Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Читать онлайн книгу.selbst die Befehle geben zur Eröffnung des großen Krieges.«
»Hah!« Mahbub nickte mit glühenden Augen. »Das Spiel ist gut gespielt. Der Krieg ist nun beendet und das Unheil vor der Blüte abgeschnitten – dank mir – und Dir. Was tatest Du weiter?«
»Aus der Neuigkeit machte ich mir einen Angelhaken, um Nahrung und Ehre von den Dorfleuten zu bekommen, in dem Dorfe, wo der Priester meinen Lama mit Opium betäubte. Aber ich hatte des alten Mannes Geldbeutel an mich genommen, und der Brahmane fand nichts. Am andern Morgen war er wütend. Ho! Hoh! Und wieder benutzte ich die Neuigkeit, als ich dem weißen Regiment mit seinem Stier in die Hände fiel!«
»Das war Torheit,« brummte Mahbub. »Mit Neuigkeiten soll man nicht umher werfen wie mit Dungfladen, sondern sparsam mit ihnen umgehen wie mit – Bheing (Aus Hanf gewonnenes, berauschendes Getränk).«
»Jetzt denke ich auch so. Überdies hat es mir nichts genützt. Aber das ist lange her.« Er bewegte die schmale, braune Hand, als wolle er das alles wegbürsten. »Seitdem und besonders in der Nacht, unter der Punkah, in der Schule habe ich tief nachgedacht.«
»Ist es erlaubt zu fragen, wohin die Gedanken des Himmels-Entsprossenen geführt haben?« sprach Mahbub mit gewähltem Sarkasmus, seinen Scharlach-Bart glättend.
»Es ist erlaubt,« entgegnete Kim im selben Ton.
»In Nucklao sagen sie, ein Sahib muß einem schwarzen Mann nicht sagen, daß er ein Versehen gemacht hat.«
Mahbubs Hand fuhr in sein Gewand, denn einen Pathan einen »schwarzen Mann« (Kala admi) nennen, ist eine tödliche Beleidigung. Er besann sich aber und lachte. »Rede, Sahib, Dein schwarzer Mann hört zu.«
»Aber,« fuhr Kim fort, »ich bin kein Sahib und ich bekenne, ich machte einen Fehler, als ich Dich, Mahbub Ali, verwünschte, an dem Tage zu Umballa, wo ich glaubte, von einem Pathan betrogen worden zu sein. Ich war sinnlos; ich war eben erst gefangen, und ich wollte den niedrig geborenen Trommler umbringen. Heute sage ich, Hajji, Du hast wohl getan, und ich sehe den Weg zu einem guten Dienst klar vor mir. Ich werde in der Madrissah bleiben, bis ich reif bin.«
»Gut gesprochen. Besonders sind Distanzen und Zahlen und der Gebrauch des Kompasses wichtig zu lernen für das Geschäft. In den Hügeln oben erwartet Dich einer, um Dich zu unterweisen.«
»Ich will alles lernen unter einer Bedingung – daß meine Zeit ohne Weiteres mir gehört, wenn die Madrissah geschlossen wird. Fordere dies für mich von dem Oberst.«
»Aber warum den Oberst nicht selbst fragen in der Sahib-Sprache?«
»Der Oberst ist Diener der Regierung. Er muß auf einen Befehl hierhin und dorthin gehen und muß an seine eigene Beförderung denken. (Sieh, wie viel ich schon in Nucklao gelernt habe!) Außerdem, den Oberst kenne ich seit drei Monaten; Mahbub Ali aber seit sechs Jahren. So! Nach der Madrissah will ich gehen. In der Madrissah will ich ein Sahib sein. Aber wenn die Madrissah geschlossen wird, will ich frei unter mein Volk gehen. Sonst sterbe ich!«
»Und wer ist Dein Volk, Freund aller Welt?«
»Dieses große und wundervolle Land,« sagte Kim, und fuhr mit der Hand rundum in dem kleinen lehmwandigen Raum, wo die Öllampe in der Nische dunkel durch den Tabaksqualm schimmerte. »Und dann – ich möchte meinen Lama wiedersehen. Und dann – ich brauche Geld.«
»Das braucht jeder,« sagte Mahbub kläglich. »Ich will Dir acht Annas geben, das muß für lange Zeit genügen, denn viel Geld ist nicht aus Pferdehufen zu gewinnen. Übrigens bin ich zufrieden mit Dir, und wir brauchen nichts weiter zu reden. Lerne tüchtig und in drei Jahren, vielleicht schon früher, kannst Du eine Stütze sein, selbst für mich.«
»Bin ich bis jetzt so nutzlos gewesen?« kicherte Kim.
