Butler Parker 147 – Kriminalroman. Günter Dönges
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»Natürlich kannst du offen reden, Louise«, sagte Agatha Simpson unwirsch, »rede nur gefälligst keinen Unsinn. Mr. Parker ist mein zweites Ich, oder so. Du weißt schon, was ich meine.«
Louise Lancing sah zu Josuah Parker hinüber, der unbeweglich und steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinter dem Plüschsessel Stellung bezogen hatte, in dem Lady Agatha saß.
»Ich geniere mich eigentlich«, zierte sich die Frau wie ein verschämtes Mädchen, obwohl sie weit über sechzig sein mußte. Sie war groß, hager und hatte weißes Haar.
»Meine bescheidene Wenigkeit kann und wird sich selbstverständlich umgehend zurückziehen«, ließ der Butler sich vernehmen.
»Sie werden bleiben, Mr. Parker, oder wir beide gehen gemeinsam«, entschied Lady Agatha. »Du kannst mir doch nicht einreden, Louise, daß du mir einen Seitensprung beichten willst, oder?«
»Natürlich nicht.« Louise Lancing holte tief Luft und nickte zögernd. Sie griff hastig nach dem Portweinglas und nahm einen mehr als damenhaften Schluck. »Nun gut, aber ich möchte nicht, daß man über mich lacht, meine Liebe.«
»Das kann ich nicht versprechen, Louise«, antwortete Lady Agatha ungehalten, »keine Vorbedingungen, wenn ich bitten darf.«
»Ich... Ich hatte in der vergangenen Nacht eine seltsame Erscheinung«, begann Louise Lancing, »und ich weiß sicher, daß ich nicht geträumt habe.«
»Das werde ich entscheiden«, unterbrach Agatha Simpson ihre Freundin.
»Ich komme mir eigentlich albern vor, Agatha.«
»Du bist albern, wenn du nicht endlich zur Sache kommst«, herrschte die Lady ihr Gegenüber an, »du hattest also eine Erscheinung? War sie jung und hübsch?«
Lady Agatha Simpson, um die sechzig Jahre alt, groß, von junonischer Fülle, war eine imponierend aussehende Dame der besten Gesellschaft und für ihre Ungeniertheit geradezu berüchtigt. Sie war nach einem telefonischen Anruf am Morgen zusammen mit Butler Parker ins nahe Mayfair gefahren, da sie wieder mal eine hübsche Abwechslung witterte.
»Sie war weder jung noch hübsch, diese Erscheinung«, antwortete Louise Lancing und griff nach dem Sherryglas, »diese Erscheinung war scheußlich, Agatha. Das Blut gefror mir in den Adern.«
»Handelte es sich, wenn man höflichst fragen darf, um eine quasi menschliche Erscheinung?« schaltete Josuah Parker sich ein. Er war ein Mann undefinierbaren Alters, das Urbild des hochherrschaftlich englischen Butlers. Josuah Parker trug unter seinem schwarzen Covercoat einen schwarzen Zweireiher, dazu Melone und einen altväterlichen gebundenen Regenschirm. Ein schneeweißer Eckkragen und ein schwarzer Binder vervollständigten den Gesamteindruck.
»Keine menschliche Erscheinung?« Lady Simpson, die passionierte Detektivin, verzog das Gesicht. »Ist dir ein Geist erschienen, meine Liebe?«
»Eine Schlange«, kam leise und zögernd die Antwort.
»Wir leben hier in London nicht im Paradies«, stellte Agatha Simpson fest. Sie hatte sich eine kleine Sensation von diesem Besuch versprochen und war nun mehr als enttäuscht.
»Es war eine Schlange«, wiederholte Louise Lancing mit etwas festerer Stimme, »und ich habe sie ganz deutlich gesehen.«
»Was halte ich davon, Mr. Parker?« Die Lady wandte sich ihrem Butler zu.
»Mylady erkundigen sich mit Sicherheit nach der Größe und dem Aussehen des erwähnten Reptils«, lautete Parkers höfliche und gemessene Antwort.
»Natürlich werde ich das tun«, nahm Agatha Simpson diese Anregung sofort auf und drehte sich wieder zu ihrer Freundin, »also, Louise, wie sah dieses Biest aus?«
»Es war schrecklich lang und dick wie ein Oberschenkel.« Louise Lancing flüsterte fast nur noch und warf einige mißtrauische Blicke in den Salon ihres Hauses, in dem der rote Plüsch Orgien feierte.
»Könnten Mylady möglicherweise mit ungefähren Längenangaben dienen?« fragte Parker die Dame des
Hauses.
