Flüchtiges Glück. Else Feldmann

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Flüchtiges Glück - Else Feldmann


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Gemeindewohnung, die sie mit ihrer alten Mutter und einem arbeitslosen kriegsinvaliden Bruder bewohnt hat. Mit dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich ist ihr weiteres Schicksal – als Volljüdin – so gut wie besiegelt. 1940 stirbt ihre Mutter, die zuletzt im Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde gewohnt hatte; ihre jüngere Schwester Anna – als Geisteskranke in einer Heilanstalt interniert fällt dem dort praktizierten Euthanasieprogramm zum Opfer. 1941 wird ihr Bruder Richard Heinrich nach Riga deportiert einer von 80.000 Juden, die dort der »Endlösung« zugeführt worden sind.

      Die letzte aktenmäßig gesicherte Eintragung Else Feldmann betreffend stammt vom 14. Juni 1942: An diesem Tag wurden sie und ihre Leidensgenossinnen und Leidensgenossen insgesamt 996 Wiener Juden mit dem Transport Nr. 27 in das Generalgouvernement Polen »verschickt«. Die Reise führte nicht, wie zunächst vorgesehen, in das Durchgangslager Izbica, sondern direkt in das Vernichtungslager Sobibor. Dort hatten die Massenvernichtungen bereits im März 1942 begonnen; die genaue Zahl der dort Ermordeten lässt sich nicht mehr feststellen, aufgrund aufgefundener Dokumente beträgt sie mindestens 150.000, nach Aussagen polnischer Bahnbeamten über die Häufigkeit der Transporte rund 250.000 Menschen.

      Am 8. April 1943 schließt das Städtische Wohnungsamt Wien den Akt Feldmann ab: »Wohnungstausch Feldmann gegenstandslos, da Genannte als Jüdin ausgemietet wurde.«

      Adolf Opel

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       BLICK AUS DEM HOTELFENSTER

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      Arbeiter-Zeitung, 5. März 1922

      Ich bin bei einer Freundin aus der Schweiz zu Besuch. Sie wohnt an der Kreuzung einiger belebter Hauptstraßen.

      Während sie Briefe schreibt, dem Zimmermädchen Aufträge gibt, trete ich ans Fenster, und ganz verloren in den Anblick des Menschengewimmels schaue ich hinaus. Eine unerhört bewegte Welt da unten. Ich bin an solchen Ausblick nicht gewöhnt – ich habe eine kleine begrenzte Welt von Bäumchen vor meinen Augen oder ein kleines Stück der stillen Gasse, wenn ich aus dem Fenster zu Hause sehe. (Ich habe es schon oft bedauert, daß ich nicht ein größeres Stück der Straße übersehen kann – ein oder das andere Mal kann es doch vorkommen, daß man sehnsüchtig jemandem entgegenschauen möchte …)

      Es ist Abend und alle elektrischen Lichter brennen. Ein bläulich grauer Dunst liegt in den Straßen. Die Fenster der hohen Häuser sind erleuchtet. Die Geschäftsläden werden eben geschlossen. Eine Straßenbahn nach der anderen fährt vorbei. Lastenwagen, Fiaker und die Anzahl der Autos. Man kann nur Menschen in schwarzen Röcken unterscheiden, so hoch ist es. Erst wenn man sich weit vorbeugt, sieht man die Frauen; die jungen erkennt man am Gang, an der Flottheit der Kleider, und die alten, müde gewordenen, die nicht mehr um sich schauen und langsamer gehen.

      Es ist unheimlich, wie dieses Getriebe nie zur Ruhe kommt – nie; die Wagen nicht zu fahren aufhören, die Menschen nicht durcheinander zu eilen, und man möchte die Nacht vor dem Fenster erwarten, um endlich Ruhe eintreten zu sehen.

      Ich nehme den Stecher, Marke Zeiß, und auf einmal ist mir alles nah. Ich kann jeden deutlich sehen. Die fernsten Gestalten stehen plötzlich vor mir und enthüllen mir ihr Leben.

      Ein junger, abgerissener Mensch mit leeren Augenhöhlen, mit den Resten einer Uniform bekleidet, verkauft Schneerosen. Seine blauroten Hände zittern, wenn er Geld zählt – alle Augenblicke kommt jemand vorbei und fragt, was die Schneerosen kosten, dann geht er weiter, ohne zu kaufen. Kommt aber ein Jüngling mit einem Mädchen, dann fragt er nicht und kauft die Blumen, und da es März ist, und also bald Frühling, kommen viele Jünglinge mit Mädchen …

      Die Blumenfrauen daneben sehen robust aus, kugelrund, sie haben so viele Röcke an, um sich gegen die Kälte auf offener Straße zu schützen; aber trotzdem wird eine vom Husten geschüttelt. Ihre Nachbarin schaut sie kaum an, sie ist eben dabei, die Blumen zu morden, sie auf Draht zu stecken. Und, ja richtig, Veilchen sieht man schon, jede hat in ihrem Korb ein paar kleine Sträußchen.

