Gesammelte Werke von Joseph Roth. Йозеф Рот

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Gesammelte Werke von Joseph Roth - Йозеф Рот


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hörte, während ich meine Schlüssel abgab, wie Ignatz mit Alexanderl diskutierte.

      Viele, die kein Geld fürs Hotel Savoy hatten, richteten sich in den Baracken ein.

      Es sah aus, als wollte ein neuer Krieg ausbrechen. So wiederholt sich alles: Der Rauch steigt wieder aus den Schornsteinen der Baracken, Kartoffelschalen liegen vor den Türen, Fruchtkerne und faule Kirschen – und Wäsche flattert auf ausgespannten Schnüren.

      Es wurde unheimlich in der Stadt.

      Man sah bettelnde Heimkehrer, sie schämten sich nicht. Ausgezogen waren sie als kräftige und stolze Männer, und jetzt konnten sie sich nicht mehr das Betteln abgewöhnen. Nur wenige suchten Arbeit. Bei den Bauern stahlen sie, gruben Kartoffeln aus dem Boden, schlugen Hühner tot und erwürgten Gänse und plünderten Heuschober aus. Alles schleppten sie in die Baracken, sie kochten dort, aber gruben keine Latrinen aus, man konnte sie an den Wegrändern hocken und ihre Notdurft verrichten sehn.

      Die Stadt, die keine Kanäle hatte, stank ja ohnehin. An grauen Tagen sah man am Rand des hölzernen Bürgersteigs, in den schmalen, unebenen Rinnen schwarze, gelbe, lehmdicke Flüssigkeit. Schlamm aus den Fabriken, der noch warm war und Dampf aushauchte. Es war eine gottverdammte Stadt. Es roch, als wäre hier der Pech-und Schwefelregen niedergegangen, nicht über Sodom und Gomorra.

      Gott strafte diese Stadt mit Industrie. Industrie ist die härteste Strafe Gottes.

      Man war hier an die Heimkehrerperioden gewöhnt, keine Behörde störte sie. Vielleicht ängstigte sich die Polizei vor den vielen verwegenen Menschen, und man wollte keinen Aufruhr. Die Arbeiter Neuners streikten ohnehin schon vier Wochen lang – wenn es hier einmal zu Kämpfen kam, waren die Heimkehrer dabei.

      Sie kamen aus Rußland, sie brachten den Atem der großen Revolution mit, es war, als hätte sie die Revolution nach Westen gespuckt wie ein brennender Krater seine Lava.

      Lange waren die Baracken leer gewesen. Jetzt wurden sie plötzlich so lebendig, daß man glaubte, heut oder morgen würden sie anfangen, sich in Bewegung zu setzen. Des Nachts brannten dürftige Talgkerzen, aber eine wilde Fröhlichkeit erfüllte sie. Die Mädchen kamen zu den Heimkehrern, man trank Schnaps und tanzte und verbreitete die Syphilis.

      Mein Freund Zwonimir geht in die Baracken, denn er liebt Aufregung und Unruhe und vergrößert sie. Er erzählt den Hungernden von den Reichen, schimpft auf den Fabrikanten Neuner und erzählt von den nackten Mädchen in der Bar des Hotels Savoy.

      »Du übertreibst ja«, sage ich zu Zwonimir.

      »Das muß man tun, sonst glauben sie einem nichts«, sagt er.

      Er erzählt vom Tod Santschins so, als wäre er dabeigewesen.

      Er hat eine Kraft zu schildern, der Atem des wahrhaftigen Lebens geht von seinen Reden aus.

      Die Heimkehrer hören zu, und dann singen sie Lieder, jeder sein Heimatlied, und alle klingen gleich. Tschechische Lieder und deutsche, polnische und serbische, und in allen liegt die gleiche Trauer, und alle Stimmen sind gleich rauh und hart und grölend – und dennoch klingen die Melodien so schön, wie manchmal die Stimme eines alten, häßlichen Leierkastens schön ist – an Märzabenden, im Vorfrühling, an Sonntagen, wenn die Straßen leer und reingefegt sind, von den großen Glocken, die des Morgens über die Stadt gingen.

      Die Heimkehrer essen in der Armenküche, und Zwonimir auch. Er sagt, das Essen schmecke ihm. Zwei Tage essen wir in der Armenküche, und ich sehe, daß Zwonimir recht hat.

      »Amerika!« sagt Zwonimir.

      Es war eine dicke Bohnensuppe, wenn man den Löffel hineinsteckte, blieb er drinnen wie ein Spaten in der Erde. Das ist Geschmacksache, ich liebe dicke Bohnen-und Kartoffelsuppen.

      Niemals öffnet man die Fenster in der Armenküche, deshalb liegt der Duft alter Speisereste in den Winkeln und steigt von den nie gewaschenen Tischplatten auf, wenn der Dampf der frischgekochten Speisen ihn zu neuem Leben erweckt.

