Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Читать онлайн книгу.Mann. Was sagtest Du von dem Krieg?«
»Achttausend Mann und Kanonen dazu,« sagte Kim. »Ihr werdet es bald sehen.«
Du bist ein geriebener kleiner Kobold. Leg Dich zu den Trommler-Jungen in die Baba. Die beiden Burschen an Deiner Seite sollen Deinen Schlummer bewachen.«
Kapitel 6.
Sehr früh am nächsten Morgen wurden die weißen Zelte abgebrochen und verschwanden. Die Mavericks zogen auf einer Seitenstraße nach Umballa, die den Rastplatz nicht streifte, und Kim, neben einem Bagage-Wagen, unter dem Feuer der Glossen von Soldatenfrauen dahintrottend, war nicht so zuversichtlich wie am Abend vorher. Er bemerkte, daß er scharf bewacht wurde – Vater Victor an der einen, Bennett an der andern Seite.
Am Vormittag hielt die Kolonne plötzlich inne. Eine Ordonnanz zu Kamel überreichte dem Oberst einen Brief. Er las und sprach mit seinem Major. Eine Meile hinter sich her hörte Kim ein lautes, freudiges Gebraus von Stimmen durch den dicken Staub herüberrollen. Dann schlug ihn jemand auf den Rücken und rief: »Sag uns, woher Du das wußtest, Du Satanskind? Lieber Vater, versuchen Sie, es aus ihm heraus zu bekommen.«
Ein Pony hielt neben ihm und er wurde auf des Priesters Sattel hinaufgezogen.
»Nun, mein Sohn, Deine Prophezeiung von letzter Nacht ist wahr geworden. Unsere Ordre lautet, in Umballa den Train zu nehmen, um morgen zur Front zu gelangen.«
»Was ist das?« fragte Kim, dem Front und Train unbekannte Worte waren.
»Wir ziehen in den Krieg, wie Du ihn nennst.«
»Natürlich geht Ihr in den Krieg, ich sagte es letzte Nacht.«
»Das tatest Du; aber Mächte der Finsternis, wie konntest Du das wissen?«
Kims Augen funkelten. Er schloß die Lippen, nickte mit dem Kopf und sah unaussprechlich geheimnisvoll aus. Der Kaplan ritt weiter durch den Staub, und Gemeine, Unteroffiziere und Sergeanten machten sich gegenseitig auf den Knaben aufmerksam. Der Oberst an der Spitze der Kolonne starrte ihn neugierig an. »Es war wahrscheinlich ein Bazar-Gerücht,« sagte er, »aber selbst dann –« Er durchlas wieder das Papier in seiner Hand. »Zum Teufel, die Sache ist erst in den letzten achtundvierzig Stunden entschieden.«
»Gibt es mehr solche wie Du in Indien?« fragte Vater Victor, »oder bist Du speziell Naturspiel, Monstrosität, ein jusus naturae?«
»Nun da ich Euch alles gesagt habe, wollt Ihr mich nun zurückgehen lassen zu meinem alten Mann?« sprach der Knabe. »Wenn er nicht bei der Frau aus Kulu geblieben ist, so fürchte ich, daß er sterben wird.«
»Nach dem, was ich von ihm gesehen, meine ich, er wird selbst für sich sorgen können, ohne Dich. Nein, Du hast uns Glück gebracht und wir wollen Dich zu einem Manne machen. Ich will Dich nach Deinem Bagage-Wagen zurückbringen und heute abend kannst Du zu mir kommen.«
Für den Rest des Tages war Kim Gegenstand auszeichnender Beachtung unter einigen Hundert weißer Männer. Die Geschichte seines Erscheinens im Lager, der Entdeckung seiner Abstammung und seine Prophezeiung hatten durch öfteres Erzählen nicht verloren. Eine unförmig dicke weiße Frau fragte ihn von einem Haufen Bettzeug herunter geheimnisvoll: ob er glaube, daß ihr Mann wiederkommen würde aus dem Feldzug? Kim dachte tiefsinnig nach und sagte: daß er wiederkommen würde, und die Frau gab ihm zu essen. In mancher Beziehung war dieser große, von Zeit zu Zeit Musik machende Zug – diese lustig schwatzende und lachende Menge – einer Festlichkeit in Lahore wohl ähnlich. Bis soweit war keine schwere Arbeit in Aussicht und er beschloß, dem Schauspiel seine Protektion zu gewähren. Am Abend zogen ihnen Musikkorps entgegen, um die Mavericks ins Lager, nahe der Umballa-Eisenbahn-Station, zu spielen. Das war eine interessante Nacht. Leute von anderen Regimentern kamen, um die Mavericks zu besuchen. Die Mavericks machten wieder Besuche. Ihre Patrouillen zogen aus, sie zurückzugeleiten und begegneten Patrouillen anderer Regimenter in dem gleichen Dienst, und nach einer Weile bliesen die Hörner wie toll, um dem Tumult zu steuern. Die Mavericks hatten ihren flotten Ruf aufrecht zu halten; aber sie