Gesammelte Werke von Joseph Roth. Йозеф Рот

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Gesammelte Werke von Joseph Roth - Йозеф Рот


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ein Sieger auf trabendem Roß, zwischen grüßenden Spalieren, Retter des Vaterlandes vielleicht. In diesen Zeiten gewinnt der Wagende.

      Ein paar Tage später bekam er den ersten Befehl: bei Efrussi zu kündigen, zugleich mit dem ersten, von Heinrich Meyer unterzeichneten Scheck über einen phantastisch hohen Betrag, bei der Dresdener Bank zu beheben. Niemals war so viel Geld bei Theodor gewesen, im Nu veränderte der Besitz seine Miene, seinen Gang, seine Haltung, seine Umwelt. Es war ein heller Aprilabend, die Mädchen trugen leichte Kleider und lebendige Brüste. Die Fenster einer ganzen Häuserfront standen offen. Zwitschernde Spatzen hüpften zwischen gelbem Pferdekot. Es lächelte die Straße. Schon trug der Laternenanzünder den sommerlich weißen Kittel. Die Welt verjüngte sich ohne Zweifel. Die letzten Sonnenstrahlen zitterten in kleinen Kotlachen. Die Mädchen lächelten und schienen sehr zugänglich. Es gab blonde und braune und schwarze. Aber das war eine oberflächliche Einteilung, Mädchen mit breiten Hüften sind Theodors besondere Lieblinge. Er liebt es, Zuflucht und Heimat zu finden im Weibe. Er will nach vollendeter Liebe Mütterlichkeit, weite, breite, gütige. Er will seinen Kopf zwischen großen, guten Brüsten betten.

      Das war ein Tag, an dem ihm die Kündigung bei Efrussi leichtfallen mußte. Zwei Jahre war er ins Haus gekommen, Tag für Tag, und jetzt wird er die junge Frau Efrussi nicht mehr sehen. Er dachte ihrer wie einer Landschaft, die man einmal aus der Ferne erblickt hat und in der ein Verweilen unmöglich war.

      Er könnte vielleicht schriftlich kündigen – unter irgendeinem Vorwand. Prüfungen nähmen ihn jetzt so in Anspruch. Allein das wäre nicht nur Lüge, wäre Feigheit sogar und die Gelegenheit, dem verhaßten Efrussi die lange krampfhaft zurückgehaltene Wahrheit zu sagen, versäumt. »Herr Efrussi, ich bin ein armer Deutscher, Sie ein reicher Jude. Es bedeutet Verrat, eines Juden Brot zu essen.«

      Aber Theodor sprach nicht so zu dem schwarzen, hageren Efrussi, dessen Angesicht an das Porträt einer alten Frau mit strengen Zügen erinnerte. Theodor sagte nur:

      »Ich will Ihnen etwas mitteilen, Herr Efrussi.«

      »Bitte!« sagte Efrussi.

      »Ich unterrichte in Ihrem Hause schon zwei Jahre …«

      »Ihren Gehalt will ich erhöhen«, unterbricht Efrussi.

      »Nein, im Gegenteil, ich will kündigen«, sagt Theodor.

      »Weshalb?«

      »Weil Herr Trebitsch nämlich …«

      Efrussi lächelt: »Sehen Sie, Herr Lohse, ich kenne den Trebitsch schon sehr lange. Sein Vater war ein Geschäftsfreund meines Vaters. Er war groß und bedeutend in der Manufaktur. Sein Sohn hätte besser daran getan, im Geschäft zu bleiben. Ich kenne die Kindereien des Doktor Trebitsch. Sie sind der dritte Hauslehrer, den er mir wegnimmt. Er ist ein stiller Narr.«

      »Er ist ein Freund Seiner Hoheit des Prinzen Heinrich.«

      »Ja«, sagt Efrussi, »der Prinz hat bekanntlich viele Freunde.«

      »Was wollen Sie damit sagen? Ich war Leutnant im Regiment des Prinzen.«

      »Des Prinzen Regiment war bestimmt ein tapferes. Übrigens halte ich sehr viel vom Prinzentum im allgemeinen, aber sehr wenig vom Prinzen. Aber das gehört nicht hierher…«

      »Doch«, sagte Theodor und, ohne Efrussis letzten Satz begriffen zu haben: »Sie sind Jude!«

      »Das ist mir nicht neu.« Efrussi lächelte. »Auch Trebitsch ist Jude, ohne daß ich den Wunsch hätte, mich mit ihm zu vergleichen. Aber ich verstehe Sie, ich lese ja die nationalen Blätter. Ich inseriere sogar in der ›Deutschen Zeitung‹. Sie wollen also nicht mehr meinen Sohn unterrichten. Hier ist Ihr letzter Monatsgehalt. Lassen Sie sich durch nichts abhalten, ihn zu nehmen. Er gebührt Ihnen!«

      Theodor nahm ihn. Seine Weigerung hätte die Diskussion fortgesetzt. Und gebührte er ihm nicht wirklich? Hatte er nicht schon beinahe drei Wochen vom laufenden Monat weg? Er nahm, verneigte sich und ging. Und wußte nicht, daß Efrussi den Major Pauli von der Stadtkommandantur anrief und sich über den Verlust des Hauslehrers beklagte: »Ihre Agitation geht zu weit!« sagte Efrussi. Und der Major entschuldigte sich.

