich soll sie ihm diesen Abend bringen. Mein Brief ist nun fertig – nur noch dreimal: »Komm zu mir! Komm zu mir! Komm zu mir.« Nun will ich die Marke bezahlen und ihn auf die Post tragen.« Er erhob sich, um zu gehen und fragte so obendrein: »Wer ist der Sahib mit dem verdrießlichen Gesicht, der seine Zigarrentasche verlor?«

      »Oh, das ist nur Creighton Sahib – ein ganz närrischer Sahib, der ein Oberst-Sahib ist ohne ein Regiment.«

      »Was treibt er denn?«

      »Gott weiß! Er kauft immerfort Pferde, die er nicht reiten kann und fragt in Rätseln über Werke Gottes – wie Pflanzen und Steine und die Sitten der Leute. Die Händler nennen ihn Vater der Narren, weil er so leicht mit einem Pferd zu beschwindeln ist. Mahbub-Ali sagt, er ist verrückter als alle anderen Sahibs.«

      »Oh!« machte Kim und ging. Die Art seiner Erziehung hatte ihm etwas Menschenkenntnis eingebracht, und er sagte sich, daß man einem Narren keine Mitteilung machen würde, die dazu führt, achttausend Mann nebst Kanonen mobil zu machen. Der Oberbefehlshaber von ganz Indien würde nicht so, wie Kim ihn gehört hatte, zu Narren reden, noch würde Mahbub Alis Ton sich ändern, wie er es immer tat, wenn er des Obersten Namen nannte, wäre der Oberst ein Narr. Und deshalb – Kim machte einen Seitensprung – mußte ein Geheimnis da sein, und Mahbub Ali spionierte wahrscheinlich ebenso für den Oberst, wie Kim für Mahbub Ali spioniert hatte. Und augenscheinlich, eben so wie der Roßkamm, achtete der Oberst solche Leute, die sich nicht als die Überklugen geberdeten.

      Er war froh, daß er getan hatte, als wisse er des Obersten Haus nicht; und als er bei der Rückkehr in die Kaserne keine Zigarrentasche fand, strahlte er vor Vergnügen. Das war ein Mann nach seinem Herzen – eine versteckte zweideutige Persönlichkeit, die ein geheimes Spiel spielte. Nun, wenn der ein Narr war, so konnte Kim es auch sein.

      Er verriet nichts von seinen Gedanken, als Vater Victor während dreier langer Morgen ihm von einer ganz neuen Gesellschaft von Göttern und untergeordneten Gottheiten sprach, besonders von einer Göttin – Maria genannt – die, so schien es ihm, gleichbedeutend war mit Bibi Miriam aus Mahbub Alis Theologie. Er zeigte weder Erregung, als nach der Lektion Vater Victor ihn von Laden zu Laden führte, um seine Ausstattung einzukaufen, noch klagte er, als die neidischen Tambour-Jungen ihn traten, weil er in eine höhere Schule kam; er erwartete den Wechsel der Umstände mit gespanntem Geist. Der gute Vater Victor begleitete ihn zur Station, brachte ihn in einen leeren Wagen zweiter Klasse, nächst Oberst Creightons erstklassigem, und sagte ihm mit wirklicher Rührung Lebewohl.

      »Sie werden Dich zu einem Manne machen in St. Xavier, O’Hara – einem weißen, und ich hoffe einem guten Manne. Sie wissen alles von Deiner Herkunft, und der Oberst wird sorgen, daß Du nicht verloren gehst unterwegs oder an einem falschen Platz ausgesetzt wirst. Von religiösen Dingen habe ich Dir, hoffe ich, einen Begriff gegeben und vergiß nicht, wenn man nach Deiner Religion fragt, Du bist katholisch – besser noch sage römisch-katholisch, obwohl ich das Wort nicht gerade liebe.«