      Und die Menschen sitzen eng an den Tischen, ihre Ellbogen führen Krieg gegeneinander. Ihre Seelen sind friedlich, ihre Gesinnungen freundschaftlich, und ihre Arme führen Krieg.

      Die Menschen sind nicht schlecht, wenn sie viel Raum haben. In den großen Gasthäusern nicken sie einander fröhlich zu, weil sie Platz finden. Bei Phöbus Böhlaug streitet niemand, weil die Menschen einander aus dem Wege gehn, wenn es ihnen nicht mehr paßt. Aber wenn zwei in einem engen Bett liegen, kämpfen ihre Beine im Schlaf, und ihre Hände zerreißen die dünne Decke, die sie einhüllt.

      Wir stellten uns um halb eins an das Ende einer langen Menschenkette. Vorne stand ein Polizist und wedelte mit dem Säbel, weil er sich langweilte. Je zwanzig wurden eingelassen, wir standen paarweise. Zwonimir und ich zusammen.

      Zwonimir fluchte, wenn es zu langsam ging. Er sprach mit dem Polizisten, der ihm nicht gerne antwortete, weil die Behörde schweigsam sein muß.

      Zwonimir sagte ihm »du« und »Kamerad«, und einmal erklärte er, daß ein Polizist gar keinen Grund hätte, so stumm zu sein.

      »Du bist stumm wie ein Fisch, Kamerad!« sagte Zwonimir. »Nicht wie ein lebendiger, sondern wie ein toter Fisch, den man mit Zwiebeln füllt hierzulande. Bei uns zu Hause werden nur gesprächige Menschen zur Polizei engagiert, so wie ich einer bin.«

      Die Arbeiterfrauen erschrecken ob solcher Rede und fürchten sich zu lachen.

      Der Polizist, der sieht, daß er Zwonimir unterlegen ist, zwirbelt seinen Schnurrbart und sagt:

      »Das Leben ist langweilig. Es gibt kein Gesprächsthema.«

      »Siehst du, Kamerad«, sagt Zwonimir, »das kommt davon, daß du nicht in den Krieg gegangen bist, sondern zur Militärpolizei. Wenn man im Schützengraben gelegen hat wie wir, hat man Gesprächsstoff bis zum Tod.«

      Hier lachen einige Heimkehrer. Der Polizist sagt:

      »Unser Leben war auch in Gefahr!«

      »Ja«, erwidert Zwonimir, »wenn ihr einen mutigen Deserteur gefaßt habt – freilich, das glaub’ ich schon, da war euer Leben in Gefahr.«

      Kein Zweifel, die Heimkehrer liebten meinen Freund Zwonimir, und die Polizisten nicht.

      »Du bist ein Fremder«, sagen sie zu ihm, »und sprichst zu viel bei uns.«

      »Ich bin ein Heimkehrer und darf mich hier aufhalten, Freund, weil meine Regierung mit der deinigen eigens deswegen einen Vertrag geschlossen hat. Das verstehst du nicht: Es gibt in meinem Lande der Eurigen genug, und wenn ihr mir hier ein Haar krümmt, schlägt meine Regierung daheim den Eurigen die Köpfe ab. Aber man sieht, du hast keine Politik studiert. Bei uns zu Hause muß jeder Polizist eine Prüfung in Politik ablegen.«

      Das sind wirksame Argumente, und die Polizisten schweigen.

      Und Zwonimir konnte jeden Tag fluchen.

      Er fluchte, wenn er lange warten mußte, und auch drinnen, wenn er die Suppe schon in der Hand hielt. Sie war kalt oder ungesalzen oder zu sehr gesalzen. Er steckte die Menschen mit seiner Unzufriedenheit an, sie schimpften alle, schweigend oder laut, so, daß die Köche hinter den Scheibenfenstern erschraken und noch einen Löffel mehr dazugaben, als sie gewohnt waren und als ihnen befohlen war. Zwonimir vergrößerte die Unruhe.

      Die Arbeiterfrauen nahmen die Suppe in Töpfen nach Hause, für den Abend.

      Sie hätten die Suppe auch in Zeitungspapier packen können, wie sie es mit dem Viertel Brot taten – so erstarrt und zäh war sie, wenn man sie kalt werden ließ. Es war dennoch eine schmackhafte Suppe, man aß sie sehr lange, und weil nur je zwanzig eingelassen wurden, dauerte die Abspeisung drei Stunden.

      Man hörte, daß die Köche unzufrieden waren, sie wollten nicht für geringen Lohn einen ganzen Tag arbeiten. Von den Wohltätigkeitsdamen, die umsonst und ehrenhalber die Aufsicht führen sollten, war am zweiten Tag nichts mehr zu sehen. Zwonimir hatte eine »Tante« genannt, und man drohte, die Küche zu sperren.

      »Wenn sie nur die Küche sperren!« sagt Zwonimir.


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