Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.Aufführungen bei seiner und seiner Verwandten Beförderung und bei andern Gelegenheiten verursachen. Seit Diocletian war es mit derjenigen kaiserlichen Spielverschwendung vorbei, welche einst noch dem Carinus die Idee eingegeben hatte, ein halbes Quartier in der Gegend des Kapitols mit einem hölzernen Amphitheater zu überbauen und daran allen möglichen Schmuck von kostbaren Steinen, Gold und Elfenbein anzubringen876, worauf dann unter andern seltenen Tieren auch Steinböcke und Nilpferde auftraten und Bären mit Seerobben kämpfen mussten. Die Kaiser sorgten noch für die Baulichkeiten, wie zum Beispiel Constantin den Circus maximus prächtig restauriert hatte (S. 324, Anm. 493); allein die Aufführungen selber waren überwiegend Sache der reichen Würdenträger geworden, welche auf diese Weise dem Staat ihre sonstige Steuerfreiheit bezahlen und ihre Einkünfte ausgeben mussten. Es half nichts, wenn man von Rom fortging; die Steuerregistratoren hielten in diesem Fall, wie es scheint, die Spiele im Namen der Abwesenden877. Man war froh, wenn nur für die fremden Tiere der Zoll erlassen wurde878. Das Wichtigste war immer die Auswahl der Pferde für die Zirkusspiele; hier war es, wo der vornehme wie der gemeine Römer seine abergläubische Leidenschaft des Wettens stillte, wo für einen Wagenlenker der grösste persönliche Virtuosenruhm, ja eine Art von Unverletzlichkeit erblühen konnte. Nun hatte sich der römische Geschmack in dieser Beziehung dergestalt verfeinert, dass man beständig mit Pferderassen abwechseln musste879; Kommissionäre durchstrichen die halbe Welt, um Neues und Ausserordentliches zu finden und behutsam nach Rom zu transportieren; Symmachus schreibt an diese Lieferanten in so verbindlichem Tone als an irgend jemand. Für die Tierkämpfe in den Theatern und im Kolosseum, für die Jagden (silvae) im Circus maximus bedurfte man zunächst der Gladiatoren, »einer Fechterschar, schlimmer als die des Spartacus«; auch gefangene Barbaren, zum Beispiel Sachsen, traten bisweilen auf880, doch mag bereits, dem Geiste der Zeit gemäss, der Kampf von Tieren gegen Tiere überwogen haben. Hier finden wir nun die Spielgeber in einer ewigen Verlegenheit, wie die nötigen Bestien beizuschaffen seien, diese Bären, die bisweilen ganz abgezehrt oder gar ausgetauscht ankamen, diese libyschen Löwen, diese Scharen von Leoparden, schottischen Hunden, Krokodilen und selbst solchen Tieren, die gegenwärtig nicht mehr mit Sicherheit zu erkennen sind, wie die Addaces und die Pygargi, u. dgl. Es kommt wohl vor, dass die Kaiser nach einem persischen Siege mit ein paar Elefanten aushalfen, allein dies war eine Ausnahme. – Zu diesem ganzen Treiben gehört noch eine szenische Ausschmückung des Zirkus oder der betreffenden Theater, wozu Symmachus einmal die Künstler aus Sizilien kommen liess881. Wir können von ihm annehmen, dass er nur tat, was seines Amtes war, und innerlich über diesen Dingen stand; es gab aber damals so fanatische Bewunderer einzelner Gladiatoren wie nur irgend in der frühern Kaiserzeit. Aus dem vierten Jahrhundert mögen die sehr ausgedehnten, aber schon rohen Mosaiken mit Fechterspielen und Tierkämpfen in der Villa Borghese stammen, wo den einzelnen Personen sogar die Eigennamen beigeschrieben sind; musste sich doch die Kunst oft genug zur Verewigung solcher Aufführungen bequemen und ganze Hallen und Fassaden damit verzieren!882 – Auch das eigentliche Theater hatte noch seine feurigen Liebhaber, darunter Leute von grossem Namen, wie jener Iunius Messala, welcher zur Zeit Constantins seine ganze Habe, auch die kostbaren Kleider seiner Eltern an die Mimen wegschenkte883. Überhaupt genoss in Rom wenigstens die »Komödie« noch ein gewisses Interesse, wenn auch mehr beim gemeinen Mann, dessen grösster Genuss überdies das Auszischen gewesen sein soll, wogegen die Schauspieler sich durch Bestechung zu schützen suchten. Man darf vermuten, dass es sich nur um die Posse (Mimus) handelte884 (S. 338, Anm. [26]). Wichtiger war jedenfalls die Pantomime, das heisst das Ballett, welches nach einer vielleicht hyperbolischen Angabe noch immer 3000 Tänzerinnen nebst einer Unzahl von Musikanten beschäftigte.