      Kim zündete eine starke Zigarre an, er hatte sich Vorrat im Basar gekauft, und legte sich hin, um nachzudenken. Diese einsame Fahrt war sehr verschieden von der lustigen Reise in der dritten Klasse mit dem Lama. »Sahibs haben wenig Vergnügen beim Reisen,« dachte er. »Ho heh! Ich rolle von einem Ort zum andern wie ein Fußball. Es ist mein Kismet. Kein Mensch entgeht seinem Kismet. Aber ich soll zu Bibi Miriam beten, und ich bin ein Sahib« – er blickte wehmütig auf seine Stiefel. »Nein, ich bin Kim. Dies ist die große Welt und ich bin nur Kim. Was ist Kim?« Er grübelte über seine eigene Identität, etwas, was er bisher nie getan, bis ihm der Kopf schwindelte. Er war ein unbedeutendes Ding in diesem schwirrenden Wirbel von Indien, und ging südwärts in ein unbekanntes Geschick.

      Der Oberst ließ ihn holen und redete lange Zeit mit ihm. So viel Kim verstand, sollte er fleißig lernen, um später in den Vermessungsdienst von Indien einzutreten. Wenn er sehr tüchtig würde, und die erforderlichen Prüfungen bestände, könnte er mit siebzehn Jahren dreißig Rupien monatlich verdienen, und Oberst Creighton würde dafür sorgen, daß er passende Beschäftigung fände.

      Anfangs gab Kim sich den Anschein, als verstände er von drei Worten kaum eins. Da begann der Oberst fließend und schön Urdu zu reden, und Kim war zufrieden. Ein Mann, der diese Sprache so genau kannte, der so sanft und leise sich bewegte, dessen Augen so verschieden waren von den blöden, fetten Augen anderer Sahibs, der konnte kein Narr sein.

      »Ja, Du mußt Zeichnungen machen lernen von Wegen und Bergen und Flüssen und mußt diese Bilder vor Deinem inneren Auge bewahren, bis die passende Zeit da ist, sie zu Papier zu bringen. Eines Tages vielleicht, wenn Du ein Mann der Maßkette bist und wir zusammen arbeiten, werde ich Dir sagen: »Gehe über jene Hügel und siehe, was jenseits liegt.« Ein anderer aber würde vielleicht sprechen: »Böses Volk lebt in den Hügeln, das den Ketten-Mann totschlagen wird, wenn er wie ein Sahib aussieht.« Was würdest Du dann tun?«

      Kim überlegte: Würde es richtig sein, auf des Obersten Lockton einzugehen? »Ich würde Euch wiederholen, was der andere mir gesagt.«

      »Aber wenn ich darauf spräche: »Ich gebe Dir hundert Rupien, wenn Du berichtest, was hinter jenen Hügeln liegt – für eine Zeichnung eines Flusses oder eine Mitteilung, wie die Leute drüben gesinnt sind?«

      »Was kann ich sagen? Ich bin nur ein Knabe. Wartet bis ich ein Mann bin.« Schnell aber, als er einen Schatten auf des Obersten Stirn sah, fügte er hinzu: »Ich denke aber doch, ich würde die hundert Rupien bald verdienen.«

      »Auf welche Art?«

      Kim schüttelte den Kopf resolut. »Wenn ich sagen wollte, wie ich sie verdienen will, könnte es ein anderer hören und mir zuvorkommen. Es taugt nichts, was man weiß, um nichts zu verkaufen.«

      »Sag es mir denn jetzt.« Der Oberst hielt eine Rupie hoch, Kims Hand streckte sich aus, zog sich aber wieder zurück.

      »Nein, Sahib, nein. Ich kenne den Preis für die Antwort, aber ich weiß nicht, warum die Frage gestellt ist.«

      »Nimm es denn als Geschenk,« sagte Creighton, die Münze hinwerfend. »Es ist gute Anlage in Dir. Lasse sie in St. Xavier nicht stumpf werden. Viele von den Jungen dort verachten die Schwarzen.«

      »Dann waren ihre Mütter wohl Basar-Weiber,« sagte Kim. Er wußte wohl, wie tief der Haß des Halbbluts gegen seine schwarzen Brüder ist.

      »Wahr; aber Du bist ein Sahib und der Sohn eines Sahib.


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