»Sie war mindestens vier oder fünf Meter lang, diese Schlange«, schätzte Louise Lancing und schaute sich wieder ängstlich um, »noch einmal, Agatha, ich habe sie deutlich gesehen! Sie kam durch das Fenster und kroch dann am Fußende des Betts entlang...« »Was hattest du vor dem Schlafengehen getrunken?« wollte die Detektivin sachlich und ungeniert wissen.
»Nur wenig Milch mit Rum«, gestand Louise Lancing, »wenn du mich nicht ernst nimmst, brauchen wir uns nicht länger zu unterhalten.«
»Könnte es sich nach Lage der Dinge möglicherweise um eine sogenannte Boa constrictor gehandelt haben, Mylady?« fragte Josuah Parker.
»Natürlich, so etwas war es, Mr. Parker«, antwortete Louise Lancing fast dankbar, »diese Schlangen kenne ich vom Zoo und von Filmen her. Doch, es muß eine Boa gewesen sein.«
»Und sie kam einfach durchs Fenster!« Lady Simpson schüttelte ablehnend den Kopf. »Wieso bist du gerade in diesem Moment aufgewacht?«
»Ich hatte draußen auf dem Balkon n Geräusch gehört, Agatha«, erzählte e Dame des Hauses weiter, »ja... und dann sah ich sie. Es war schrecklich! Das Blut gefror mir in den Adern.«
»Das sagtest du schon, meine Liebe, und wo ist das Biest geblieben?«
»Das eben weiß ich nicht«, antwortete Louise Lancing, »ob es noch im Haus t? Deshalb habe ich dich doch angerufen.«
»Das sagst du erst jetzt!?« Agatha Simpson stieß einen baritonal gefärbten Schrei aus und bemühte sich dann ein wenig umständlich... auf den Sesse1. Sie raffte den langen Rock ihres Tweed-Kostüms um die Beine, die sie auf diese Art in Sicherheit brachte, dann wandte sie sich an Josuah Parker und deutete mit der ausgestreckten Hand ins Zimmer.
»Mylady hegen Wünsche?« erkundigte sich der Butler.
»Nun tun Sie doch endlich etwas«, verlangte Agatha Simpson, während Louise Lancing ebenfalls auf einen Sessel stieg und ihre Beine in Sicherheit brachte. »Ich wünsche nicht, von dieser Boa belästigt zu werden.«
*
»Von einer Boa war natürlich weit und breit nichts zu sehen, oder?« erkundigte sich Anwalt Mike Rander eine Stunde später. Er hatte dem Bericht des Butlers amüsiert zugehört.
»Das Reptil dürfte sich während der Nachtstunden bereits wieder entfernt haben, Sir«, meinte Josuah Parker, »ich möchte betonen, daß meine Wenigkeit das Haus der Lady Lancing genau durchsuchte.«
»Und Lady Agatha stand auf einem Sessel?« Mike Randers Gesicht zeigte ein verschmitztes Lachen.
»Nur für etwa zehn Minuten, Sir, danach brachten Mylady und die Dame des Hauses sich in der Küche in Sicherheit.«
»Warum hat die Frau in der Nacht nicht sofort die Polizei angerufen?«
»Lady Lancing nahm davon Abstand, den schützenden Raum, in den die Dame sich geflüchtet hatte, zu verlassen, Sir. Da dort, im Bad, kein Telefon installiert ist, konnte Lady Lancing keine Hilfe herbeirufen. Am Morgen dann fürchtete die Dame des Hauses den Spott der Behörden und wandte sich an Lady Simpson.«
»Was halten Sie von dieser ganzen Story?« wollte der Anwalt wissen. Mike Rander erinnerte, was Aussehen und Statur betraf, an einen Schauspieler, der sich auf die Darstellung des James Bond spezialisiert hatte. Seine britische Lässigkeit, die man leicht mit einem gewissen Phlegma verwechseln konnte, kontrastierte zu dem stets beherrschten Josuah Parker.
Mike Rander, für den Parker vor Jahren bereits als Butler gearbeitet hatte, war nach längerem Aufenthalt in den USA nach London zurückgekehrt und von Lady Simpson, seiner mütterlichen Freundin, sofort wieder vereinnahmt worden. Mike Randers Anwaltskanzlei befand sich in der Curzon Street. Als Verwalter des immensen Vermögens der Lady Simpson besaß der Vierzigjährige die besten Eigenschaften.
»Sie zögern mit einer Antwort?« wunderte sich Mike Rander, als Parker nicht sofort antwortete.
»Lady Lancing machte auf meine bescheidene Wenigkeit nicht den Eindruck einer Dame, die unter Halluzinationen