Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo

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Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo


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gut,« dachte Gringoire, »das sind gerade so viel als nöthig, um das Ende meines Stückes anzuhören. Es sind wenige, aber es ist ein gewähltes Publikum, ein gebildetes Publikum.«

      Gleich darauf blieb ein Musikchor, welches die größte Wirkung bei der Ankunft der heiligen Jungfrau hätte hervorbringen müssen, aus. Gringoire bemerkte, daß seine Musik vom Zuge des Narrenpapstes fortgerissen worden war. »Nur weiter,« sagte er mit stoischer Ruhe.

      Er näherte sich einer Gruppe von Bürgern, welche den Eindruck machten, als unterhielten sie sich von seinem Stücke. Folgendes Bruchstück ihrer Unterhaltung verstand er.

      »Ihr kennt, Meister Cheneteau, das Hôtel Navarra, welches dem Herrn von Nemours gehörte?«

      »Ja, der Kapelle Braque gerade gegenüber.«

      »Nun wohl, der Fiskus hat es kürzlich an Wilhelm Alexander, den Geschichtsmaler, für sechs Livres acht Sols Pariser Münze vermiethet.«

      »Wie die Miethen aufschlagen!«

      »Wirklich,« sagte sich Gringoire seufzend, »die andern hören zu.«

      »Kameraden,« schrie plötzlich einer von den jungen Schelmen in den Fenstern, »die Esmeralda! die Esmeralda ist auf dem Platze!«

      Dieses Wort brachte eine zauberhafte Wirkung hervor. Alles, was im Saale zurückgeblieben war, stürzte an die Fenster, stieg auf die Mauern, um hinauszusehen, und wiederholte: »Die Esmeralda! die Esmeralda!« Gleichzeitig hörte man draußen lärmendes Beifallsgeschrei.

      »Was will denn das heißen, die Esmeralda?« sagte Gringoire, indem er betrübt die Hände zusammenschlug. »Ach! mein Gott! es scheint, daß jetzt die Fenster an der Reihe sind.«

      Er wandte sich nach der Marmorplatte um und sah, daß die Vorstellung unterbrochen war. Es war gerade der Augenblick da, wo Jupiter mit seinem Blitz erscheinen sollte. Doch Jupiter stand unbeweglich unten am Theater.

      »Michel Giborne,« schrie der erzürnte Dichter, »was machst du da? Ist das deine Rolle? Steige doch hinauf!«

      »Ach!« sagte Jupiter, »ein Student hat soeben die Leiter weggenommen.«

      Gringoire sah hin; die Sache war nur zu wahr. Alle Verbindung zwischen Knotung und Entwickelung seines Stückes war abgeschnitten.

      »Der Schurke!« murmelte er. »Und warum hat er diese Leiter genommen?«

      »Um die Esmeralda zu sehen,« antwortete Jupiter jämmerlich. »Er sagte: ›Halt, da ist eine Leiter, die niemand braucht!‹ – weg war sie.«

      Das war der letzte Streich. Gringoire empfing ihn mit Ergebung.

      »Hol' euch der Teufel!« sagte er zu den Schauspielern, »und wenn ich bezahlt werde, sollt ihr Geld bekommen.« Dann trat er seinen Rückzug an, mit gesenktem Haupte, aber als der letzte, wie ein Feldherr, der sich tapfer geschlagen hat.

      Und als er die gewundenen Treppenstiegen des Palastes hinabstieg, murmelte er zwischen den Zähnen: »Ein schöner Haufen Esel und Tölpel, diese Pariser! Sie kommen ein Schauspiel zu hören, und horchen auf nichts. Sie haben sich mit aller Welt beschäftigt, mit Clopin Trouillefou, mit dem Cardinal, mit Coppenole, mit Quasimodo, mit dem Teufel! aber mit der heiligen Jungfrau Maria nicht. Hätte ich das gewußt, ich würde euch dafür Marien ... Dirnen ... gegeben haben, ihr Maulaffen! Und ich! Komme, um Gesichter zu sehen und keine Hintertheile! Das heißt Dichter sein und den Erfolg eines Apothekers haben! Freilich hat Homer in den griechischen Marktflecken gebettelt und Naso starb im Exil bei den Moskowitern. Aber mich soll der Teufel erwürgen, wenn ich begreife, was sie mit ihrer Esmeralda sagen wollen. Was heißt denn das Wort eigentlich? Es ist ägyptisch!«

      Zweites Buch.

