Antisemitismus. Achim Bühl

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Antisemitismus - Achim Bühl


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die assyrische als auch die babylonische Politik gegenüber den Juden ist insofern nicht als antisemitisch zu werten, als es sich bei den Deportationen nicht um gewaltförmige Praxen auf rassistischer Grundlage handelte. Die Exilierung der Führungseliten wurde auch bei anderen Völkern praktiziert, die sich tributpflichtigen Unterwerfungen widersetzten, um die verbliebene Bevölkerung gefügig zu machen. Rassifizierende Diskurse, welche die Juden in kollektivierender wie antagonisierender Weise mittels eines oder mehrerer Differenzkriterien zur Fremdgruppe konstruierten bzw. die rassistisches Wissen zwecks Legitimierung etwa der Tempelzerstörung produzierten, sind nicht auszumachen, gleichwohl bedacht werden muss, dass die Quellenlage weniger fundiert ist als zu späteren Zeiten. Obgleich Antisemitismus keinesfalls auf Einstellungen oder auf Ideologeme verkürzt werden darf, stellt die antisemitische Ideologie einen notwenigen Bestandteil des sozialen Sachverhalts dar; dieser ist in der assyrischen wie babylonischen Zeit noch nicht auszumachen.

      Einwenden ließe sich, dass im Buch Daniel der hebräischen Bibel von Antisemitismus unter Nebukadnezar berichtet wird. Es heißt hier:

      »König Nebukadnezar ließ ein goldenes Standbild anfertigen, dreißig Meter hoch und drei Meter breit, und ließ es in der Ebene Dura in der Provinz Babylon aufstellen. Dann berief er sämtliche hohen Beamten seines Reiches zu einer Versammlung ein, die Provinzstatthalter, Militärbefehlshaber und Unterstatthalter, die Ratgeber, Schatzmeister, Richter, Polizeigewaltigen und alle hohen Beamten der Provinzen. Sie sollten an der Einweihung des Standbildes teilnehmen, das er errichtet hatte. Sie alle kamen zu der Einweihung und stellten sich vor dem Standbild auf. […] Einige Babylonier aber ergriffen die Gelegenheit, die Juden anzuzeigen. […] Da sind aber einige Juden, denen du die Verwaltung der Provinz Babylon anvertraut hast. Diese Männer haben deinen Befehl missachtet. Sie erweisen deinem Gott keine Ehre und beten das goldene Standbild, das du errichten ließest, nicht an.« (Daniel 3:1)

      Der Nebukadnezar der Sage aus dem Buch Daniel gerät daraufhin außer sich und lässt die beschuldigten Juden in einen siebenmal so stark wie sonst geheizten Ofen werfen. Doch es ist eine Sage, welche die Rückprojektion eines aktuellen Konflikts in die assyrische Zeit darstellt. Das Buch Daniel entstand zwischen 167–164 v. Chr., als das Judentum schwersten Repressalien unter dem seleukidischen Herrscher Antiochos IV. Epiphanes (215–164 v. Chr.) ausgesetzt war, der einen Vernichtungskampf gegen ihren Kultus führte und im Jahr 169 v. Chr. den Jerusalemer Tempel entweihte. In dieser Auseinandersetzung soll das Buch Daniel den Juden durch eine Legende aus vergangener Zeit Mut machen, insofern die Juden aus dem glühenden Ofen unbeschadet herauskommen.

       1.2Das Perserreich und die Juden

      Im Jahr 539 v. Chr. eroberte der Perserkönig Kyros II., der Persien fast dreißig Jahre lang regierte, Babylon. Kyros II. gelang es in seiner Amtszeit, das persische Einflussgebiet deutlich zu erweitern. Im Jahr 538 v. Chr. gestattete ein Edikt des Herrschers den Juden ihre Rückkehr nach Palästina. Ein relevanter Teil der Juden nahm das Angebot an und begann mit dem Bau eines Zweiten Tempels, den der persische König gestattete und finanzierte. Unter persischer Oberherrschaft war es den Juden erlaubt, ihren Kult in Palästina zu praktizieren sowie nach ihren religiösen Gesetzen autonom zu leben. Die Juden erhielten den vom babylonischen Reich geraubten Tempelschatz zurück. Für die Juden Palästinas begann eine vergleichsweise friedliche Zeit. Die unter der Perserherrschaft in Ägypten erfolgte Zerstörung des Tempels von Elephantine bildete eine Ausnahme, wenngleich die Täter von der lokalen persischen Administration unterstützt wurden, die für ihr opportunistisches Agieren indes streng bestraft wurde.

