Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus

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Reisen nach Ophir - Rolf Neuhaus


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Von der kriechenden und schamlosen Aufdringlichkeit der Kutscher, Rikschakulis, Händler und Bettler fühlen sich die englischen Spaziergänger nicht belästigt, sondern belustigt, denn den Briten, diesen genialen Kolonisatoren, bereitet es ein Vergnügen, dem Untergang der von ihnen erdrückten Völker zuzuschauen, der überaus human, freundlich und fröhlich vor sich geht, denn die britische Herrschaft ist kein Morden, nicht einmal Ausbeutung, sondern stilles, mildes Korrumpieren und moralisches Unterminieren. Dieser englische Betrieb hat immerhin Stil, Deutsche und Franzosen würden es viel schlimmer und dümmer machen. Wer aber ein Herz, ein zartes Gemüt und offene Ohren hat, für den ist das Spazierengehen eine Qual, ein anstrengender Spieβrutenlauf zwischen den Hyänen der Fremdenindustrie, alle drei Meter steht ein Bettler, ein kleines Mädchen mit den traurigsten schwarzen Augen, ein weiβhaariger Greis mit Heiligenschein, doch sein suchender Beterblick ist keineswegs ein Ruf nach Göttern und Erlösung, sondern nach money. Grinsende Eltern schicken ihre zahlreiche Nachkommenschaft hinter Hesse her, just for money, ein Rudel Jungen schlieβt sich ihm an, die ihm gute Schmetterlingsplätze zeigen wollen, ihn auf jede Fliege aufmerksam machen und dabei jedesmal die Hand um einen Penny ausstrecken, ein raffinierter, hartnäckiger Falterhändler heftet sich an Hesses Fersen, lauert ihm ständig und überall auf und nimmt ihn aus. Hesse bleibt nie allein, kommt keinen Augenblick zur Ruhe, die Natives sind höchst lästig, obendrein beschämt es ihn, dass die meisten von ihnen besser Englisch sprechen als er.

      Morgens wieder Durchfall. Am späten Nachmittag geht Hesse in den Regen und die schon schwarze Nacht hinaus und biegt in den Tempelweg ein. Am Eingang des alten Heiligtums schallt ihm eine traumhaft dumpfe Musik entgegen, durchs Tempeltor sieht er in düstere Räume, in denen dünne Kerzen brennen, hier und da hocken Betende und murmeln, der heftig süβe Duft der temple flowers erfüllt die Luft. Sofort bemächtigt sich Hesses ein Führer und schiebt ihn vorwärts, zwei sanftäugige Jünglinge eilen mit Kerzen in den Händen herbei und gehen voran, beleuchten jede kleine Stufe und jeden Säulenvorsprung, und Hesse steigt wie in eine Schatzhöhle aus einem arabischen Märchen. Man hält ihm eine Schale vor und fordert eine Eintrittsgabe, man bietet ihm Tempelblumen dar, er bezahlt und opfert die Blüten verschiedenen Bildnissen. Bei dem bisschen Flimmerlicht ist nicht viel zu sehen, aber das Ganze macht einen geheimnisvollen, mystischen Eindruck. Vorbei an steinernen Löwen und Lotosblütenbildern gelangt Hesse zu einem gläsernen Schrein voller Schmutz und Buddhafiguren aus Gold, Messing, Silber, Elfenbein, Granit, Holz, Alabaster, in einem Silberschrein sitzt still und fein ein alter, aus einem einzigen groβen Kristall geschnittener Buddha, Silber- und Messingschalen und blanke Hände werden Hesse vorgehalten. Priester zeigen ihm die alten, in Silber gebundenen, in Sanskrit und Pali verfassten heiligen Bücher des Tempels, was sie selber auf Palmblätter schreiben, ist eine prosaische Quittung für das Trinkgeld. Man führt ihn zum Altarschrein und zum heiligen Zahn Buddhas, und Hesse entrichtet seinen Obolus. Ihn beschleicht keinerlei Achtung vor den lächerlichen Bildnissen und Schreinen, den miserablen Priestern und ihren unterwürfigen Helfern und dem ganzen Heiligtum, in dem der schöne, lichte Buddhismus zu einer wahren Rarität von Götzendienst verkommen ist, gegen den auch der spanischste Katholizismus noch durchgeistigt wirkt. Er hat nur Mitleid mit den sanften indischen Völkern, die eine herrlich reine Lehre hier zur Fratze entstellt haben. Man zieht und schiebt Hesse über Treppenstufen in die Nacht hinaus, zerrt ihn über nasses Gras zu einem zweiten, kleineren Tempel, dort opfert er Blumen und Rupien und sieht plötzlich einen groβen, grellrot und gelb bemalten Buddha aus Granit vor sich in der Wand liegen. Nun ist er fertig, steht drauβen im Regen, bemerkt mit Befremden, dass der ganze nächtliche Tempelspuk nicht mehr als 20 Minuten gedauert hat, und stellt fest, dass er pleite ist. Er hat etwa 25 Trinkgelder ausgeteilt, aber er muss noch den Führer, die Kerzenträger und den Priester des zweiten Tempels entlohnen. Ein Tempeldiener begleitet ihn im Auftrag seiner Gläubiger zum Hotel, Hesse holt Geld und kauft sich von allem Buddhismus frei.

