Einführung in die Theorie des Familienunternehmens. Fritz B. Simon

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Einführung in die Theorie des Familienunternehmens - Fritz B. Simon


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gebracht werden.

      Sowohl Familien (bzw. alle heute anzutreffenden privaten, familienartigen Lebensgemeinschaften wie z. B. Patchworkfamilien, hetero- und homosexuelle Lebensgemeinschaften, Lebensabschnittspartnerschaften usw.) als auch Unternehmen können als »problemdeterminierte Systeme« (Goolishian u. Anderson 1988) verstanden werden: Ihre Spielregeln und Strukturen lassen sich als Muster der Problembearbeitung und der Problemlösung erklären. Allerdings sind die Probleme, mit denen Familien und Unternehmen konfrontiert sind, prinzipiell unterschiedlicher Art. Um es auf eine (sicher verkürzende) Formel zu bringen: Unternehmen (wie andere Organisationen) sind sachorientiert, Familien (wie andere private Beziehungen) sind personenorientiert. In Unternehmen geht es darum, Sachprobleme zu lösen, in Familien geht es darum, die Probleme von (und mit) Personen zu lösen. Das heißt nicht, dass es in Familien nicht jede Menge an Sachproblemen und in Unternehmen keine Personenprobleme zu lösen gäbe, aber die Raison d’être der Familie heute ist nicht primär die Erfüllung sachlicher Aufgaben (z. B. der Erledigung des Abwasches, des Rasenmähens etc.), und Unternehmen haben nicht den primären Zweck, sich um das Seelenheil ihrer Mitarbeiter zu sorgen.

      In der Familie richten sich die Spielregeln nach den aktuellen körperlichen, psychischen und sozialen Bedürfnissen ihrer Mitglieder (vgl. Luhmann 1988b). Wird ein Kind geboren, können sich diese Spielregeln von einem Tag zum anderen radikal verändern (»Wir sind jetzt auch nachts erreichbar!«). Und wenn die Alten pflegebedürftig werden, dann bleibt das Familienleben davon ebenfalls nicht unbeeinträchtigt (wie jeder weiß, der schon einmal für demente Eltern/Großeltern sorgen musste). Im Blick auf die Wohlfahrt ihrer Mitglieder können Familien oder familienartige Lebensgemeinschaften mehr oder weniger zweckmäßig (= rational) organisiert sein und den jeweils individuellen Bedürfnissen und Notwendigkeiten unterschiedlich gerecht werden. Mit anderen Worten: Eine Familie, die nicht die aktuellen psychischen oder körperlichen Bedürfnisse ihrer Mitglieder im Fokus der Aufmerksamkeit hat, sondern irgendein unpersönliches, sachliches Ziel (z. B. die Maximierung des Familieneinkommens), ist – gemessen an den Maßstäben der personenorientierten Rationalität des Systems Familie – als irrational zu bewerten.

      Auch das Funktionieren von Unternehmen kann im Sinne der größeren oder geringeren Rationalität von Problemlösungen bewertet werden. Die Rolle der Mitarbeiter von Organisationen besteht generell darin, als Funktionsträger zur Lösung von Sachproblemen beizutragen. Dafür werden sie bezahlt, und deshalb greift die Organisation auch nur sehr limitiert und aufgabenbezogen auf sie und ihre Kompetenzen zu. Wer als Buchhalter arbeitet, wird nicht mehr Gehalt bekommen, weil er gut Klavier spielen kann oder lieb zu Tieren ist.4

      Bei Unternehmen als Wirtschaftsorganisationen besteht diese Sachaufgabe darin, Produkte oder Dienstleistungen auf Märkten zu verkaufen, um so hinreichend Zahlungen zu erhalten, damit der Erhalt und Erfolg des Unternehmens gewährleistet werden kann (= betriebswirtschaftliche Rationalität). Dazu müssen nicht nur Mitarbeiter und Produktionsmittel, sondern auch zukunftsbezogene Investitionen, sei es in Forschung und Entwicklung, sei es in Maschinen, Gebäude etc., finanziert werden und – last, not least – auch Profite, d. h. eine Rendite für das eingesetzte Kapital, erwirtschaftet werden.

      Aus diesem Gegensatz zwischen Sach- und Personenorientierung bzw. der damit verbundenen unterschiedlichen Rationalitätsformen resultiert ein prinzipiell unterschiedlicher Status des Einzelnen – des Mitglieds – in Familie und Organisation. Einmal fungiert er bzw. seine Arbeit, zugegebenermaßen vereinfachend formuliert, als Zweck (Familie) das andere Mal als Mittel (Unternehmen).

      Wer in einem Familienunternehmen Verantwortung für Familie und Unternehmen trägt, muss also – ob er sich dessen bewusst ist oder nicht – zwei gegensätzlichen Spielregeln und Logiken gerecht werden: der familiären und der betriebswirtschaftlichen Rationalität. Sie schließen sich zwar nicht prinzipiell gegenseitig aus, aber sie sind mit einem hohen Konfliktpotenzial verbunden.

