Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Читать онлайн книгу.für Dich. Jede Begierde ist rot – und übel. Ich will Buße tun und meinen Fluß allein finden.«
»Kehre wenigstens zurück zu der Kulu-Frau,« flehte Kim, »Du wirst auf dem Wege sonst verloren gehen. Sie wird Dich ernähren, bis ich zu Dir zurücklaufe.«
»Und nun,« – der Lama sprach in einem anderen Ton, als er sich jetzt zu Kim wandte – »was werden sie mit Dir beginnen? Vielleicht vermag ich, indem ich Verdienst erwerbe, geschehenes Böses auszulöschen.«
»Mich zu einem Sahib machen – so denken sie. Den Tag nach morgen kehre ich zu Dir zurück. Sei nicht traurig.«
»Was für einen Sahib? So einen wie jener oder wie dieser Mann?« Er zeigte auf Vater Victor. »So einen, wie die sind, die ich diesen Abend gesehen – die Schwerter tragen und mit den Füßen stampfen?«
»Kann sein.«
»Das wäre nicht gut. Diese Männer folgen der Begierde und geraten in die Leere. Von ihrer Art darfst Du nicht sein.«
»Der Umballa-Priester sagte, mein Stern wäre Krieg,« warf Kim dazwischen. »Ich will diese Narren fragen – aber es ist wahrlich nicht nötig. Ich werde noch diese Nacht fortlaufen, so gern ich auch Neues sehe.«
Kim richtete auf englisch einige Fragen an Vater Victor und übersetzte dem Lama die Antworten.
Dann sprach er weiter: »Er sagt, »Ihr nehmt ihn mir und könnt nicht sagen, was Ihr aus ihm machen wollt.« Er sagt: »Sagt es mir; bevor ich gehe, denn es ist kein Kleines, ein Kind zu erziehen.«
»Du wirst in eine Schule geschickt. Späterhin werden wir weiter sehen. Kimball, ich vermute, Du möchtest gerne Soldat werden.«
»Gorah – log (weiße Leute)! Oh, nein! oh, nein!« Kim schüttelte den Kopf heftig. Drill und schablonenmäßige Übung paßte nicht zu seiner Beschaffenheit. »Ich will kein Soldat werden.«
»Du wirst werden, was man Dir befiehlt,« sagte Bennett, »und solltest dankbar sein, daß wir Dir helfen wollen.«
Kim lächelte mitleidig. Wenn diese Männer wähnten, er würde etwas tun, was ihm nicht gefiele, desto besser.
Wieder ein längeres Stillschweigen. Bennett wurde ungeduldig und machte eine Andeutung – ob nicht eine Schildwache den Fakir fortschaffen sollte –.
»Schenken sie oder verkaufen sie das Wissen unter den Sahibs? Frage sie,« sprach der Lama und Kim dolmetschte.
»Sie sagen: der Lehrer bekommt Geld – aber das Geld wird das Regiment zahlen … wozu das alles? Es ist ja nur für eine Nacht.«
»Und – je mehr Geld gezahlt wird, je mehr wird Wissen gegeben?« Der Lama beachtete Kims Plan einer baldigen Flucht nicht. »Es ist nicht unrecht, für Wissen zu zahlen; dem Unwissenden zu Weisheit verhelfen, ist immer ein Verdienst.« Der Rosenkranz rasselte heftig, wie ein Abacus (eine Art von Brettspiel), dann sah er seinen Quälern ins Gesicht.
»Frage sie, für wieviel Geld sie einen weisen und angemessenen Unterricht geben, und in welcher Stadt dieser Unterricht gegeben werden soll?«
»Nun,« sagte Vater Victor, als Kim übersetzt hatte, »das hängt von Umständen ab. Das Regiment würde für Dich zahlen für die ganze Zeit, die Du im Militär-Waisenhaus wärest; oder Du könntest in die Liste des Punjab-Freimaurer-Waisenhauses eingetragen werden (das wird aber weder er noch Du verstehen); die beste Erziehung, die ein Knabe in Indien finden kann, ist natürlich zu St. Xavier in Partibus zu Lucknow.« Die Übersetzung dauerte Bennett zu lange; er suchte sie zu unterbrechen.
»Er will wissen wieviel?« sagte Kim sanft.
»Zwei bis drei Hundert Rupien jährlich,« antwortete Vater Victor, der über nichts mehr erstaunte. Bennett, ungeduldig, begriff nicht.
»Er sagt: Schreibt den Namen und das Geld auf ein Papier und gebt es ihm. Und er sagt: Ihr müßt Euren Namen darunter setzen, denn er will Euch in einigen Tagen einen Brief schreiben. Er sagt: Du bist ein guter Mann. Er sagt: der andere Mann ist ein Tor. Er will fortgehen.«
Der Lama erhob sich plötzlich. »Ich folge meiner Suche,« rief er und war gegangen.