Wenn nun in Hinsicht auf Brot und Schauspiele unsere Geschichtsquellen den Tatbestand hinlänglich genau schildern, so werden wir dafür über tausend andere Umstände, welche das Bild des damaligen Roms vervollständigen müssten, vollkommen im Dunkel gelassen. Die Kapitalfrage zum Beispiel, welches das Zahlenverhältnis der Sklaven zu den Freien war, ist nicht einmal annähernd zu beantworten, und die versuchten Annahmen885 gehen weit auseinander. Da und dort öffnet sich ein Abgrund vor den Augen des Forschers und gestattet einen Einblick in jenes Mittelding von Staatsfabrik und Galeere, wo für öffentliche Bedürfnisse gearbeitet wurde. So die grossen Bäckereien für die allgemeinen Brotverteilungen886; die Vorsteher derselben (mancipes) hatten im Lauf der Zeit Wirtschaften und Bordelle darangebaut, aus welchen mancher Unvorsichtige plötzlich in die Fabrik geschleppt und dort auf Lebenszeit als Sklave eingestellt wurde; wem dies geschah, der war verschollen und die Seinigen hielten ihn für tot. Die Römer müssen um die Sache gewusst haben, wenigstens traf dies Los vorzugsweise Ausländer. Die Behörden vollends hatten so sicher Kunde davon als gewisse neuere Regierungen vom Matrosenpressen, und wenn Theodosius bei einem bestimmten Anlass dem Greuel ein Ende machte, so darf man deshalb nicht glauben, dass erst damals die Entdeckung gemacht worden sei.
Was endlich Ammian von dem Leben und Treiben der höhern Stände erzählt, erregt die unabweisbare Vermutung, dass der brave und tüchtige Mann hier einem Gefühl gekränkter Eitelkeit mehr als billig sich hingegeben habe. Als Antiochener hatte er jedenfalls kein besonderes Recht, die Römer herabzusetzen; als Hofangehöriger des Constantius und Julian aber mochte er vielleicht in den grossen römischen Familien keine sehr zuvorkommende Begegnung gefunden haben. Vieles von seinen Klagen geht auf die Untugenden, welche man den Reichen und Vornehmen zu jeder Zeit und überall zugeschrieben hat; anderes bezieht sich auf jene Zeit überhaupt. Ammian klagt über die monumentale Sucht nach vergoldeten Ehrenstatuen, während dasselbe Geschlecht sich im vergänglichsten Modetand, in der tiefsten Verweichlichung gefällt; er brandmarkt jene fatale Art, die vorgestellten Fremden nach dem ersten Besuch nicht mehr kennen zu wollen, und solchen, die man nach längerer Abwesenheit wiedersieht, zu verraten, dass man sie nicht vermisst habe. Er schildert die Unsitte jener Gastmähler, die man nur gibt, um niemandem etwas schuldig zu bleiben, und wobei die Nomenclatoren (eine Art von Zeremonienmeistern aus dem Sklavenstande) bisweilen gegen ein Trinkgeld gemeine Leute unterschieben. Schon zu Juvenals Zeiten hatte die Eitelkeit mancher etwas darin gesucht, halsbrechend schnell zu fahren und sich für die eigenen wie für die Zirkuspferde zu fanatisieren; auch dies dauerte noch fort. Viele erschienen öffentlich nicht anders als mit einer ganzen Prozession von Dienern und Hausgenossen, »unter dem Kommando der Hausmeister mit Stäben zieht zunächst am Wagen einher die ganze Schar der Webesklaven, dann in schwarzer Tracht die Küchensklaven, ferner die übrige Dienerschaft des Hauses, untermischt mit müssigem Volk aus der Nachbarschaft; den ganzen Zug schliesst ein Heer von Verschnittenen jedes Alters, vom Greise bis zum Knaben, alles sieche und entstellte Figuren«. – Zu Hause aber musste selbst in den bessern Familien, wie jetzt bei uns, die Musik eine Menge gesellschaftlicher Lücken verdecken. Da ertönte unaufhörlich Gesang und Saitenspiel; »statt des Philosophen wird der Sänger berufen, statt des Redners der Lehrer vergnüglicher Künste; während die Bibliotheken wie Gräber geschlossen stehen, werden Wasserorgeln gebaut und Lyren so gross wie Stadtkutschen«. Der Eifer für das Theater war auch den Vornehmen in hohem Grade eigen, und die Koketterie mancher Dame bestand ausdrücklich darin, theatralische Attitüden in leichter Abwechselung nachzuahmen. Auch die äussere Gebärde sollte noch immer ein Kunstwerk sein; Ammian kannte einen Stadtpräfekten Lampadius, welcher es übel aufnahm, wenn man das Stilgefühl nicht bemerkte, mit welchem er auszuspucken pflegte. – Das Klienten- und Parasitenwesen mochte seine Gestalt seit Juvenals