Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.Veltlin 1620 gemacht: um ihr schreckliches Blutvergiessen zu rechtfertigen, hat sie nachher den unterlegenen Gegnern ein blutiges Komplott angedichtet, welchem sie habe zuvorkommen müssen.
Allein fürs erste wird hier niemand von einer allgemeinen christlichen Verschwörung gegen die Regenten oder gar gegen die Heiden überhaupt reden wollen. Die Vermutung beschränkt sich ungefähr auf folgende Umrisse: Einige, vielleicht nur sehr wenige christliche Hofleute und einige christliche Kriegsbefehlshaber in den Provinzen glaubten mit einem voreiligen Gewaltstreich das Imperium in christliche oder christenfreundliche Hände bringen zu können, wobei sie vielleicht der kaiserlichen Personen zu schonen gedachten573. Es ist möglich, dass in der Tat Galerius der Sache früher auf die Spur kam als Diocletian, und dass dieser sich wirklich nur mit Mühe überzeugen liess.
Fürs zweite wird man nicht leugnen können, dass es unter den Christen damals Leute gab, die für solche Staatsstreiche nicht zu gewissenhaft waren. Eusebs Charakteristik redet hierüber deutlich genug. Andererseits aber ist die Macht auf Erden, sobald sie sich gefährdet sah, noch niemals gelinde verfahren.
Das grosse Unglück bestand nun darin, dass die Herrscher das Geschehene verallgemeinerten und gegen die Christen als mitverantwortliche Partei einzuschreiten anfingen, und dass das damalige Recht so rasch mit der Folter und den grässlichsten Todesstrafen bei der Hand war. Nur müsste man bessere Urkunden vor sich haben, als die Akten der Märtyrer in der Regel sind, um die einzelnen Fälle richtig beurteilen zu können. Jedenfalls bequemte sich eine sehr grosse Mehrzahl mit der Zeit zum Opfern, und die letzten Edikte Diocletians, von welchen unten die Rede sein wird, beruhten vielleicht schon auf der Voraussetzung, dass der Erfolg im grossen und ganzen erreicht und nur noch ein Rest von Widerstand zu überwinden sei. Die Auslieferung der heiligen Schriften sollte der Gemeinde auch den geistigen Halt auf immer benehmen.
Allein es war des Kampfes noch mehr als genug übrig, um alles in Aufregung zu erhalten. Es ist nicht die Aufgabe dieses Buches, den schrecklichen Hergang im einzelnen zu verfolgen. Von den Mitregenten ging der Augustus Maximian mit Eifer auf die Verfolgung ein, während der milde, monotheistische Caesar Constantius Chlorus in seinen Ländern Gallien und Britannien sich mit der Schleifung der Kirchen begnügt haben soll574; jedenfalls behielt er an seinem Hofe zu Trier oder York Christen, und ebenso in Kriegswürden. Um so härter ging es in den übrigen Teilen des Reiches her. Aus den vielen Foltern und Martern erhellt, dass die Untersuchung zum Teil in die schlechtesten Hände gefallen war, doch kann man sich auch des Gedankens nicht erwehren, dass die Richter einen politischen Prozess vor sich zu haben glaubten, bei welchem es auf Erpressung von Geständnissen ankam. Übrigens war das Benehmen der Beamten sehr verschieden. In Afrika, wo der politische Verdacht vielleicht ganz wegfiel, und wo es sich also wesentlich nur um die Auslieferung der heiligen Schriften handelte, gab man den Christen mehrfach zu verstehen, dass es auch damit nicht so ernstlich gemeint sei. Aber viele erklärten nun absichtlich, sie hätten heilige Schriften in Verwahrung, die sie nie ausliefern würden, und erlitten dieses Trotzes wegen den Tod; andere lieferten auf das allgemeine Gebot hin sogleich aus, was sie hatten, und wurden später mit dem Namen Traditores, Auslieferer, gebrandmarkt. Überhaupt offenbarten sich die verschiedensten Sinnesarten, von der feigsten Schwäche bis zur schwärmerischen Herausforderung, und in der Mitte fehlten auch nicht herrliche Beispiele ruhiger, besonnener Standhaftigkeit. Wir lernen hier auch die untern Schichten der christlichen Gemeinde kennen; da gab es Leute, welche mit Verbrechen beladen waren und diese durch einen christlichen Martertod abbüssen wollten, ganz im Sinne jener Tausende von Räubern und Mördern, welche den ersten Kreuzzug mitmachten; andere waren dem Staat unerschwingliche Steuern schuldig oder hatten grosse Privatschulden und suchten sich diesem Elend durch den Tod zu entziehen; oder sie hofften durch ihr Dulden auf der Folter und in der Gefangenschaft reiche Christen zur Beihilfe zu rühren; endlich fanden sich ganz arme, verkommene Leute, die im Kerker ein besseres Leben hatten als draussen, weil die Christen ihre gefangenen Mitbrüder ganz furchtlos mit mehr als dem Notwendigen zu versehen pflegten. Solchen Missbräuchen gegenüber hatte der Bischof Mensurius von Karthago den Mut und die Konsequenz, zu verlangen, dass solche, die sich zum Martyrium ohne Not gedrängt, nicht als Märtyrer verehrt werden dürften.
