Bilanzierung case by case. Jens Wüstemann

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Bilanzierung case by case - Jens Wüstemann


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der Fair Presentation nach IFRS mit der breiten, anspruchsvoll klingenden Formulierung der „tatsächlichen Verhältnisse“ (IAS 1.15) inhaltlich zu konkretisieren ist.131 Da die vorliegende Fallgestaltung jedoch keineswegs ein äußerst seltener Fall, sondern vielmehr ein sehr typisches Beteiligungsverhältnis ist, kommt eine Durchbrechung der Einzelvorschrift des IFRS 9 durch M nicht in Frage.

       cc) Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gemäß IFRS-Rahmenkonzept

       4. Ergebnis nach IFRS

      Der Wortlaut des IFRS 9 zur erfolgswirksamen Erfassung von Dividendenforderungen schließt eine Vereinnahmung der Dividenden der T zum Abschlussstichtag der M aus; der in der Literatur teilweise vertretenen Bejahung der phasengleichen Dividendenvereinnahmung auch nach IFRS ist nicht zuzustimmen.

       III. Gesamtergebnis

      1. Die beiden Schutzzwecke der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung sind primär die Gewinnanspruchsermittlung (Gewinnermittlungs-GoB) und subsidiär die Informationsvermittlung (Informations-GoB). Da für die beiden kardinalen Bilanzzwecke jeweils unterschiedliche Interessen festgestellt werden können (Mindestausschüttung versus Höchstausschüttung; Mindesteinblick versus Höchsteinblick), sind (gesetzgeberische) Wertungen und ihr Nachvollzug nötig.

      2. Das handelsrechtliche System der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung wird gegliedert in das Vermögensermittlungsprinzip und Gewinnermittlungsprinzip. Das System ist aufgrund seines normativen Charakters lückenlos. Das Vermögensermittlungsprinzip schließt den Ansatz von Verrechnungsposten aus und konkretisiert mit seinen Folgeprinzipien den Gewinn als objektivierten Reinvermögenszugang durch Einzelbewertung. Das Gewinnermittlungsprinzip (und seine Folgeprinzipien) dienen der Ermittlung eines umsatzgebundenen und verlustantizipierenden Gewinns (Realisationsprinzip).

      3. GoB sind Rechtsnormen; sie werden in wirtschaftlicher Betrachtungsweise (teleologisch) gewonnen (Wertungsnotwendigkeit). Die alte Lehre, die auch auf die Kaufmannsübung abstellte, gilt als überwunden. Aus der Rechtsnormqualität folgt unmittelbar auch die Kompetenz zur GoB-Bestimmung, die beim Gesetzgeber und, ersatzweise, der Rechtsprechung liegt. Standardisierungsausschüssen und der Wissenschaft kommt eine wichtige ergänzende Funktion zu – nicht indes eine dominante.

      4. Nach handelsrechtlichen GoB ist im vorliegenden Sachverhalt eine phasengleiche Dividendenaktivierung verpflichtend: Der Gewinnverwendungsbeschluss der T vor Abschluss der Prüfung der M erhellt die zum Abschlussstichtag bereits dem Ansatz nach bestehende (gewinnrealisierende) Forderung. Allerdings ist der Dividendenertrag in eine ausschüttungsgesperrte Rücklage einzustellen, bis der Rechtsanspruch auf Zahlung entsteht. Den anderslautenden Literaturmeinungen ist nicht zu folgen, weil sie die gesetzlich verankerte Ausschüttungssperre gegen den vom EU-Richtliniengeber intendierten Zweck auslegen und ihnen zudem keine Rechtsnormqualität zukommt.

      5. Der Konzernabschluss kapitalmarktorientierter Unternehmen ist nach IFRS aufzustellen; für alle anderen Konzernabschlüsse besteht ein Wahlrecht. Der zentrale Schutzzweck der IFRS im geltenden Bilanzrecht ist die Konkretisierung von Informationspflichten im Konzern. Im Jahresabschluss können die IFRS nicht für Offenlegungszwecke angewandt werden; für Zwecke der Gewinnanspruchsermittlung sind bei allen Kaufleuten nur die handelsrechtlichen GoB relevant.

      6. IFRS werden von dem privatwirtschaftlich organisierten IASB unter Einbezug der interessierten Öffentlichkeit geschaffen und haben dementsprechend originär Fachnormcharakter. Durch die Übernahme in EU-Recht erlangen sie aber faktisch Rechtsnormqualität. Als Deduktionsbasis dient im Rahmen der Standardsetzung das Rahmenkonzept für die Rechnungslegung. Aufgrund der Auslegungsoffenheit der dort verankerten Konzepte ist es in der Vergangenheit nicht gelungen, Widersprüche und Inkonsistenzen innerhalb der IFRS zu vermeiden.

      7. Dividendenforderungen sind nach IFRS 9 erst mit ihrer rechtlichen Vollentstehung zu vereinnahmen. Wertaufhellungsvorschriften, das Gebot der Fair Presentation sowie auch der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise berechtigen nicht zu einer Abweichung vom Wortlaut und somit einer phasengleichen Dividendenvereinnahmung.

       Weiterführende Literatur

HGB:
Beisse, Heinrich,Rechtsfragen der Gewinnung von GoB, BFuP, 42. Jg. (1990), S. 499–514
Döllerer, Georg,Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung, deren Entstehung und Ermittlung, BB, 14. Jg. (1959), S. 1217–1221
Euler, Roland,Das System der Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung, Stuttgart 1996
Moxter, Adolf,Bilanzlehre, Bd. I: Einführung in die Bilanztheorie, 3. Aufl., Wiesbaden 1984, S. 149–165
Moxter, Adolf,Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung, Düsseldorf 2003, S. 3–61
IFRS:
Jödicke, Ralf,Regelungslücken nach IFRS/IAS: Vorgehensweise und empirische Analyse am Beispiel von Stock Options und Versicherungsverträgen, Dissertationsschrift, Bochum 2008, S. 7–108
Wüstemann, Jens/Wüstemann, Sonja,in: Claus-Wilhelm Canaris/Mathias Habersack/Carsten Schäfer (Hrsg.), Staub Handelsgesetzbuch Großkommentar, Bd. 6, 5. Aufl., Berlin/Boston 2011, Anhang IFRS: Begriff und Ermittlung der IFRS
Ernst & Young (Hrsg.),International GAAP 2017, Chichester (West Sussex) 2017, Chapter 2: The IASB’s Conceptual Framework

      1 Vgl. Moxter, Entziehbarer Gewinn?, in: Ballwieser/Moxter/Nonnenmacher (Hrsg.), FS Clemm (1996), S. 231. 2 Vgl. Döllerer, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung, deren Entstehung und Ermittlung, BB 1959, S. 1217 (S. 1219). 3


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