      Ceylon war ziemlich verunglückt. Alle drei Morgenlandfahrer fühlten sich erschöpft und krank, die Opiumkur blieb ohne die erwünschte Wirkung, zudem regnete es unaufhörlich, Kandy lag grau unter triefenden Wolken oder im Nebelbrei, in Colombo hatten sie noch unter der grausamen Hitze gestöhnt. Hesse war reisemüde, auβerdem knapp bei Kasse, diese Art Leben und Reisen ging über seine Verhältnisse. Die indische Malabar-Küste wurde aus dem Programm gestrichen, doch bis zur Abfahrt des Schiffes nach Europa musste noch eine volle Woche hingebracht werden. Sie fuhren nach Nurelia (Nuwara Eliya), sechseinhalb Stunden mit der Bahn durch grüne Täler ins Gebirge hinauf, an Teeplantagen, Schluchten, Wildbächen vorbei, die letzte Stunde in einer wackeligen Schmalspurbahn. In Nurelia war es kühl, im Hotel gab es Tee und Kaminfeuer und ein schlechtes Zimmer, der Manager war ein Deutscher, sprach aber nur noch mühsam Deutsch. Am nächsten Tag bestieg Hesse allein den Pedrotallagalla (Pidurutalagala), dessen Höhe in englischen Fuβ beachtenswert und noch in Metern nicht allzu unbedeutend klang, immerhin handelte es sich um den höchsten Berg der Insel, doch seine Besteigung war ein Spaziergang. Fröstelnd lieβ Hesse das kühle Hochland mit dem See, den Hotels, den groβzügig angelegten Golf- und Tennisplätzen und den Singhalesen, die sich vor ihren Hütten lausten, hinter sich, wanderte durch dichten Wald, dürres Buschdickicht und lästige Mückenschwärme, über Moor, Bergbäche und Heideland auf den kahlen Gipfel zu. Da fegte der Wind Wolken und Nebel aus dem Tal von Nurelia und legte auch die anderen Täler frei, das ganze Hochgebirge von Sri Lanka lag nah vor Hesses Augen, er konnte die gesamte Insel überblicken, die auf dem blauen, glatten Meer lag und tatsächlich das Paradies der alten Sagen zu sein schien. Diese Urlandschaft berührte ihn mehr als alles, was er auf dieser Reise gesehen hatte, mehr als alle Palmen und Paradiesvögel, Tempel, Reisfelder und selbst der Urwald. Erst hier oben in der kalten Luft wurde ihm vollkommen klar, wie stark der westliche Mensch in raueren, nördlichen Ländern verwurzelt war. »Wir kommen voll Sehnsucht nach dem Süden und Osten (…), und wir finden hier das Paradies, die Fülle und die reiche Üppigkeit aller natürlichen Gaben, wir finden die schlichten, einfachen, kindlichen Menschen des Paradieses. Aber wir selbst sind anders, wir sind hier fremd und ohne Bürgerrecht, wir haben längst das Paradies verloren, und das neue, das wir haben und bauen wollen, ist nicht am Äquator und an den warmen Meeren des Ostens zu finden, das liegt in uns und unsrer eigenen nordländischen Zukunft.«

      Hesse hatte diese Reise getan, nicht um den Urwald zu besichtigen, Krokodile zu streicheln und Schmetterlinge zu fangen, wie er drollig Ludwig Thoma schrieb, sondern um zu lernen, ruhig, geduldig, gleichmütig, heiter durchs Leben zu ziehen. Er lernte es nicht, fand nur sich selbst und seine Unruhe, auch wenn er hundertmal um Weisheit flehte und nach Frieden rang. Diese Reise war ein »Traumbesuch bei fernen Vorfahren«, eine erhoffte »Heimkehr zu märchenhaften Kindheitszuständen der Menschheit«. Aber die indische und malaiische Welt war nur ein bunter ethnischer Maskenball, auf dem die Reste einer Paradiesmenschheit tanzten, gutmütige, unbekümmerte Naturvölker, die vom Westen gefressen wurden. Inder und Malaien waren schwach und ohne Zukunft, doch anstatt sie wie jüngere Geschwister zu behandeln, führte sich der Europäer ihnen gegenüber als Eroberer, Dieb und Ausbeuter auf. Hesse wunderte und verletzte die Selbstverständlichkeit, mit der selbst nette und redliche Weiβe wie Hasenfratz die Natives als Unterworfene und weit niedrigere Wesen ansahen. Das war ein Zeichen von Schwäche, die sich als Stärke ausgab und sich zum Beispiel in der holländischen Version rühmte, die Eingeborenen besser in Zucht zu halten als die Briten, die ihre Natives angeblich verwöhnten. Was die Engländer »da drauβen im Pfefferland treiben und (…) als europäische Kultur servieren«, so Hesse, war bei aller Einseitigkeit doch recht schön. Am meisten imponierten ihm jedoch die Chinesen. Im Unterschied zu den Japanern, die allgemein unbeliebt und als Gauner verhasst waren, sprachen die europäischen Kaufleute von den Chinesen mit Achtung, trotz oder aufgrund einer Ahnung von Rivalität und Furcht vor ernsthafter Konkurrenz. Für Hesse waren die Chinesen das erste wirkliche Kulturvolk, das er sah, dem Westen zwar unterlegen in äuβeren Vervollkommnungen der Zivilisation, doch überlegen als Volk, als Einheit von Rasse und Kultur, in der das Individuum mit dem Ganzen verschmolz, als Gemeinschaft, die in langer Geschichte ihre Eigenart herausgebildet und gepflegt hatte, eine allgemein geteilte und zugleich spezifische Lebensart, wovon in Europa nur die Engländer eine Vorstellung hatten. Starken Eindruck auf Hesse machte die religiöse Ordnung und Gebundenheit all der Millionen Seelen Asiens, der Osten atmete Religion, wie der Westen von Vernunft und Technik lebte. Was Europa brauchte, wenn es überleben und seine Kultur bewahren wollte, war eine Art seelischer Lebenskunst oder seelischen Gemeinbesitzes, aber


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