Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus

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Reisen nach Ophir - Rolf Neuhaus


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als einem Jahr lebt er nun auf Tahiti, und die Pariser Galerien haben nichts verkauft. Er hat keine Leinwand mehr, aber zwei Holzschnitzereien gemacht und für 300 Francs verkauft. Dann bekommt er 300 Francs von Monfreid, damit kann er für den Augenblick durchhalten. Vor seiner Heimkehr nach Frankreich würde er gerne noch auf den Marquesas-Inseln arbeiten, doch dazu braucht er eine Summe, die ihm für einige Monate Ruhe verschafft. Die elenden Sorgen um das verfluchte Geld bereiten ihm geradezu Schmerzen, nicht dass er krank wäre, aber er ist abgemagert und schwach und ganz plötzlich erstaunlich alt geworden. Er isst und trinkt ja auch nichts, nur ein bisschen Brot und Tee, wollte er wilde Bananen im Gebirge holen, könnte er nicht arbeiten und bekäme einen Sonnenstich. Natürlich drückte er auf die Tränendrüse, doch übermäβig glücklich hörte er sich nicht gerade an.

      Im November 1892 bekommt Gauguin aus Papeete Bescheid, er könne abreisen, wann er wolle. Anfang Dezember spricht er beim Gouverneur vor, der ihm eröffnet, er könne doch nicht abreisen, Paris habe gebeten zu prüfen, ob die Kolonie die Reisekosten tragen könne, eine solche Ausgabe erlaubten deren Finanzen jedoch nicht. Gauguin hatte sich schon darauf eingestellt, im Januar Tahiti zu verlassen; bis die Entscheidung eingeht, ob Paris die Kosten übernimmt, wird es Ende April werden, jetzt sitzt er wieder mit 150 Francs in der Tasche da. Ende Dezember sind es noch 50 Francs, Gauguin ist vollkommen niedergeschlagen. »Wenn ich richtig darüber nachdenke, so muss ich nach meiner Rückkehr mit der Malerei aufhören, die mich nicht zu ernähren vermag.« In 18 Monaten hat er nicht einen Centime mit seiner Malerei verdient, wovon soll er leben, wovon auch nur seine Farben kaufen? Gewiss, er wird einige Bilder nach Frankreich mitbringen, und diese Bilder sind besser als alles, was er bisher gemalt hat, doch das heiβt auch: noch schwerer zu verkaufen. »Ich sitze in der Tinte.« Im Februar 1893 steckt er »im gröβten Dreck«, er muss mindestens noch drei Monate warten, bis er abfahren kann, vorausgesetzt, der Minister genehmigt seine Repatriation. Gauguin erfährt, dass Morice ihm die erkleckliche Summe von 1353 Francs schuldet und Madame Gauguin in Kopenhagen Bilder für mehr als 2000 Francs verkauft hat; das Geld behält sie ein, schlieβlich zahlt er keinen Unterhalt für sie und die fünf Kinder. Von dem Geld könnte er seine Rückreise und den geplanten Abstecher nach den Marquesas selbst finanzieren, »ich bin toll vor Wut! Nur der Zorn hält mich noch aufrecht«. Dann findet er jemanden, der ihm gegen Zinsen und einige Bilder als Bürgschaft das Reisegeld vorschieβt, falls die französische Regierung ihn nicht auf Staatskosten zurückführt; so oder so wird er sich Anfang Mai einschiffen. Monfreid schickt ihm 300, dann noch einmal 700 Francs, hätte er das Geld einen oder zwei Monate früher erhalten, wäre er nach den Marquesas gefahren, aber das nächste Schiff zu den Inseln geht nun erst anderthalb Monate später ab, und er ist müde von dem ganzen Gerangel, er begräbt also seine Marquesas und wird eines Tages in Paris auftauchen, mit 66 mehr oder weniger guten Bildern und einigen ultrawilden Schnitzereien unter dem Arm.

      In Noa Noa heiβt es am Schluss, gebieterische Familienangelegenheiten hätten Gauguin heimgerufen. »Ich scheide um zwei Jahre älter, um zwanzig Jahre jünger, barbarischer auch als bei meiner Ankunft, und doch wissender. Ja, die Wilden haben den alten Kulturmenschen viele Dinge gelehrt, (…) Dinge vom Wissen um das Leben und von der Kunst, glücklich zu sein.« Als Somerset Maugham im Jahr 1916 den Weg nach Mataeia fand, zeigte man ihm ein Haus, in dem sich drei Bilder Gauguins befinden sollten. Es war ein höchst schäbiges Holzhaus, so Maugham, grau und baufällig, auf der Veranda wimmelte es von schmutzigen Kindern, ein junger Mann lag auf dem Boden und rauchte, eine Frau saβ müβig daneben – die glücklichen Eingeborenen. In dieser Hütte war Gauguin eine Zeitlang von den Eltern des jetzigen Besitzers gepflegt worden, zum Dank hatte er die Bilder hinterlassen. Im Innern gab es keine Möbel, nur Strohmatten, und in einem der beiden Zimmer befanden sich drei Türen, zur Hälfte aus Glas, die Glasscheiben hatte Gauguin bemalt. An zweien waren Reste zu erkennen, die die Kinder noch nicht abgekratzt hatten, das dritte war ganz gut erhalten, dieses wollte Maugham käuflich erwerben. Der Hausherr verlangte nur den Wert einer neuen Tür als Bezahlung; was Gauguin so viel wert gewesen war, die Malerei, war dem edlen Wilden nichts weiter wert. Der Kulturmensch Maugham gab ihm das Doppelte, schraubte die Schaniere ab und sägte die untere Türhälfte ab, um das Bild leichter transportieren zu können.