      Das historisch gesehen positive Verhältnis des Perserreichs zu den Juden ist negativ verzerrt wie überlagert durch das Buch Esther der hebräischen Bibel, welches beim jüdischen Purimfest gelesen wird und an die vermeintliche Rettung der Juden im persischen Großreich erinnern soll. Das Buch Esther schildert den Versuch des persischen Regierungsbeamten Haman, die Juden kollektiv zu vernichten. An den Perserkönig Ahasveros wendet sich Haman mit den Worten:

      »Es gibt ein Volk, zerstreut und abgesondert unter allen Völkern in allen Ländern deines Königreichs, und ihr Gesetz ist anders als das aller Völker, und sie handeln nicht nach des Königs Gesetzen. Es ziemt dem König nicht, sie gewähren zu lassen. Gefällt es ihm, so lasse er verfügen, dass man sie umbringe. Dann werde ich 10.000 Zentner Silber abwiegen […] und in die Schatzkammer des Königs bringen lassen.« (Esther 3:8)

      Ahasveros stellt die Transliteration des persischen Wortes Xerxes dar, sodass der eliminatorische Komplott gegen die Juden in die Amtszeit des persischen Großkönigs Xerxes I. (519–465 v. Chr.) fallen würde, der Persien von 486 v. Chr. bis zu seinem Tode regierte. Die heutige Forschung geht indes davon aus, dass auch diese biblische Legende die antisemitischen Übergriffe des Seleukidenherrschers Antiochos IV. Epiphanes in die Perserzeit zurückprojizierte. Der Zweck der Legende, die von der wundersamen Errettung der Juden durch die Adoptivtochter Esther des als Torhüter des königlichen Palastes dienenden Juden Mordechai berichtet, bestand darin, den Juden mit der Geschichte eines für sie glücklich verlaufenden existentiellen Konflikts zum Zeitpunkt des Makkabäer-Aufstands (167–141 v. Chr.) Mut zu machen. Sowohl das Buch Daniel wie das Buch Esther sind nicht als Geschichtswerke zu interpretieren, sondern müssen als biblische Erzählungen verstanden werden, die zeitgenössische Auseinandersetzungen legendenhaft verarbeiten.

       1.3Der erste Tatort: Elephantine in Ägypten

      Fährt man als Tourist mit einem Nildampfer, um die klassischen Ziele wie Luxor zu besichtigen, so kommt man vorbei an der Insel Jeb, die wegen ihrer Gestalt auch Elephantine genannt wird und sich in der Nähe von Syene befindet, dem heutigen Assuan, das sich am gegenüberliegenden Ostufer des Nils befindet. In Elephantine existierte in der Antike eine jüdische Militärkolonie, deren Größe auf ca. 1.500 Mann geschätzt wird. Aufgrund umfangreicher Papyrus-Funde in aramäischer Sprache ist das jüdische Leben in Elephantine recht gut dokumentiert. Jüdisches Söldnerwesen existierte wohl schon im 7. Jh. v. Chr., als die ägyptischen Könige Soldaten anwarben, um die Südgrenze Ägyptens gegen das Reich der Nubier zu schützen. Die Entstehungszeit der Militärkolonie von Elephantine lässt sich nur schätzen, sie wurde vermutlich bereits im 6. Jh. v. Chr. gegründet. Nachdem sich Ägypten von der assyrischen Herrschaft befreit hatte und seinerseits Palästina kontrollierte, verstärkten sich die Anwerbungen jüdischer Söldner für die ägyptische Armee. Besonders nach Zerstörung des Ersten Tempels im Jahr 586 v. Chr. handelte es sich um eine größere Anzahl Juden, die den Siedlungsangeboten der ägyptischen Herrscher folgten. Das Privileg zum Bau eines Tempels hatte die jüdische Kolonie von Elephantine bereits nach ihrer Ankunft von den ägyptischen Herrschern erhalten, sodass dieser bereits kurz nach Etablierung der Ansiedlung errichtet wurde. Der Tempel stand im Mittelpunkt des jüdischen Lebens und war dem „Gott Israels“ geweiht. Die Juden der Militärkolonie fühlten sich zugleich eng mit dem Jerusalemer Tempel verbunden und baten bspw. in Briefen um Unterstützung beim Pessachfest. Bedingt durch die umfangreichen Papyrusfunde des Althistorikers und Ägyptologen Eduard Meyer (1855–1930) Anfang des 20. Jh.s lässt sich der Ablauf der Zerstörung des Tempels von Elephantine im Jahr 411 v. Chr. aufschlussreich rekonstruieren.

      Zu den Konstellationen, die zum Aufstand von Elephantine führten, gehört der historische Sachverhalt, dass die Selbstständigkeit Ägyptens mit der Eroberung des Landes durch den persischen Herrscher Kambyses endete, der seinerseits durchaus Interesse an den jüdischen Söldnern zeigte, um mit ihrer Hilfe die Ordnung in Oberägypten aufrechtzuerhalten. Bei den Akteuren des antijüdischen Aufstands handelte es sich um ägyptische Priester des benachbarten Tempels des Widdergottes Chnum, deren Motive aus einer religiösen Konkurrenzsituation heraus resultierten sowie aus dem an die elephantinischen Juden gerichteten Vorwurf, diese paktierten als Söldner mit den persischen Herrschern über Ägypten. Das Schüren des Judenhasses stützte sich so auf die klassische Konstellation der Diaspora-Situation, welche durch die militärische Funktionstätigkeit der Juden verstärkt wurde. Während sich die Protagonisten des Konflikts zu „genuinen Einheimischen“ konstruierten, warfen sie den „jüdischen Fremdlingen“ mangelnde Solidarität bzw.


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