      Theodor hat die erste Aufgabe erfüllt. Er hat ein blutendes Herz mitgenommen. Er wird niemals mehr Frau Efrussi sehen.

      Und es ist ihm, als hätte er jetzt erst seinen langen klingenden Eid geleistet. Diese Kündigung war wie ein donnernd zugeschlagenes Tor, Abschluß eines Weges, Ende eines Lebens.

      IV

       Inhaltsverzeichnis

      Drei Tage, drei Nächte genoß Theodor sein Geld. Es nahm ihm die Besinnung, zu wählen und sich mit Bedacht zu freuen. Er beschlief Mädchen von der Straße und kostspieligere, die in den Lokalen warteten. Er trank Wein, der ihm nicht schmeckte, und süße Liköre, die ihm Qual verursachten und deren widerlichen Geschmack er durch Kognak loszuwerden versuchte. Er schlief in schmutzigen Gasthöfen und entdeckte spät, daß er für die gleiche Summe alle paradiesischen Genüsse eines großen Hotels hätte kaufen können. Er ging einmal in die Gesellschaft seiner Kameraden, zahlte ihnen ein paar Runden und wurde ausgelacht. Jedes neue Mißlingen einer verschwenderisch unternommenen Freude stachelte seinen Ehrgeiz auf, und nur aus Angst vor dem angedrohten Tode hielt er in der Berauschtheit mit seinem Geheimnis zurück und dämmte krampfhaft das Wort hinter widerstrebenden Lippen: ich, Theodor Lohse, bin Mitglied einer geheimen Organisation.

      Wie würden sie ihn bewundern, wenn sie es wüßten! Aber fast so köstlich, wie das Bewundertsein gewesen wäre, war das Geheimnis, in dem er lebte, und das Inkognito. Er war im Begriff, an den unsichtbaren Fäden zu ziehen, an denen, wie er aus den Zeitungen wußte, Minister, Behörden, Staatsmänner, Abgeordnete hingen. Und er trug immer noch das unscheinbare Gewand eines Rechtshörers und Hauslehrers. Er ging an einem Polizisten vorbei und wurde nicht erkannt. Niemand sah ihm seine Gefährlichkeit an. Manchmal gefiel es ihm, seine Verborgenheit zu verstärken, und er trat für einige Minuten in einen dunklen Hausflur und bildete sich ein, jemanden zu beobachten, ohne selbst bemerkt zu werden. Er bereitete sich auf seinen Beruf vor, indem er eine eingebildete Aufgabe ausführte. Er trat in irgendein Ministerium und fragte den Portier nach einem beliebigen Namen, er las die Liste der Beamten über die Schulter des suchenden Portiers und ging zufrieden davon. Er begann sich um Dinge zu kümmern, die ihn niemals interessiert hatten. Er kaufte revolutionäre Blätter, er ging, um ein gleichgültiges Inserat aufzugeben, in die Redaktion der »Roten Fahne« und stellte fest, daß sie leicht zu erobern war. Man sollte mit ihm zufrieden sein. Er würde – fiel ihm eine Aufgabe zu – über wichtige Dinge schon orientiert sein.

      Mit jenem hitzigen Fleiß, mit dem er einmal freiwillig seinen Einzug in die Kaserne gehalten hatte, machte er sich an noch nicht erhaltene Aufträge, nicht verlangte Arbeiten. Freilich war es beim Regiment leichter, weil übersichtlicher. Man kannte den Zimmerkommandanten genau, den Schulleiter, den Sergeanten und den Wachtmeister. Hier tappte man im dunkeln. Sollte man seine Beflissenheit in Trebitschs Dienste stellen oder dem Detektiv Klitsche widmen? Wer kannte sich hier aus?

      Theodor ging planlos durch die Straßen, mit rastlos leerlaufendem Eifer angefüllt. Er empfand die Notwendigkeit, seiner Beflissenheit ein sichtbares Gebiet zu erobern, deutliche Erfolge zu konstatieren. Vor einem Schaukasten eines Photographenateliers Unter den Linden blieb er stehen. Hier hing das farbige Bild des Generals Ludendorff, ein Paradestück des Photographen.

      Immer war es Theodors Bestreben gewesen, mit den Großen und Größten in irgendeinen Kontakt zu gelangen. Schon in der Schule hatte er es durch allerlei Dienst-und Ehrenerweisungen erreicht, daß ihn der Leiter in den Pausen mit irgendeinem persönlichen Auftrag begnadete. Im Kriege war er nach kurzen Monaten Adjutant des Obersten geworden. Und beim Anblick des Ludendorffschen Bildes verfiel Theodor auf den Gedanken, seine alte Methode anzuwenden und eine Verbindung mit dem General herzustellen. Sein Herz schlug, sein Blut klopfte gegen die Schläfen, als stünde er vor dem lebendigen General, nicht vor einer Photographie. Und Theodor begab sich in ein Café und schrieb einen ehrerbietigen Brief an Ludendorff


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