Gesicht des Todes. Блейк Пирс
Читать онлайн книгу.Stunde vorher untergangen, also war es nicht überraschend, dass er beim Suchen der Toilette Hilfe wollte. Man fand sich im Dunkeln an einem unbekannten Ort nicht gut zurecht. Linda begann, ihn in die richtige Richtung zu führen, machte einen Schritt über das aus dem Beton sprießende Unkraut.
„Das ist wirklich ein verlassener Ort, hm?“ sagte er.
„Yeah“, sagte Linda. Seltsam, so etwas im Dunkeln zu sagen, oder? Vielleicht fühlte er sich selbst etwas unwohl und wollte ein wenig beschwichtigt werden. Ihr gefiel die Einsamkeit ebenso wenig wie ihm. „Bei uns ist zurzeit nicht viel los.“
„Ich finde, man kann angesichts der Tankstellen viel über einen Ort schlussfolgern. Es sind diese kleine Zeichen, wissen Sie. Erkennbare Muster. Zum Beispiel, wie wohlhabend eine Gemeinde ist oder welches Essen beliebt ist.“
„Darüber habe ich bisher wohl nie wirklich nachgedacht.“ Eigentlich interessierte Linda nichts weniger als seine Erklärung der Feinheiten der Tankstellen überall im Land. Sie wollte die Toilette erreichen und dann so schnell wie möglich wieder hineingehen, ohne seltsamen Kram. Aber sie wollte nicht so unhöflich sein, ihm das zu sagen.
„Oh, yeah. Ich besuche gerne unterschiedliche Tankstellen. Einige von ihnen sind riesig, wissen Sie. Dann gibt es welche, die klein sind, etwas mitgenommen, fernab vom Schuss, wie die hier. Und man kann auch viel über die dort arbeitenden Leute erfahren.“
Das ließ einen Schauder an Lindas Rücken herunterlaufen. Er sprach über sie. Sie wollte nicht fragen, was er über sie erfahren konnte, oder was er schon wusste. Sie glaubte nicht, dass es ihr gefallen würde.
„Es ist ein seltsamer Ort, hier am Ende der Welt“, fuhr er fort. „Sie sind sicher oft alleine. Wenn Sie Hilfe brauchen, ist sie schwer zu kriegen. Eine bestimmte Art Mensch nimmt einen solchen Job an. Dadurch kann man alle möglichen Verhaltensweisen vorhersagen, die auf dem Muster basieren. Zum Beispiel, wie weit Sie gehen würden, um einem Kunden zu helfen.“
Linda beschleunigte ihre Schritte auf dem dunklen Boden, hatte jetzt das Bedürfnis, von ihm weg zu kommen. Sie wollte jetzt nicht daran erinnert werden, dass sie verletzlich war. Ein weiterer Schauder lief ihren Rücken hinunter, auch wenn sie sich selbst sagte, dass sie sich dumm verhielt. Sie spürte das harte Metall des Schlüssels zur Vordertüre in ihrer Tasche und nahm ihn zwischen zwei Finger, so dass er als Waffe dienen konnte.
Sie sagte nichts. Sie wollte ihn nicht ermutigen, noch etwas zu sagen – oder etwas zu tun. Obwohl sie nicht wissen konnte, was seine nächste Handlung sein würde, war sie sich sicher, dass sie es nicht wollte, egal, was es war. Sie gingen über den leeren Parkplatz – das Auto des Kunden war wohl vorne bei den Zapfsäulen abgestellt worden.
„Da ist die Toilette, da vorne“, sagte Linda und zeigte in die Richtung. Sie wollte nicht unbedingt weiter gehen. Wenn er alleine ging, konnte sie zurück zu ihrem Tresen gelangen, wo es ein Telefon gab, mit dem sie Hilfe rufen, und Türen, die sie abschließen konnte.
Der Kunde sagte nichts, sondern holte seine Bonbontüte hervor und öffnete sie. Er sah sie nicht einmal an, sondern schien sich ganz auf seine Aufgabe zu konzentrieren, als er den Beutel öffnete und alles auskippte.
Die farbigen Bonbons hüpften und verteilten sich über dem Beton. Linda schrie auf und sprang unwillkürlich einen Schritt zurück. Wer kam denn auf die Idee, Bonbons einfach so auf den Boden zu werfen? Wollte er sie nur erschrecken, oder was? Lindas Hand flog an ihre Brust, sie versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen.
„Sehen Sie sich das an!“ Der Kunde lachte, zeigte auf die Bonbons runter. „Es ist immer das Gleiche, wissen Sie? Es gibt keinen Zufall. Man bekommt die gleichen Muster und Fraktale, und es ist immer etwas da. Auch wenn Sie versuchen, es nicht zu sehen, Ihr Gehirn bildet ein Muster, einfach so.“
Linda hatte genug gehört. Dieser Typ war verrückt. Sie war alleine hier draußen, im Dunkeln, wie er extra betont hatte. Sie musste weg von ihm, zurück zum Tresen. Zurück dorthin, wo es sicher war.
