Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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hier – aufstände und ginge – schau, die Tür ist offen – bis an ein gewisses Haus mit rot gemalter Veranda, hinter dem Gebäude, das früher das alle Theater in dem unteren Basar war, und flüsterte durch die Fensterläden: »Hurree Chunder Mookerjee brachte die schlimme Nachricht vom letzten Monat,« der Knabe könnte einen Gürtel voll Rupien mitnehmen.«

      »Wie viele?« fragte Kim rasch.

      »Fünfhunderttausend – soviel er fordern würde.«

      »Gut. Und wie lange hätte der Knabe zu leben, nachdem die Neuigkeit mitgeteilt wäre? Er grinste vergnügt dicht an Lurgans Bart.

      »Ah! Das ist wohl zu bedenken. Vielleicht, wenn er es sehr gescheit anfinge, den Tag zu Ende – aber nicht die Nacht. Auf keinen Fall die Nacht.«

      »Was ist denn aber des Babus Sold, wenn soviel auf seinen Kopf gesetzt ist?«

      »Achtzig – vielleicht hundert – vielleicht hundert und fünfzig Rupien; aber der Sold ist das Geringste bei der Arbeit. Von Zeit zu Zeit läßt Gott Männer geboren weiden – und Du bist einer von diesen – die aus reiner Lust an Gefahr ihr Leben riskieren und Neues entdecken – heute vielleicht von ganz entfernten Dingen, morgen von irgendeinem versteckt liegenden Berg, den nächsten Tag von Leuten ganz in der Nähe, die eine Torheit gegen den Staat begangen haben. Solcher Seelen gibt es wenige, und von diesen wenigen sind wohl kaum zehn von der besten Art. Zu diesen Zehn rechne ich den Babu, und das ist wunderbar. Wie groß und begehrenswert muß ein Geschäft sein, das das Herz eines Bengalen kühn macht!«

      »Wahr. Aber die Tage gehen mir zu langsam. Ich bin noch ein Knabe, und erst seit zwei Monaten lernte ich Angrezi (Englisch) schreiben. Noch heute kann ich es nicht gut lesen. Und es sind noch Jahre und Jahre und lange Jahre, bevor ich nur ein Mann von der Kette sein kann.«

      »Habe Geduld, Freund aller Welt,« – Kim stutzte bei der Benennung – »wollte, ich hätte einige von den Jahren, die Dich so ungeduldig machen. Ich habe Dich in verschiedenen kleinen Versuchen auf die Probe gestellt. Das soll nicht vergessen werden, wenn ich dem Oberst Sahib Bericht erstatte.« Dann plötzlich in englischer Sprache, lachend: »Beim Zeus! O’Hara, ich glaube, in Euch steckt viel. Aber Ihr dürft nicht stolz werden und nicht schwatzen. Ihr müßt nach Lucknow zurückkehren, ein braver kleiner Junge sein und über den Büchern sitzen, und in den nächsten Ferien vielleicht, wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr wieder zu mir kommen.« Kim sah enttäuscht aus. »O, ich sage: wenn Ihr es wünscht. Ich weiß, wohin Ihr gehen möchtet.«

      Vier Tage später war für Kim ein Platz auf dem Rücksitz einer Kalka-Tonga bestellt. Sein Reisegefährte war der walfischähnliche Babu, der, einen ausgefranzten Shawl um den Kopf geschlungen und das fette linke Bein in durchsichtigem Strumpf auf den Sitz gezogen, in der Morgenkälte schauderte und stöhnte.

      »Wie kommt es, daß dieser Mann einer von »Uns« ist?« dachte Kim, den breiten Rücken betrachtend, während sie die Straße abwärts rüttelten; und dieser Gedankengang zog ihn weiter in heitere Zukunftsträume. Lurgan Sahib hatte ihm fünf Rupien gegeben – eine stattliche Summe – dazu die Versicherung seiner Protektion, wenn er fleißig lernen würde.

      Ungleich Mahbub Ali, hatte Lurgan deutlich von dem Lohn gesprochen, der dem Gehorsam folgen würde, und Kim war zufrieden. Wenn er nur, wie der Babu, der Würde einer Zahl und eines Buchstabens – und eines Preises auf seinen Kopf – teilhaftig würde! Eines Tages würde er das alles erreichen. Eines Tages würde er so mächtig sein, fast wie Mahbub Ali. Statt der Hausbücher von einstmals würde dann halb Indien der Schauplatz seiner Nachforschungen sein. Der Spur von Königen und Ministern würde er folgen, wie er einst in Lahore in Mahbubs Spiondienst der Spur von Kommissionären und Advokaten gefolgt war. Inzwischen war die Gegenwart, mit St. Xavier in Aussicht, auch nicht zu verachten. Neu angekommene Knaben würden zu protegieren und neue Abenteuer aus der Ferienzeit anzuhören sein. Der junge Martin, Sohn des Teepflanzers zu Manipur, hatte geprahlt, er würde mit einer Flinte in den Krieg gegen die Kopfjäger gehen. Das konnte ja sein, aber sicher war Martin nicht bei einer Feuerwerk-Explosion durch den Vorhof eines Patiala-Palastes geschleudert; noch hatte er … Kim rechnete sich seine Abenteuer während der letzten drei Monate vor. Er konnte St. Xavier in Erstaunen setzen, selbst die größten Jungen, die sich schon rasierten – durch seine Erzählung, wäre das erlaubt gewesen. In nicht zu ferner Zeit, wie Lurgan ihm versicherte, würde ein Preis auf seinen Kopf gesetzt werden; wenn er aber jetzt törichte Reden führte, würde nicht allein dieser Preis nicht gesetzt, sondern auch würde Oberst Creighton ihn verstoßen, und – er würde dem Zorn Lurgan Sahibs und Mahbub Alis überliefert bleiben für die kurze Zeit, die er dann noch zu leben hätte.