Inzwischen hatte sich der Prozess in nicht viel mehr als einem Jahre zu einer wirklichen allgemeinen Christenverfolgung verschärft. Vom zweiten Edikt, welches die Verhaftung der Geistlichen befahl, war man zu einem dritten fortgeschritten, wonach die Gefangenen, wenn sie opferten, freigelassen, sonst aber auf alle Weise zum Opfern gezwungen werden sollten575; noch im Jahre 304 folgte ein viertes Edikt, welches das letztere Gebot auf alle Christen überhaupt ausdehnte und faktisch ein Todesurteil in sich begriff. In dieser Strenge dauerte die Verfolgung im Osten etwa vier Jahre fort, und dann mit Schwankungen noch weitere fünf Jahre; im Westen hatte sie schon früher aufgehört.
Die Kirchengeschichte hat es von jeher als eine heilige Pflicht betrachtet, das Andenken an die schönsten und erbaulichsten unter den Martyrien dieser blutigen Zeit aufrechtzuhalten. Wir müssen uns begnügen, für das einzelne auf Euseb und auf die Legendensammlungen zu verweisen. Was auch die historische Kritik an den einzelnen Umständen und ganz besonders an den hinzugefügten Wundern576 mit Recht aussetzen möge, es bleibt immerhin ein historisches Schauspiel erster Grösse, diese neue Gesellschaft mit ihrer neuen Religion und Weltanschauung gegen den gewaltigsten aller Staaten mit seinem Heidentum und seiner tausendjährigen Kultur kämpfen und durch den Untergang siegen zu sehen.
Wahrscheinlich demoralisierten sich die Verfolger erst dann völlig, als Diocletian und sein Mitkaiser ihre Würde niederlegten (305), Galerius neben Constantius zum Augustustitel vorrückte und Severus und Maximinus Daza als Caesaren an ihre Stelle traten. Von da an verwildert der Kampf namentlich in den Gebieten des letztern – dem Südosten des Reiches – zu einem wahren Vertilgungskriege, dessen über die Massen scheussliche Henkerszenen dem Leser erspart bleiben mögen.
Wir wenden uns zu der politischen Geschichte zurück, die gleichzeitig den wichtigsten Entwickelungen entgegenging.
Bald nach Anfang der Verfolgung, noch im Frühjahr 303, reiste Diocletian nach dem Westen und kam im Herbst nach Rom, um dort gemeinsam mit Maximian den längst aufgesparten Triumph für so viele Siege und zugleich die Vicennalien seiner Regierung zu feiern577. Im Vergleich mit dem Luxus eines Carin war der Aufwand des Triumphes und die Zeitdauer der Feste nur sehr mässig (vgl. oben S. 71, 74), und als die Römer darob murrten, spottete der Kaiser, in Gegenwart des Censors dürften die Spiele nicht so ausschweifend sein578. Seine sonstige Denkweise gegen römisches Gerede verriet er, indem er schon den 20. Dezember die Stadt wieder verliess, ohne das neue Jahr und die Zeremonien des Konsulatswechsels abzuwarten. Es war seit seinem Kaisertum sein einziger Besuch in Rom gewesen; dass er (seit 298) die riesigsten aller Thermen gebaut hatte, scheint man ihm kaum mehr gedankt zu haben; dass er eben jetzt den Römern ein gewaltigeres Geldgeschenk (ein Congiarium von 310 Millionen Denaren, etwa 62 Millionen Taler) machte als je einer seiner Vorgänger, besserte die Stimmung nicht: man hatte prächtigere Circenses erwartet, und hier war dieser Pöbel getäuscht worden.
Das neue Jahr (304) trat Diocletian in Ravenna an. Auf der Winterreise nach Nikodemien schwer erkrankt, liess er sich bis zur Abdikation (1. Mai 305) kaum mehr öffentlich sehen. Von dieser grossen Zeremonie selbst579 gibt Lactantius eine umständliche Schilderung, die nur den einen Mangel einer wesentlichen Unzuverlässigkeit an sich trägt. Der Hügel dreitausend Schritte vor Nikomedien, der Pfeiler mit dem Standbilde Juppiters, die Tränen des alten Imperators bei seiner Anrede an die Soldaten, der Reisewagen, der schon für ihn bereit stand – dies alles wird seine Richtigkeit haben;