Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Читать онлайн книгу.vom Dialekt in sein plumpes Englisch zu übersetzen – »o ja, der vom Herrgott Buddha selbst gemacht war, wißt Ihr, und wenn Ihr Euch darin selbst wascht, so wascht Ihr alle Eure Sünden weg und werdet so weiß wie weiße Watte.« (Kim halte so etwas einmal von einer Missions-Rede aufgeschnappt.) »Ich bin sein Schüler und den Fluß müssen wir finden. Es ist so sehr wichtig für uns.«
»Wiederhole dies noch einmal,« sagte Bennett.
Kim gehorchte, aber mit Zusätzen.
»Aber das ist ja die reinste Gotteslästerung,« rief die Kirche von England.
»Tck! Tck!« sagte Vater Victor teilnahmsvoll. »Ich würde viel darum geben, den Dialekt zu verstehen. Ein Fluß, der von Sünden reinigt! Und wie lange sucht Ihr den schon?«
»Oh, viele Tage. Jetzt wünschen wir fortzugehen, um weiter zu suchen. Hier ist er nicht, seht Ihr.«
»Ich sehe,« sprach ernst Vater Victor. »Aber Du kannst nicht ferner in des alten Mannes Begleitung gehen, Kim. Du bist eines Soldaten Sohn. Sage ihm, das Regiment würde für Dich sorgen und Dich zu einem braven Manne machen, zu einem Mann so brav wie Dein – so brav wie ein Mann eben werden kann. Sage ihm, daß, wenn er an Wunder glaubt, er glauben muß, daß –«
»Weshalb mit seiner Leichtgläubigkeit Scherz treiben?« unterbrach Bennett.
»Ich tue nichts dergleichen. Er muß glauben, daß des Knaben Hierherkunft – zu seinem eigenen Regiment – auf der Suche nach seinem eignen Stier, eine Art von Wunder ist. Bedenken Sie doch, Bennett, wie die Umstände sich zusammen fügen! Gerade dieser eine Knabe in ganz Indien und unser Regiment, – aus allen übrigen heraus – auf der Marschroute, treffen sich hier. Das ist Prädestination. Ja, Kim, sage es ihm, es ist Kismet, Kismet … Mallum? Verstehst Du?«
Er wandte sich zu dem Lama um, dem man ebensowohl von Mesopotamien hätte reden können.
»Sie sagen« – des alten Mannes Auge leuchtete auf, als Kim ihn anredete – » »sie sagen, daß die Bedeutung meines Horoskops sich jetzt erfülle, und da ich zu diesen Leuten und ihrem Roten Stier hergeleitet wäre – obgleich. Du weißt es, ich nur aus Neugier in ihren Weg kam – ich nun in eine Madrissah gehen und ein Sahib werden müßte. Nun, ich tue so, als ob ich einwillige. Im schlimmsten Fall werden wir nur einige Mahlzeiten getrennt voneinander verzehren. Dann schlüpfe ich fort und folge Dir auf der Straße nach Saharunpore. Darum, Heiliger, bleibe bei der Kulu-Frau. Entferne Dich auf keinen Fall weit von ihren Wagen, bis ich wiederkomme. Keine Frage! Mein Symbol ist Krieg und Männer in Waffen. Sieh, wie sie mir Wein zu trinken gaben und mich auf ein Ehrenlager legten! Mein Vater muß eine hohe Person gewesen sein. Wenn sie mich nun unter sich zu Ehren erheben, gut – wenn nicht, auch gut. Wie es auch kommen mag, zu Dir werde ich zurück laufen, wenn ich es satt habe. Aber bleibe bei der Rajputni, sonst finde ich Deine Fußspur nicht wieder … O ja-ah,« wandte der Knabe sich zu den Priestern, »jetzt habe ich ihm alles gesagt, was Ihr befohlen.«
»Ich sehe nicht ein, warum er noch wartet,« meinte Bennett, in seine Hosentasche greifend, »die Details können wir später feststellen – ich werde ihm eine Rupie geben –«
»Geben Sie ihm Zeit,« sagte Vater Victor, die Hand des Geistlichen zurückhaltend, »vielleicht – er scheint den Knaben lieb zu haben –«
Der Lama zerrte an seinem Rosenkranz und zog den breiten Hutrand über seine Augen.
»Was kann er noch wollen?«
»Er sagt« – Kim hielt seine Hand empor – »er sagt: Seid still! Er will zu mir allein sprechen. Ihr seht, Ihr versteht nicht das kleinste Wort von seiner Rede und wenn Ihr ihn stört, mag er Euch vielleicht verwünschen. Wenn er seine Perlen so angreift, will er immer, daß man still ist.«
Die beiden Engländer blieben sprachlos; aber ein Etwas in Bennetts Auge verhieß Kim nichts Gutes, wenn er dem frommen Arm der Kirche überliefert werden sollte.
»Ein Sahib und der Sohn eines Sahib –« des Lamas Stimme klang heiser vor schmerzlicher Bewegung.