      Völlig abgebrannt kommt Gauguin im August 1893 in Marseille an. Von den 1000 Francs Monfreids hat er auf Tahiti seine Schulden beglichen, in Nouméa, wo er 25 Tage auf ein Anschlussschiff warten musste, Hotel und Gepäckaufbewahrung bezahlt und auf dem Schiff 400 Francs Zuschlag für die zweite Klasse abgedrückt, denn es befanden sich 300 Soldaten an Bord und jeder in der dritten Klasse hatte nur einen halben Quadratmeter Platz. »Teufel, welch dreckige Reise!« In Sydney herrschte Kälte, bis zu den Seychellen schlechtes Wetter, im Roten Meer unerträgliche Hitze, drei Hitzetote wurden über Bord gekippt. Gauguin telegrafiert seinen Freunden, sie sollen ihm Geld schicken, damit er von Marseille nach Paris fahren kann. In Paris erfährt er, dass sein Onkel in Orléans »den glücklichen Einfall zu sterben« hatte, die kleine Erbschaft muss er sich mit seiner Schwester teilen, für sich erwartet er etwa 10 000 Francs, mit deren Auszahlung ist aber erst in ein paar Monaten zu rechnen. Er stürzt sich in die Arbeit zur Vorbereitung der groβen Ausstellung seiner Tahiti-Bilder, die ihm den erhofften Durchbruch bringen soll, sowohl die breite Anerkennung als Künstler als auch die Aussicht auf eine finanziell einigermaβen gesicherte Zukunft. Er kauft Rahmen auf Pump, lässt Plakate und den Katalog drucken, zu dem Morice das Vorwort verfasst, zusammen mit Morice arbeitet er an Noa Noa, das Opus soll Verständnis für seine Kunst wecken, erscheint allerdings erst 1897 in der Revue Blanche in Fortsetzungen und 1901 als Buch. Mehr als 40 Bilder aus Tahiti hängt er in der Galerie Durand-Ruel aus, doch die Ausstellung wird ein Fiasko. Blaue Bäume, rote Hunde und überhaupt die grellen Farben, nachgeäffte Götzen primitiver Blumenkinder, unbegreifliche Symbole des heidnischen Aberglaubens der Wilden vom anderen Ende der Welt und die unverständlichen Titel in Maori-Sprache – das soll Kunst sein? Die Reaktion des Publikums verletzt Gauguin, die Kritik, der Hohn, das Gelächter, wo er doch mit Bewunderung, Begeisterung gerechnet hat, er wendet sich abermals innerlich von Europa und den Europäern ab, im Übrigen deckt der Verkaufserlös nicht einmal seine Unkosten.

      Als er sein Erbteil erhält, löst er Schulden ab, schickt Mette eine Summe, gibt seiner Pariser Geliebten von 1890/91, die ein Kind von ihm hat, etwas ab und richtet sich ein Atelier ein, in dem er mit Annah »la Javanaise« lebt, der dreizehn- oder vierzehnjährigen Mulattin indisch-singhalesisch-malaiischer oder sonst welcher Herkunft, die mitsamt einem Äffchen zu ihm gekommen ist und als Hausmädchen, Modell und Gespielin dient. Mit Annah und dem Äffchen zieht er sich im April 1894 in die Bretagne zurück, eines schönen Maitages macht die malerische Malertruppe nebst aufgetakelten Gattinnen und Geliebten einen Ausflug von Pont-Aven zum alten Fischerort Concarneau, wo man schrille Aufzüge extravaganter Bohemiens und zirkusreifer Artisten mit Affen an der Leine nicht gewohnt ist. Kinder laufen hinter ihnen her, machen sich vornehmlich über Annah und den Affen lustig, werfen schlieβlich mit Steinen nach der Gruppe. Einer der Maler zieht einem Bengel die Ohren lang, da stürzt dessen Vater aus der Hafenkneipe und streckt den Maler mit einem Faustschlag nieder, woraufhin dem Vater das Gleiche durch Gauguins Faust widerfährt. Ein Haufen Seeleute macht sich über Gauguin her, der sich wehrt, bis er über ein Loch im Boden stürzt und sich den Knöchel bricht. Bis ans Ende seiner Tage sollte er unter den Folgen dieser Schlägerei zu leiden haben.

      Die unmittelbare Folge war, dass er monatelang das Bett hüten musste. Er hat »furchtbare Schmerzen«, besonders nachts, wenn er nicht schlafen kann, also nimmt er Morphium und ist ganz benommen. Als er wieder aufstehen kann und Gehversuche macht, hinkt er und muss am Stock gehen. Obendrein hat er hohe Ausgaben für Arzt und Medizin und Kost und Logis. »Das alles ist nicht sehr lustig und trägt nicht eben dazu bei, dass ich in diesem schmutzigen Europa zu bleiben wünsche«, schreibt er Monfreid. Er fasst den Entschluss, »für immer in Ozeanien zu leben«. Schuffenecker kündigt er an, sobald wie möglich werde er sein »Talent bei den Wilden vergraben«, und man werde nichts mehr von ihm hören. »Leb wohl, Malerei.« Sowie er dazu imstande sei, will er nach Paris zurück und seinen »ganzen Laden« verhökern. Als er im November in Paris eintrifft, ist sein Laden leer. Annah, die schon im September von Pont-Aven abgereist war, hat das Atelier geplündert und ist verschwunden. Was ihr Wert zu haben schien, hat sie mitgehen lassen, nur der »Schund« ist Gauguin geblieben: die Bilder.

      Er organisiert die Versteigerung seines Restbesitzes und


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