      Vor der Haltestelle der Straßenbahn drängen sich die Leute. Arbeiter, Angestellte fahren heim, sie stoßen sich im Wagen: Jeder möchte sitzen; sie haben alle mißmutige, verbrauchte Gesichter, sie runzeln die Stirnen; kaum sitzen sie, schließen sie die Augen und atmen auf; sie sind müde – hungrig – müde …

      Erleuchtete Autos rasen vorbei. Damen mit gepflegten weißen Gesichtern in kostbaren Kleidern, mit Herren an ihrer Seite, die mit gierigen, schlauen Augen dasitzen. Es geht ins Theater und zu den Vergnügungsstätten.

      Ein Kind steht am Weg und weint, die Mutter hat es geschlagen, weil es Süßigkeiten gekauft haben wollte. Nun will es nicht mitkommen, weil die Mutter es schlug, und es bleibt mitten am Weg stehen und weint verzweifelt.

      An der Säule des Denkmals steht schon lange ein junger Mann und wartet. Er macht immer ein paar Schritte, zieht seine Uhr und vergleicht sie mit der großen Straßenuhr, dann zuckt er nervös zusammen – nimmt seinen Hut vom Kopf, trocknet sich die Stirn.

      Ein Laden nach dem anderen schließt. Auch der Diener aus der Buchhandlung kommt mit der Stange – wie er den Rollbalken herunterziehen will, tritt noch schnell eine Frau in den Laden, bald darauf kommt sie mit einem schmalen, roten Buch heraus, das sie bei der nächsten Straßenlaterne zu lesen beginnt.

      Der junge Mann vor der Schule geht noch immer auf und ab.

      An der Ecke ist eine »Verkehrsstörung« entstanden. Ein riesengroßer Wagen, hoch mit Säcken beladen, kommt nicht weiter, die zwei Pferde rühren sich nicht. Der Kutscher schreit hü und schlägt mit der Peitsche – es nützt ihm nichts; die Pferde stehen still, sie können nicht weiter. Alle Wagen müssen auf einmal halten, nur die Autos suchen sich rasch und finden einen Weg. Ein wüstes Beschimpfe beginnt. Mehrere Straßenbahnschaffner helfen den Wagen in Bewegung zu bringen. Sogar ein Herr im Pelz ist ausgestiegen, und lächelnd will auch er helfen – alle sehen ihn verwundert an. »Wie kann man nur einen Wagen so voll beladen?!«, schreit jemand. Der Wagen kommt ein wenig vorwärts, so daß das eine Geleise frei wird. Die beiden Pferde stehen stumpf da und zucken unter den Peitschenhieben, manchmal schütteln sie ihre kummervollen Köpfe, als wollten sie bitten: Nein! Nein!

      Es hat sich ein dichter Menschenknäuel gebildet. Der junge Mann mit der Uhr in der Hand hat Mühe, nach allen Seiten auszuschauen. Plötzlich verändert sich sein Gesicht, es strahlt von Glück und Freude, und aus der Menschenmenge zieht er ein Mädchen heraus – er spricht heftig auf sie ein, sie lacht – dann nimmt er ihren Arm und sie gehen.

      Aus einem Haustor kommt eine Katze herausgeschlichen und ohne sich nur im geringsten um andere Dinge zu kümmern, springt sie durch die Anlagen vor dem Denkmal und läuft dann schnurgerade ihren Geschäften nach – wie ein Herr, der ins Büro geht.

      Der Wagen ist fort und die Straßenbahn voll angesammelter Menschen fährt wieder.

      In dem großen Kaffeehaus gegenüber sieht man an den Fensterbänken die Tische und Stühle, die Kellner, die den Kaffee und die Zeitungen bringen. Es gehen und kommen die Gäste – manch einer hat ein lustiges und manch einer ein trauriges Gesicht, der eine lacht über einen Witz und einer sitzt mit bleichem Gesicht und schreibt einen Brief.

      Zwei lange, magere Frauen in Trauer mit langen Schleiern geben einem Bettler etwas, die eine findet, daß es zu wenig ist, und greift noch einmal in die Börse.

      Ich nehme den Stecher von den Augen und alles ist wieder ein gleichgültiges Gewimmel – weit und fern – schwarze Röcke …

      Noch einmal sehe ich hinein, ehe ich das Fenster verlasse.

      Vor dem Haustor steht ein Dienstmädchen mit einem Mann im blauen Arbeitsrock. Sie muß ihm eine furchtbare Mitteilung gemacht haben, denn er starrt sie ganz entsetzt an und greift sich an


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