Linda wählte die schnellste Lösung, der ihr einfiel. Sie ging eilig die letzten Schritte zur Toilette und schloss sie für ihn auf, das Licht über der Tür ging automatisch an.
„Oh!“ sagte der junge Mann. „Sehen Sie. Auf Ihrer Hand. Ein weiteres Muster.“
Linda erstarrte und sah hinunter auf ihre Sommersprossen, die jetzt in dem blassorangen Licht sichtbar waren. Seine Aufmerksamkeit für ihre Haut war wie ein Insekt, etwas, das sie instinktiv abschütteln wollte.
„Ich muss zurück in den Laden“, stieß Linda hervor. „Nur für den Fall, dass weitere Kunden kommen. Bringen Sie einfach den Schlüssel zurück, wenn Sie fertig sind.“
Sie begann, zur Vorderseite der Tankstelle, zur Tür und der Sicherheit des Tresens zurückzueilen. Etwas war an diesem jungen Mann seltsam, sogar ausgesprochen seltsam, und sie wollte keine weitere Sekunde in seiner Gegenwart verbringen – selbst wenn das bedeutete, dass sie nachher den Schlüssel selbst wieder holen musste. Die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf und ihr Herz hämmerte weiter.
Vielleicht sollte sie jemanden anrufen. Sie dachte an ihren Exmann, der Meilen entfernt zu Hause saß, wahrscheinlich gemütlich mit hochgelegten Füßen vor dem Fernseher. Oder ihren Chef, der aber genauso gut in Kanada sein konnte, so selten, wie sie ihn zu Gesicht bekam. Würden sie überhaupt den Hörer abheben? Und wenn ja, wie würden sie ihr helfen können?
Die Polizei vielleicht? Nein – das war doch sicher übertrieben.
Linda stolperte fast über einen einzelnen Bonbon, der weiter gerutscht war als der Rest, und versuchte, ihre Füße vorsichtiger aufzusetzen, prüfte den Boden vor sich. Ihr Herz raste und sie konnte ihre eigenen Schritte viel zu laut knirschen hören, als sie auf die Ecke des Gebäudes zu hastete. Sie wünschte, sie könnte leiser sein, schneller gehen, einfach die Türen erreichen.
Sie rannte fast, der Atem stockte ihr in der Brust. Sie umrundete die Ecke, fühlte beim Anblick der vertrauten Türen vor sich Erleichterung.
Aber etwas zog sie zurück – etwas, das sich immer enger um ihren Hals schlang.
Lindas Hände flogen instinktiv nach oben, ergriffen den dünnen scharfen Draht, der sich in ihre Finger schnitt, als sie darum kämpfte, Kontrolle über ihn zu erlangen. Ihre Füße versuchten vergeblich, ihren Körper vorwärts zu bewegen, die Schwungkraft zwang ihren Kopf nur weiter nach hinten. Sie musste die Türen erreichen. Sie musste nach drinnen!
Panik vernebelte ihr die Sicht und der qualvolle Druck intensivierte sich, bis sie eine plötzliche Befreiung verspürte, etwas Nasses und Heißes sich über ihre Brust und nach unten ergoss. Sie hatte keine Zeit, das alles zu verstehen, konnte nur nach Luft schnappen, ein nass saugendes Gefühl an der Stelle verspüren, an der der Draht sich befunden hatte, den Boden unter ihren Knien fühlen, dann unter ihrem Kopf und dann überhaupt nichts mehr.
KAPITEL EINS
FBI Special Agent Zoe Prime sah die Frau neben sich auf dem Beifahrersitz an und versuchte, sich nicht eingeschüchtert zu fühlen.
„In noch kälteres Wasser kann man wohl nicht geworfen werden, oder?“, witzelte Shelley.
Zoe wusste, was sie meinte. Sie waren einander gerade erst als Partner zugewiesen worden und schon rasten sie zu einem Tatort. Sogar einem wichtigen Tatort. Einem, der fette Schlagzeilen machen würde.
Aber das war es nicht, weshalb Zoe sich unbehaglich fühlte. Es lag daran, dass sie einer neuen Agentin als Partnerin zugewiesen worden war, die beim FBI bereits Aufruhr verursachte. Shelley Rose hatte ein offenes, freundliches Gesicht und Wesen, und man erzählte sich über sie, dass sie nur durch ein Lächeln ein Geständnis aus jedem herausholen konnte. Wenn man ein Geheimnis zu hüten hatte, konnte es einen ganz paranoid machen, so jemanden als Partner zugewiesen zu bekommen.
Ganz abgesehen davon, dass Zoe, die bisher beim FBI noch durch nichts besonders herausgestochen war, nicht unbedingt wenig Neid angesichts des