»Gib keine Antworten,« brummte Mahbub. »Du bist mein neuer Pferdejunge. Geh und leg Dich zwischen meinen Leuten nieder. Sie sind nahe dem nördlichen Ende der Station mit den Rossen.«
»Sie werden mich an das südliche Ende hinunter prügeln, wenn ich ohne Vollmacht komme.«
Mahbub faßte in den Gürtel, rieb den angefeuchteten Daumen an einem Stück chinesischer Tinte und preßte den Abdruck davon auf ein Blatt weichen landesbräuchlichen Papieres. Von Balkh bis Bombay kennen die Leute diesen groblinigen Stempel mit der alten, diagonal verlaufenden Narbe darüber.
»Das genügt für meinen Obmann. Ich komme gegen Morgen.«
»Auf welchem Wege?«
»Auf dem Wege von der Stadt her. Es gibt nur den einen. Und dann kehren wir zu Creigthon Sahib zurück. Ich habe Dir eine Tracht Prügel erspart.«
»Allah! Was ist eine Tracht Prügel, wenn der Kopf lose auf den Schultern sitzt?«
Kim glitt leise in die Nacht hinein, glitt halb um das Haus herum, hielt sich dicht an der Mauer und marschierte wohl eine Meile weg von der Station; machte dann einen weiten Bogen und schlenderte nach der Station zurück. Er brauchte Zeit, ein Märchen zu erfinden für den Fall, daß Mahbubs Leute ihn ausfragen sollten. Diese lagerten auf einem unbenutzten Platz neben der Eisenbahn und hatten, als Eingeborene, selbstverständlich nicht Mahbubs Tiere ausgeladen aus den beiden Viehwagen, wo sie unter einer Sendung anderer von der Bombay Straßenbahn-Compagnie angekaufter heimischer Zuchtpferde standen. Der Obmann, ein heruntergekommener, schwindsüchtig aussehender Muselmann, fuhr Kim sofort grob an, beruhigte sich aber beim Erblicken von Mahbubs Handabdruck.
»Der Hajji hatte die Güte, mich in Dienst zu nehmen,« sprach Kim gekränkt. »Bezweifelst Du es, so warte, bis er am Morgen selbst kommt. Und nun, einen Platz am Feuer.«
Es folgte das übliche nichtssagende Geschwätz, das Niederklassige bei jeder Gelegenheit anheben. Als es still ward, lagerte Kim sich hinter dem Häuflein von Mahbubs Knechten, fast unter den Rädern eines Viehwagens, zugedeckt mit einer geliehenen wollenen Decke. Eine Schlafstelle zwischen Ballastabfall und Ziegelbarren, zwischen zusammengedrängten Pferden und ungewaschenen Baltis, in einer feuchten Nacht, würde wenigen weißen Knaben behagen; Kim aber war glückselig. Wechsel der Umgebung, der Beschäftigung, der Verhältnisse, das war Kims Lebenslust; und der Vergleich seines Lagers mit den in Reih und Glied stehenden saubern weißen Betten unter der Punkah in St. Xarier, machte ihn so lustig, als wäre es ihm gelungen, das Einmaleins auf Englisch richtig zu wiederholen.
»Ich bin sehr alt,« dachte er, halb im Schlaf. »Jeden Monat werde ich ein Jahr älter. Ich war sehr jung und ein Narr vom Kopf bis zu den Füßen, als ich Mahbubs Botschaft nach Umballa trug. Auch bei dem weißen Regiment war ich noch sehr jung und klein und nicht klug. Jetzt aber lerne ich jeden Tag mehr, und in drei Jahren wird der Oberst mich aus der Madrissah nehmen, mich mit Mahbub auf die Heerstraße nach Stammbäumen von Rossen jagen lassen, oder vielleicht darf ich allein gehen; oder – kann sein – ich finde den Lama und gehe mit ihm. Ja; das wäre das Beste; wieder als Chela mit meinem Lama wandern, wenn er zurückkehrt nach Benares.«
Die Gedanken wurden langsamer und undeutlicher. Er versank in ein wundervolles Traumland; da traf ein Flüstern sein Ohr, scharf vernehmbar über dem einförmigen Geplapper am Feuer. Es kam hinter dem eisenbeschlagenen Viehwagen hervor.
»Er ist also nicht hier?«
»Wo wird er anders sein als in der Stadt herumschwärmen! Wer sucht nach einer Ratte in einem Froschteich? Komm weiter. Er ist nicht unser Mann.«
»Er darf nicht ein zweites Mal über die Pässe zurückkommen. Es ist Befehl.«
»Finde ein Weib, das ihm einen Trank gibt. Das kostet nur einige Rupien und Zeugen gibts keine dann.«
»Ausgenommen das Weib. Es muß sicherer gemacht werden. Bedenke den Preis auf seinen Kopf.«
»Jawohl; aber die Polizei hat einen langen Arm, und wir sind fern von der Grenze. Wenn es in Peshawur wäre –« »Ja – in Peshawur,« höhnte die zweite Stimme. »Peshawur, das voll von seinen Blutsverwandten ist – voll von Schlupfwinkeln und von Weibern, hinter deren Röcken er sich verstecken kann. Peshawur oder die Hölle könnten mir gleich gut passen.«
»Was ist