»Aber kein weißer Mann kennt das Land und die Sitten des Landes, wie Du sie kennst. Wie ist es möglich, daß dies wahr ist?«
»Was schadet’s, Heiliger! Denke, es ist nur für eine oder zwei Nächte. Erinnere Dich, ich kann mich rasch verwandeln. Es wird alles wieder so werden, wie damals, als ich zuerst mit Dir sprach unter Zam-Zammah, der großen Kanone.« –
»Als ein Knabe in der weißen Gewandung der weißen Männer – als ich zuerst das Wunderhaus betrat. Und beim zweiten Male warst Du ein Hindu. Wie wird Deine dritte Inkarnation sein?« Er lächelte traurig. »Ach Chela, Du hast einem alten Manne ein Unrecht getan, denn mein Herz ging zu Dir.«
»Und meins zu Dir. Aber wie konnte ich wissen, daß der Rote Stier mich in solche Geschichten bringen würde?«
Der Lama bedeckte sein Gesicht wieder und rasselte nervös mit dem Rosenkranz. Kim hockte an seiner Seite nieder und ergriff eine Falte seines Gewandes.
»Nun habe ich zu verstehen, daß der Knabe ein Sahib ist?« murmelte der Lama. »Solch ein Sahib, wie der, der die Bilder hütet in dem Wunderhaus.« Er sprach, als ob er eine Lektion wiederholte. »So geziemt es sich, daß er es nicht anders macht, wie andere Sahibs es machen. Er muß zurückkehren zu seinem eigenen Volk.«
»Für einen Tag und eine Nacht und noch vielleicht einen Tag,« tröstete Kim.
»Halt da!« Vater Victor sah Kim sich nach der Tür hinausschlängeln und stellte ein Bein davor.
»Ich verstehe die Sitten der weißen Männer nicht. Der Priester der Bildnisse in dem Wunderhaus von Lahore war gütiger, als der dünne Priester hier. Diesen Knaben will man mir nehmen? Einen Sahib wollen sie aus meinem Schüler machen? Wehe mir, wie soll ich meinen Strom finden? Haben sie keine Schüler? Frage!«
»Er sagt, er sei sehr traurig, daß er nun seinen Strom nicht finden würde. Er sagt, warum Ihr keine Schüler habt und nicht aufhört, ihn zu quälen? Er will von seinen Sünden rein gewaschen werden.«
Weder Bennett noch Vater Victor fanden ein Wort der Erwiderung.
So sprach denn Kim, traurig um des Lamas Schmerz, auf englisch: »Wenn Ihr uns nun fortlassen wolltet, wir würden still gehen und nicht stehlen. Wir wollen nur nach dem Fluß ausschauen, wie wir taten, ehe man mich fing. Oh, ich wollte, ich wäre nicht gekommen, um den roten Stier zu finden und all das andere. Ich will nichts weiter davon.«
»Es ist das beste Stück Arbeit, das Du jemals für Dich getan hast, junger Mann,« sagte Bennett.
»Gütiger Himmel, ich weiß nicht, wie ich ihn trösten soll,« sprach Vater Victor, den Lama teilnahmsvoll betrachtend; »er Kann den Knaben nicht mit fort führen und doch – er ist ein guter Mann – ich fühle es, er ist ein guter Mann. Bennett, wenn Sie ihm die Rupie anbieten, wird er Sie in Grund und Boden verfluchen.«
Sie lauschten gegenseitig auf ihre Atemzüge – drei – fünf volle Minuten. Dann hob der Lama sein Haupt empor und blickte – über sie hinweg – in Raum und Leere.
»Und ich bin ein Wandler des Pfades!« rief er bitter. »Die Sünde ist mein und die Strafe ist mein. Ich machte mich selbst glauben, – denn jetzt sehe ich ein, daß ich mir selbst etwas weismachte – Du wärest mir gesandt, mir beizustehen in meiner Suche, und so ging mein Herz zu Dir, um Deines Mitleids willen, um Deiner Höflichkeit, um Deiner Weisheit willen, bei Deinen jungen Jahren. Aber die dem Pfade folgen, dürfen sich nicht das Feuer eines Wunsches oder einer Zuneigung erlauben, denn dies alles ist Wahn. Wie sagt …« Er zitierte eine Sentenz aus einem alten, alten chinesischen Text, stützte sie auf eine andere und verstärkte sie durch eine dritte. »Ich wich ab vom Wege, mein Chela. Es war nicht Deine Schuld. Mich entzückte der Anblick des Lebens, des fremden Volkes auf den Straßen und Deine Freude an all diesem. Ich freute mich mit Dir, ich, der an meine Suche und nur allein an meine Suche denken mußte. Nun bin ich kummervoll, denn Du wirst mir genommen und mein Strom ist fern von mir. Das ist das Gesetz: ich habe es gebrochen.«
»Mächte der Finsternis drunten!«