      »So würde ich Delhi hingeben, um einen Fisch zu gewinnen,« war seine sprichwörtliche Philosophie. Ihm gebührte es, seine Ferienzeit zu vergessen (blieb doch immer noch das Vergnügen, Abenteuer zu erdichten) und, wie Lurgan sagte, zu arbeiten.

      Von allen Knaben, die nach St. Xavier zurückkehrten, von Sukkur in den Sandwüsten her, bis zu Galla unter den Palmen, war keiner so voll guter Vorsätze, wie Kimball O’Hara, der da nach Umballa hinunterrasselte hinter Hurree Chunder Mookerjee, dessen Name in den Büchern einer Sektion des Ethnologischen Amtes R. 17 war. Und war es nötig, Kim noch mehr anzuspornen, so tat der Babu es in vollem Maß. Nach einer reichlichen Mahlzeit in Kalka redete er ununterbrochen.

      Kehrte Kim in die Schule zurück, dann wollte er, Magister der Universität von Calcutta, ihm die Vorteile einer guten Erziehung klar machen. Es waren Preise zu gewinnen für gehörigen Fleiß im Lateinischen und bei Wordsworth »Excursion« (das war für Kim Chaldäisch). Auch Französisch war Lebensfrage; das beste hörte man in Chandernagore, einige Meilen von Calcutta. Ja, man konnte bei strenger Aufmerksamkeit weil kommen, er selbst wäre weit damit gekommen, wenn man den Dramen Lear und Julius Cäsar strenge Aufmerksamkeit schenkte; beide ständen bei den Examinatoren in hohem Werte. Lear wäre nicht so voll historischer Beziehungen wie Julius Cäsar; das Buch kostete vier Annas, man könnte es aber im Bow-Basar aus zweiter Hand für zwei Annas kaufen. Noch wichtiger als Wordsworth und die eminenten Autoren Burke und Hare wäre die Kunst und Wissenschaft der Vermessung. Ein Knabe, der sein Examen hierin bestanden – für welches, beiläufig bemerkt – Keine Einpauke-Bücher existieren – könnte bei einfachem Marschieren durch eine Gegend, mit Hilfe von Kompaß und Richtscheit und scharfem Blick ein Bild von der Gegend mitnehmen, das mit großen Summen geprägten Silbers bezahlt würde.

      Da es gelegentlich nicht ratsam sein würde, Meßketten mit sich zu tragen, so würde so ein Knabe gut tun, die genaue Länge seines eigenen Fußes zu kennen, so daß er, was Hurree Chunder »nebensächliche Hilfsmittel« nannte, dennoch seine Distanzen abschreiten könnte. Um Tausende von Schritten richtig zu zählen, hatte Hurree Chunders Erfahrung ihn gelehrt, daß dafür ein Rosenkranz von 81 oder 108 Perlen unschätzbar wertvoll sei, denn er wäre teilbar und abermals teilbar in den verschiedensten Multiplikationen. Aus dem überstürzten Schwall der englischen Worte erhaschte Kim doch die Haupt-Tendenz ihres Sinnes und die fesselte ihn sehr. Hier war eine neue Fertigkeit, die ein Mann in seinem Kopf aufspeichern konnte; und nach dem Anschein der großen, weiten Welt, die sich vor ihm auftat, schien es: je mehr ein Mann wisse, desto besser für ihn.

      Nachdem der Babu lange Zeit in dieser Weise geredet, sagte er plötzlich: »Ich hoffe, eines Tages Euere amtliche Bekanntschaft zu machen. Ad interim, wenn ich mich so ausdrücken darf, gebe ich Euch diese Beteldose, die ein sehr schätzbarer Gegenstand ist und mich vor vier Jahren zwei Rupien kostete.« Es war ein billiges, in Herzform geschnittenes Blechding mit drei Abteilungen, zur Aufnahme der ewigen Betelnuß von Kalk und Betelpfeffer-Blatt, war aber angefüllt mit kleinen Pillen-Fläschchen. Das zum Lohn des Verdienstes, daß Ihr da oben den heiligen Mann so gut kopiert habt. Seht, Ihr seid so jung und denkt, Ihr haltet für ewig aus und achtet nicht auf Euren Körper. Es ist aber sehr schlimm, mitten in der Arbeit krank zu werden. Ich lege Wert auf Arzeneimittel; man soll sie auch zur Hand haben, um arme Leute zu kurieren. Dieses sind gute Departements-Medizinen: Chinin und so weiter. Ich gebe sie Euch als Andenken. Lebt nun wohl! Ich habe dringende Privatgeschäfte hier am Wege.«

      Geräuschlos wie eine Katze schlüpfte er vom Wagen, rief eine vorbeifahrende Ekka an und rasselte weiter, Kim, vor Erstaunen stumm und mit der Blechdose in den Händen, zurücklassend.


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