      1. Aus der Charybdis in die Skylla.

      Die Nacht bricht im Januar frühzeitig herein. Die Straßen waren schon finster, als Gringoire den Palast verließ. Diese hereingebrochene Dunkelheit gefiel ihm; er verlangte danach, eine dunkle und verlassene Gasse zu erreichen, wo er ruhig nachdenken könne, und damit der Philosoph auf die Wunde des Dichters den ersten Verband legen möchte. Die Philosophie war übrigens seine einzige Zuflucht; denn er wußte nicht, wo über Nacht bleiben. Nach dem gänzlichen Scheitern seines theatralischen Versuches wagte er nicht in die Wohnung, welche er in der Straße Grenier-sur-l'Eau, gegenüber dem Heuhafen, innehatte, zurückzukehren; denn er hatte darauf gerechnet, daß der Herr Oberrichter ihn für seine Hochzeitsdichtung honoriren würde, um Meister Wilhelm Doulx-Sire, den Pächter der Kleinvieh-Steuer in Paris, die sechs Monate Miethe zu bezahlen, die er ihm schuldete, nämlich zwölf Pariser Sols: der zwölffache Werth von dem, was er in der Welt sein Eigen nannte, seine Hosen, sein Hemd und seine Mütze mit inbegriffen. Nachdem er einstweilen in dem Kerkerpförtchen des Rentmeisters der heiligen Chapelle untergetreten war und einen Augenblick an das Lager gedacht, das er für die Nacht wählen würde – er hatte das Straßenpflaster von ganz Paris zur Wahl – erinnerte er sich, vergangene Woche, in der Straße de la Savaterie, an der Thür eines Parlamentsrathes einen Steintritt zum Aufsteigen aufs Maulthier bemerkt, und zu sich gesagt zu haben, daß dieser Stein gelegentlich ein ganz vortreffliches Kopfkissen für einen Bettler oder Dichter abgeben würde. Er dankte der Vorsehung, daß sie ihm diesen guten Gedanken eingegeben hatte; aber als er sich anschickte, über den Palastplatz zu gehen, um das winkelzügige Labyrinth der Altstadt zu erreichen, wohin alle diese alten Straßen: die Rue de la Barillerie, die Rue de la Vieille-Draperie, de la Savaterie, de la Juiverie u.s.w. sich schlängelten, die noch heute mit ihren neunstöckigen Häusern stehen, sah er den Umzug des Narrenpapstes, welcher ebenfalls den Palast verließ, und sich quer durch den Hof mit lautem Geschrei, bei hellem Fackelscheine und mit seiner Musik, auf ihn, Gringoire, losstürzte. Dieser Anblick öffnete wiederum die Wunden seiner Eigenliebe; er entfloh. Bei dem Kummer über sein dramatisches Mißgeschick erbitterte ihn alles, was an das Fest des Tages erinnerte und machte seine Wunde bluten.

      Er wollte den Weg nach der Sanct-Michaelsbrücke einschlagen; Kinder liefen dort mit Zündlichtern und Schwärmern hin und her.

      »Zum Henker mit dem Feuerwerke!« sagte Gringoire und wandte sich plötzlich nach der Wechslerbrücke zurück. Man hatte an den Häusern des Brückenkopfes drei Fahnen befestigt, welche den König, den Dauphin und Margarethe von Flandern vorstellten, und sechs Fähnchen, auf denen der Herzog von Oestreich, der Cardinal von Bourbon, Herr von Beaujeu, die Prinzessin Johanna von Frankreich, der Herr Bastard von Bourbon, und ich weiß nicht wer noch, »abkonterfeiet« waren. Das Ganze war von Fackeln erleuchtet. Die Volksmenge staunte.

      »Glücklicher Maler Johann Fourbeault!« sagte Gringoire mit einem tiefen Seufzer; und er wandte den Fahnen und Fähnchen den Rücken zu. Eine Straße lag vor ihm; er fand sie so schwarz und verlassen, daß er hoffte, hier allem Lärme und allen Freudeausbrüchen des Festes zu entgehen; er verschwand darin. Kurz darauf stieß sein Fuß an ein Hindernis; er strauchelte und fiel. Es war ein Maienbund, welches die Schreiber der Gerichtsschreibergilde heute Morgen zu Ehren des Festtages vor der Thüre eines Parlamentspräsidenten niedergelegt hatten. Gringoire ertrug mit Heldenhaftigkeit diesen neuen Unfall; er erhob sich wiederum und erreichte das Ufer des Wassers. Nachdem er das Bürger- und Criminalgefängnis hinter sich gelassen hatte und die lange Mauer der königlichen Gärten hinuntergegangen war, über den ungepflasterten Strand weg, wo der Schmutz ihm bis an die Knöchel ging, gelangte er an den nördlichen Punkt der Altstadt, und betrachtete eine Weile die kleine Insel des Kuh-Fährmanns, welche seitdem unter der bronzenen Pferdestatue des Pont-Neuf verschwunden ist. Das Inselchen erschien im Dunkel wie eine schwarze Masse über dem schmalen Laufe des weißlichen Gewässers, welches jene davon abhob. Man errieth hier beim Strahl eines kleinen Lichtes die Art Hütte in Gestalt eines Bienenkorbes, worin sich der Fährmann nachts versteckte.

      »Glücklicher Fährmann!« dachte Gringoire; »du denkst nicht an den Ruhm, und du machst auch keine Hochzeitsdichtungen! Was kümmern dich die Könige, die sich vermählen, und die Herzoginnen von Burgund? Du kennst keine anderen Margarethenblumen, als die, welche deine Wiese im April deinen Kühen abzuweiden giebt! Und ich, ein Dichter, bin verhöhnt, ich zittere vor Kälte, ich bin zwölf Sols schuldig und meine Schuhsohle


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