standen am nächsten Morgen auf dem Bahnsteig tadellos in Reih’ und Glied; und Kim, bei den Kranken, den Weibern und Dienern zurückgelassen, schrie begeistert Lebewohl, als die Züge abfuhren. Das Leben eines Sahib war bis soweit amüsant; dennoch wollte er es vorläufig nur mit vorsichtiger Hand erfassen. Er wurde unter Aufsicht eines Tambour-Jungen rückwärts abgewimmelt nach einer leeren, kalkgetünchten Baracke, deren Fußboden mit Abfall von Papieren und Stricken bedeckt war, und wo sein einsamer Schritt von den Decken widerhallte. Nach Landesart rollte er sich zusammen auf einem Gurtenbrett und schlief ein. Ein verdrießlicher Mann humpelte die Veranda herunter, weckte ihn auf und sagte, er wäre der Schulmeister. Das war genug für Kim; er verkroch sich in sein Gehäuse. Er konnte gerade die verschiedenen englischen Polizeibekanntmachungen in Lahore heraustifteln, denn die betrafen seine Behaglichkeit; und unter den mancherlei Leuten, die für ihn sorgten, war ein schnurriger Deutscher gewesen, der Dekorationen für ein wanderndes Parsi-Theater malte. Dieser sagte Kim, daß er »auf den Barrikaden von 48 gewesen« und deshalb – wenigstens verstand Kim es so – wollte er den Knaben schreiben lehren gegen Beköstigung. Bis zu den einzelnen Buchstaben war Kim mit Müh und Not vorgedrungen, aber er war nicht sehr erbaut von ihnen.
»Ich weiß gar nichts. Laß mich in Ruhe!« rief Kim, Übles ahnend. Darauf packte ihn der Mann am Ohr, zerrte ihn nach einem abgelegenen Seitenbau, wo ein Dutzend Tambour-Jungen auf Bänken saßen und befahl ihm, still zu sitzen, wenn er sonst nichts könnte. Das brachte er erfolgreich zustande. Der Mann erklärte dies und jenes, durch weiße Linien auf einem schwarzen Brett, wenigstens eine halbe Stunde lang und Kim setzte seinen unterbrochenen Schlummer fort. Der gegenwärtige Stand der Dinge mißfiel ihm sehr, denn dies war ja die Schule und Disziplin, die zu vermeiden er zwei Drittel seines jungen Lebens gestrebt hatte. Plötzlich kam ihm eine wundervolle Idee und er wunderte sich, daß sie ihm nicht früher gekommen. Der Schulmeister entließ sie und der erste, der durch die Veranda in den offenen Sonnenschein sprang, war Kim.
»Hör Du! Halt! Steh!« rief eine schrille Stimme hinter ihm. »Ich habe Dich zu bewachen. Meine Ordre ist, Dich nicht aus den Augen zu lassen. Wo willst Du hin?« Es war der Trommler-Junge, der sich den ganzen Vormittag an ihn gehängt hatte, ein fetter, sommersprossiger Kerl von vielleicht vierzehn Jahren und Kim verabscheute ihn von den Schuhsohlen bis an die Mützenbänder.
»Nach dem Basar – um Zuckerwerk zu kaufen – für Dich,« sagte Kim – mit Bedacht. »Hoh! der Basar ist verbotenes Terrain. Gehen wir dorthin, bekommen wir eine Tracht Prügel. Komm zurück.«
»Wie nahe dürfen wir denn gehen?« Kim wußte nicht, was »Terrain« bedeutete, wollte aber höflich bleiben – für jetzt.
»Wie nah? Wie weit meinst Du? So weit bis an den Baum unten am Wege.«
»Dann will ich bis dahin gehen.«
»Gut. Ich gehe nicht. Es ist zu heiß. Ich kann Dich von hier bewachen. Fortlaufen nutzt Dir nichts. Tätest Du es, würde man Dich an Deinem Anzug erkennen. Das ist Regimentsstoff, den Du trägst. Irgendeine Patrouille in Umballa würde Dich rascher zurückbringen als Du fortgerannt wärest.«
Das machte Kim weniger Bedenken als daß seine Kleidung ihn beim Laufen beschweren würde. Er schlenderte nach dem Baum an der Ecke der schattenlosen Straße, die nach dem Basar führte, und beobachtete die Vorübergehenden. Meistens waren es Kasernenaufwärter der niedrigsten Kasten. Kim rief einen Auskehrer an, der sofort mit einer Grobheit antwortete im natürlichen Glauben, daß der europäische Knabe nicht folgen könne. Die rasche leise Antwort verdutzte ihn; Kim legte seinen ganzen Ärger hinein, froh, jemand beschimpfen zu können in der ihm geläufigsten Sprache. »Und nun geh zum nächsten Briefschreiber im Basar und bestelle ihn hierher. Ich will einen Brief schreiben.«
»Aber – aber, was für eines weißen Mannes Sohn bist Du, daß Du einen Basar-Briefschreiber brauchst? Ist denn kein Schulmeister in den Baracken?«
»Ahi! die Hölle kann mit der Art