      Doch die Situation wird noch komplizierter. Denn Unternehmen wie Familie haben es noch mit einem weiteren Spielfeld und seinen von der personenorientierten wie der betriebswirtschaftlichen Rationalität abweichenden Entscheidungskriterien zu tun: dem Bereich des Rechts. Das System der Gesellschafter, d. h. der Eigentümer des Unternehmens, folgt in seiner Entscheidungsfindung formaljuristischen Regeln, die weder sonderlich viel mit sachlichen, noch persönlichen Fragestellungen zu tun haben. Im Konfliktfall kann eine höhere Macht (das Gericht) eingeschaltet werden, und seine Entscheidungen folgen den Vorgaben des Rechtssystems, die weder einer betriebswirtschaftlichen noch einer familiär-persönlichen Rationalität verpflichtet sind. Und – das sollte hier betont werden – die Rationalität rechtlicher Regeln dient weder den Zwecken der Familie noch denen des Unternehmens. Der Staat stellt um seiner selbst bzw. der Allgemeinheit willen Verfahren und Institutionen zur friedlichen Konfliktlösung zur Verfügung, um seinen inneren Frieden zu gewährleisten. Es ist die Systemrationalität des zivilisierten, modernen Staates, der mithilfe seines Gewaltmonopols als höhere Macht fungiert, um die Eskalation von Konflikten zwischen seinen Bürgern zu verhindern. Mit den Spielregeln des Unternehmens und der Familie hat die Logik der Entscheidungsfindung im Rechtssystem nur wenig Ähnlichkeiten. Dennoch bzw. gerade deswegen kann sie für beide Systeme im Konfliktfall entscheidende Bedeutung gewinnen. Das, was »rechtmäßig« ist, ist aus einer familiären Perspektive oft nicht »gerecht«, und was »gerecht« und/oder »rechtmäßig« ist, ist leider nur manchmal ökonomisch »richtig« (Simon 2002, S. 55 ff.).

       2.3 Familie und Unternehmen als koevolutionäre Einheit

      Familienunternehmen und Unternehmerfamilien unterscheiden sich von anderen Unternehmen und Familien dadurch, dass in ihrem Fall zwei soziale Systeme in ihrer Entwicklung aneinander gekoppelt sind. Sie fungieren gegenseitig als relevante Umwelten füreinander, die sich aneinander anpassen und gegenseitig beeinflussen – potenziell im Positiven wie im Negativen. Wie die Partner einer Paarbeziehung bestimmen sie füreinander zu einem beträchtlichen Maße die Überlebens- und Entwicklungsbedingungen. Sie sind voneinander abhängig bzw. auf die füreinander erbrachten Leistungen angewiesen, sie beobachten sich gegenseitig, brauchen einander (mal mehr, mal weniger) und bilden eine koevolutionäre Einheit. Die Familie verändert ihre Spielregeln, weil sie auf das Unternehmen Rücksicht nimmt, und das Unternehmen trifft bestimmte Entscheidungen, weil sie im Interesse der Familie liegen oder deren Interessen nicht zuwiderlaufen sollen.

       Abb. 3: Die koevolutionäre Einheit von Familie, Unternehmen und Gesellschaftern

      Als dritte relevante Umwelt ist der »Kreis der Gesellschafter« zu nennen. Er ist in der Regel nicht immer mit den Mitgliedern der Familie identisch. Denn es gibt in vielen Familienunternehmen Familienmitglieder, die nicht Gesellschafter sind, und in manchen gibt es auch Gesellschafter, die nicht zur Familie gehören; ja, es gibt auch Familienunternehmen, die an der Börse notiert sind, d. h. bei denen sich ein bestimmter Prozentsatz der Anteile im Streubesitz befindet. Als Eigentümer haben Gesellschafter – juristisch kodifiziert – einen zentralen Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens. Dennoch scheint es nicht sinnvoll, sie von vornherein als eigenes soziales System zu betrachten, denn ihre Kommunikation untereinander kann sehr minimalistisch sein und sich z. B. auf die Durchführung einer Gesellschafter- oder Hauptversammlung beschränken. Rein juristisch betrachtet, handelt es sich um eine Ansammlung autonomer Individuen, die bestimmte Rechte und Pflichten haben. Darüber hinaus brauchen sie im Prinzip nicht zu kommunizieren und sich nicht als abgegrenztes soziales System zu konstituieren.

      Wenn man die Historie vieler Familienunternehmen betrachtet, so zeigt sich, dass während der Gründungsphase in vielen Fällen de facto keine Trennung zwischen Familie und Unternehmen besteht. Wer zur Familie gehört, hat auch im Unternehmen mitzuarbeiten (wenn etwa ein Paar gemeinsam einen Laden eröffnet), und in der Kommunikation kann nicht zwischen persönlichen und geschäftlichen Belangen unterschieden werden, da beides identisch erscheint. Juristische Fragen spielen in der Familie normalerweise keine Rolle – außer im Konfliktfall, d. h. meist


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