Ekkehard. Joseph Victor von Scheffel

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Ekkehard - Joseph Victor von Scheffel


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Sonne ging auf, die Sonne ging nieder – noch immer blieb er aus. Und die hagere Nachbarin mit ihren Phantasmen war ihr verleidet.

      Wiborad aber wandte ihre Augen unverrückt dem Himmel zu, gleich einem, der am hellen Tag einen Kometen zu entdecken gedenkt: O Gefäß voll Ungehorsam und Bosheit, rief sie, ich will für dich beten, daß die bösen Geister von dir gebannet werden. Dein Aug' ist blind, dein Sinn ist wirr.

      Doch ruhig antwortete die Gescholtene: Richtet nicht, auf daß auch ihr nicht gerichtet werdet. Mein Aug' ist noch so scharf wie vor Jahresfrist, da es Euch in mondumglänzter Nacht erschauen konnte, wie Ihr aus dem Fenster der Klause stieget und hinausgewandelt seid, Gott weiß wohin, – und mein Sinn erwägt noch wohl, ob Psalmengesang aus solchem Munde ein Wunder zu wirken im stande.

      Da verzog sich Wiborads bleiches Antlitz, als ob sie auf einen Kieselstein gebissen hätte. Weh dir, Teufelgeblendete! schrie sie, ein Schwall scheltender Reden entströmte ihren Lippen; die Nachbarin blieb keine Antwort schuldig, schneller und schneller kam Wort auf Wort geflogen, verschlang sich, verwirrte sich; von den Felswänden klang unharmonischer Widerhall drein und schreckte ein Käuzleinpaar auf, das dort in den Spalten horstete und scharf krächzend von dannen flatterte... am Portal des Münsters zu Worms, da die Königinnen einander schalten, ging's sänftlicher zu als jetzo.

      Mit stummem Erstaunen horchte Praxedis dem Lärm; gern wäre sie beschwichtigend dazwischen getreten, aber Sanftes taugt nicht, um Schneidiges zu trennen.

      Da ertönte vergnüglicher Schall des Hifthorns vom Walde her und klaffendes Rüdengebell; langsam kam des Romeias hohe Gestalt geschritten. Das zweitemal, da er den Spieß geworfen, war's kein Baumstrunk, sondern ein stattlicher Zehnender; der Hirsch hing ihm auf dem Rücken, sechs lebende Hasen, die der Klostermeier von Tablatt in Schlingen gefangen, trug er gefestigt am Gürtel.

      Wir wollen heim, sprach Romeias zur Griechin, es will Abend werden. Praxedis war weder vom Gezänk noch von Romeias' Friedestiftung so auferbaut, daß sie länger zu bleiben gewünscht hätte. Ihre Begleiterinnen hatten bereits auf eigene Faust den Rückzug angetreten.

      Die Hasen gelten bei Euch nicht viel, sprach sie zum Wächter, daß Ihr sie so grob in die Welt hinauswerfet.

      Nicht viel, lachte Romeias, doch wär' das Geschenk eines Dankes wert.

      Zu selber Zeit hob sich die Dachluke an Wiborads Zelle, die hagere Gestalt ward zur Hälfte sichtbar, ein mäßiger Feldstein flog über Romeias Haupt hin, er traf ihn nicht. Das war der Dank für den Hasen.

      Man ersieht daraus, daß die Formen geselligen Verkehrs mannigfach von den heutigen verschieden waren.

      Praxedis sprach ihr Befremden aus.

      So etwas kommt alle paar Wochen einmal vor, erwiderte Romeias. Mäßiger Geifer und Zorn schafft alten Einsiedlerinnen neue Lebenskraft; es ist ein gut Werk, zu Erregung derselben beizutragen.

      Aber sie ist eine Heilige, sagte Praxedis scheu.

      Romeias geleitete seine neue Freundin zur Pforte des außer Klosterbann gelegenen Hauses, das zu ihrer Herbergung bestimmt war. Dort standen die Dienerinnen, der Strauß Waldblumen, den sie gepflückt, lag auf dem Steintisch am Eingang.

      Wir müssen Abschied nehmen, sagte der Wächter.

      Lebt wohl, sprach Praxedis.

      Da ging er. Nach dreißig Schritten schaute er scharf zurück. Aber zweimal geht die Sonne an einem Tage nicht auf, am wenigstens für einen Wächter am Klostertor. Es ward ihm keine Kußhand mehr zugeworfen, Praxedis war ins Haus gegangen.

      Da wandelte Romeias langsam zurück, griff, ohne anzufragen, den Blumenstrauß vom Steintisch und zog ab. Den Hirsch und die vier Hasen lieferte er der Klosterküche. Dann bezog er seine Wächterstube, nagelte den Strauß an die Wand und malte mit Kohle ein Herz dazu, das hatte zwei Augen und einen langen Strich als Nase und einen Querstrich als Mund.

      Der Klosterschüler Burkard kam herauf, mit ihm zu spielen. Den faßte er mit gewaltiger Hand, reichte ihm die Kohle, stellte ihn vor die Wand und sprach: Schreib den Namen drunter!

      Was für einen Namen? frug der Knabe.

      Ihren! sprach Romeias.

      Was weiß ich von ihr und ihrem Namen, sagte der Klosterschüler verdrießlich.

      Da sieht man's wieder, brummte Romeias, wozu das Studieren gut ist! Sitzt der Bub' jeden Tag acht Stunden hinter seinen Eselshäuten und weiß nicht einmal, wie ein fremdes Frauenzimmer heißt!...

      1 Hroswitha von Gandersheim hat die Geschichte von der Thais und dem Anachoreten der Wüste in ihrer naiven lateinischen Komödie Paphnucius behandelt. Siehe Magnin, théâtre de Hrotswitha, Paris 1845. p. 280 u. ff.

      2 »Quid mihi et inanibus hujus seculi vanitatibus? Audio in coelis signa sonitusque campanarum ac dulcisonam angelicae modulationis harmoniam: illuc ire desidero, his interesse delector.« Vita Wiboradae auctore Hartmanno c. 2.

      3 FrauWendelgards Sehnsucht nach dem gefangenen Ehgemahl ward in anmutiger Weise gestillt. Sie ging aus ihrer Klause jedes Jahr einmal nach Buchhorn, um des Grafen Ulrich Angedenken mit einer feierlichen Jahreszeit zu ehren. Wie sie einst nach derselben mit eigener Hand den Armen Almosen austeilte, stand einer unter den Bettlern, zerrissen und entstellt, dem schenkte sie ein Kleid. Er aber ließ ihre Hand nimmer aus der seinen, zog sie zu sich und küßte sie vor allem Volk, strich sein Haar zurück und sprach: Erkenne deinen Gemahl. Da Frau Wendelgard unwillig über solchen Gewaltstreich eines Fremden, sich abwenden und ihn den Dienern zur Züchtigung überweisen wollte, wies er ihr eine alte Narbe, und wie aus langem Schlaf erwachend fuhr sie auf: O mein Gebieter, du aller Menschen mir der teuerste, sei gegrüßt, du mein Herr, sei gegrüßt, du immer süßer! und lag weinend in seinen Armen. Ekkeh. IV. casus S. Galli c. 10 bei Pertz Mon. II. 120.

      4 .. pelle ejus simulatae sanctitatis detracta.. Hepidan vita Wiboradae cap. II.

      5 .. quia nondum in se mortificaverit phylargyriam, quae est omnium radix malorum usw. Die Anklagen, wegen deren sich Wiborad einst vor dem Bischof in Konstanz zu verantworten hatte, sind ausführlich nachzulesen in Hepidan, vita Wibor. II. 11.


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