»Er wird mitten unter die Schildwachen hinein rennen,« rief Vater Victor, aufspringend, als der Lama hinaus stapfte. Kim machte eine rasche Bewegung, zu folgen, hielt aber inne. Man hörte keinen Anruf draußen. Der Lama war verschwunden.
Kim setzte sich gelassen auf des Kaplans Feldbett. Der Lama hatte wenigstens versprochen, bei der Rajput-Frau von Kulu zu bleiben; das übrige hatte keine Schwierigkeiten. Es belustigte ihn, daß die beiden Patres so augenscheinlich erregt waren. Sie redeten lange flüsternd miteinander. Vater Victor schien einen dringenden Vorschlag zu machen und Bennett abgeneigt zu sein. Das war alles sehr fesselnd, aber Kim ward schläfrig. Dann riefen sie noch Leute ins Zelt – unter ihnen war sicher der Oberst, von dem sein Vater prophezeite – man fragte ihn noch nach mancherlei, besonders auch nach der Frau, die sich seiner angenommen und die man, schien es, nicht für einen sehr passenden Vormund hielt. Kim antwortete möglichst aufrichtig. Das alles war neu und interessant und früher oder später wie es ihm beliebte, konnte er ja untertauchen im grauen, großen, formlosen Indien und Zelte und Patres und Oberst hinter sich lassen. Einstweilen, wenn denn die Sahibs so leicht erregbar waren, würde er sein Bestes tun, sie in Erregung zu halten.
Nach längerer Besprechung, von der er nichts verstehen konnte, überlieferten sie ihn einem Wachtmeister, mit strengem Befehl, ihn nicht entwischen zu lassen. Das Regiment hatte nach Umballa zu marschieren und Kim sollte, teils auf Kosten der Loge und teils durch Subskription, nach Sanawar geschickt werden.
»Es ist über alle Begriffe verwunderlich, Oberst,« schloß Vater Victor, nachdem er zehn Minuten ununterbrochen geredet hatte. »Sein buddhistischer Freund verschwand, nachdem er meinen Namen und meine Adresse erfragt. Ich werde nicht klug daraus, ob er für die Erziehung des Knaben zahlen oder eine Art Zauberkraft für eigene Rechnung erfinden will.« Dann zu Kim: »Du wirst Deinem Freunde, dem Roten Stier, einst noch dankbar sein. Wir wollen in Sanawar einen Mann aus Dir machen – selbst um den Preis, daß Du Protestant werden müßtest.«
»Sicher – aber ganz sicher,« sagte Bennett.
»Ihr aber werdet nicht nach Sanawar gehen,« sagte Kim.
»Wir aber werden auch nach Sanawar gehen, kleiner Mann. So ist der Befehl des Höchstkommandierenden, der wohl ein wenig mehr gilt als O’Haras Sohn.«
»Ihr werdet nicht nach Sanawar gehen, Ihr werdet in den Krieg gehen.«
Ein schallendes Gelächter folgte diesen Worten.
»Wenn Du Dein eigenes Regiment erst etwas besser kennst, Kim, wirst Du eine Marschlinie nicht mehr mit einer Schlachtlinie verwechseln. Wir werden, hoffen wir, auch einmal in den Krieg ziehen.«
»Oha! ich weiß mehr.« Kim lenkte sein Schiff einmal wieder auf gut Glück. Wenn sie nicht in den Krieg zogen, wußten sie wenigstens nicht, was er wußte aus dem Gespräch in der Veranda zu Umballa.
»Ich weiß, Ihr seid jetzt noch nicht mit im Krieg; aber ich sage Euch, sobald Ihr in Umballa seid, werdet Ihr in den Krieg geschickt – den neuen Krieg. Es ist ein Krieg von achttausend Mann, noch dazu die Kanonen.«
»Das ist deutlich. Hast Du prophetische Gaben neben Deinen anderen Talenten? Wachtmeister, führt ihn fort. Gebt ihm einen Anzug von den Tambour-Jungen und gebt acht, daß er Euch nicht durch die Finger schlüpft. Wer sagt, – daß das Zeitalter der Wunder vorüber ist! Ich will zu Bett gehen. In meinem Kopf dreht sich alles.«
Am fernen Ende des Lagers, schweigsam wie ein wildes Tier, saß Kim eine Stunde später, über und über frisch gewaschen, in einem Kleid von schrecklichem Stoff, der ihm Arme und Beine zerscheuerte.
»Ein wunderlicher junger Vogel,« sagte der Unteroffizier. »Taucht auf in Obhut eines gelbköpfigen studierten Brahmanen, trägt seines Vaters Freimaurer-Papiere um den Hals gebunden und redet Gott weiß was von einem Roten Ochsen. Der weise Brahmane verduftet ohne weitere Erklärung und der Junge sitzt kreuzbeinig auf des Kaplans Bett und