Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution. Laurie Penny

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Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution - Laurie Penny


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Anpassung, die bestenfalls unendlich viel Arbeit und ständigen Frust mit sich bringt, gewiss aber kein Garant für Gesundheit und Glück ist, nicht einmal für die, die über die Mittel verfügen, diesen Weg zu gehen. Moderne Superfrauen sind dermaßen erschöpft und überdreht, dass sie mittlerweile dämliche kleine Muffins backen und in Fifties-Blümchenkleidern durchs Haus schweben, als brächte ihnen das die Zeit zurück, als die Frau noch einkaufte, kochte, Babys wickelte, und wenn sie Glück hatte und hübsch war, einen Mann dazu überreden konnte, das alles zu bezahlen. Je weiter wir uns davon entfernen, desto attraktiver wirkt diese Möglichkeit auf uns.

      Die Vergangenheit ist ein fremdes Land: Dauernd erhebt jemand im Namen der einen oder anderen Ideologie Anspruch darauf, ohne Rücksicht auf die Menschen, die tatsächlich dort leben. Der jüngsten Geschichte bemächtigte man sich mit der Behauptung, frühere Frauengenerationen seien nicht frei gewesen, weil sie nicht gegen Bezahlung arbeiten durften. Das heutige Bild der 1950er Jahre zeigt Frauen, die an das Haus gekettet waren, an den Spülstein, den Jägerzaun, den Ehemann und die Kinder. Viele erschöpfte Frauen von heute fänden diesen vergoldeten Märchenkäfig wahrscheinlich sehr reizvoll: Den ganzen Tag lang im Haus herumwuseln und den Kindern beim Aufwachsen zusehen: Das hat ja wohl kaum weniger Würde, als Tag für Tag ins Büro zu schlappen und einen Job zu machen, der nicht einmal die Miete für eine Zweizimmerwohnung einbringt. Wenn der Feminismus uns nicht mehr gebracht hat als das Recht auf Lohnarbeit, so kommt durchaus zurecht das Gefühl auf, dass es mit der Emanzipation nicht weit her ist und dass die Frauen, die sich für den attraktiven Prinzen und die Hausfrauenrolle entschieden, vielleicht doch die richtige Wahl trafen.

      Das derzeitige Konzept von Weiblichkeit ist eng mit Unternehmergeist und Wettbewerb verknüpft: Möchtegern-Sozialtheoretikerinnen wie Catherine Hakim sprechen völlig ohne Ironie vom »erotischen Kapital« der Frauen.15 Das ist abstoßend, denn damit wird laut und deutlich ausgesprochen, was uns Eltern, Lehrer und Freundinnen nur zuflüstern: Deine Weiblichkeit ist eine Marke, deine Erotik dein Aktienpaket, das du halten und zu Geld machen musst, wenn es am meisten wert ist. Deine Genderidentität, einer der intimsten Bereiche, die dich zu dem machen, was du bist, steht vollständig zum Verkauf. So erklärt sich auch, warum sich Frauen und besonders junge Frauen so gut auf die Anforderungen der sozialen Medien und der Kapitalisierung des sozialen Bereichs einstellen, die von ihnen erwarten, dass sie die Logik der Markenbildung auf ihr Leben anwenden, damit sie möglichst viele Anhänger und Freunde bekommen. Weiblichkeit soll für uns ein Teil unserer Marke sein, ein Brandzeichen, das uns schon bei der Geburt ins Fleisch gebrannt wurde.

       Was wollt ihr wollen?

      Das Mädchen in Grün in der letzten Reihe meldet sich seit einer Viertelstunde. Der Arm ist schon ganz lahm, und sie muss ihn mit der anderen Hand abstützen. Sie kann nicht älter als zwanzig sein. Sie hat das blassblonde flauschige Prinzessinnenhaar, das ich mir als Kind immer gewünscht habe und das man am liebsten anfassen würde, um zu fühlen, ob es wirklich so weich ist, wie es aussieht, Haar, das beim Rennen wie ein Schleier hinterherweht, das Haar eines Mädchens, von dem nicht erwartet wird, dass es irgendwo hinrennt. Wir sitzen in einem Vorlesungssaal einer deutschen Universität, denn man hat mich eingeladen, über Gender und Begehren zu reden, als hätte ich eine Ahnung davon.

      Das Mädchen mit dem Prinzessinnenhaar hat den rosigen Teint, über den Männer sehnsüchtig schreiben, weil er gleichzeitig Jugend und Scham ausdrückt. Schriftsteller und Schriftstellerinnen beschreiben solche Mädchen ausführlich, ohne sich je die Mühe zu machen, sie anzuhören. Solche Mädchen sitzen in der letzten Reihe, warten, bis sie dran sind und ihre Frage stellen dürfen, und beschweren sich nicht, wenn sie nicht dran kommen. Sie aber kommt dran, und ihre Frage lautet:

      »Was will ich?«

      Ich bitte sie, die Frage noch einmal zu wiederholen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie recht verstanden habe.

      »Meine Frage ist: Was will ich wirklich? Sie reden darüber, was Frauen wollen und was man ihnen sagt, dass sie wollen, als gebe es da einen Unterschied. Ich weiß, tief in mir, dass ich frei und unabhängig sein will. Aber ich will auch schön sein und einen Freund haben und es meinen Eltern recht machen und tun, was in den Zeitschriften steht. Woher weiß ich, ob ich das, was ich will, wirklich will? Und was sollte ich wollen?«

      Ist das nicht die Frage? Was sollen wir wollen? Und was sollten wir wirklich wollen, als Mädchen, als Jungen, als Menschen, die um Identität und Macht ringen, wo man doch von uns erwartet, dass wir den von der Biologie sauber gezogenen Verhaltensrichtlinien folgen? Was wollen wir voneinander und von unserem Leben?

      Begehren ist eine soziale Vorstellung. Ich musste erst aus dem offiziellen Teil meiner Jugend hinauswachsen, um überhaupt zu begreifen, was ich wollen will.

      Ich kann euch sagen, was wir wollen sollen: schwere Arbeit, schale Schönheit und romantische Liebe, gefolgt von Geld, Ehe und Kindern: Diese Definition von völliger Freiheit hat Besitz von unserer Fantasie ergriffen und lässt keinen Raum für andere Lebensweisen. Aber was ist, wenn wir etwas anderes wollen? Ist das überhaupt noch erlaubt?

      Was, wenn wir Freiheit wollen?

       Meuterei in unserer Zeit?

      Es kommt eine Zeit, da müssen wir entscheiden, ob wir uns ändern, um in die Geschichte zu passen, oder ob wir die Geschichte ändern. Es erleichtert die Entscheidung ein wenig, wenn wir begreifen, dass die Weigerung, das eigene Leben und die Persönlichkeit den Konturen einer ungerechten Welt anzupassen, der beste Weg zur Schaffung einer neuen ist.

      Es kommt eine Zeit, da müssen wir entscheiden, was wir uns zu wollen erlauben.

      Da wir gerade dabei sind: Ich will eine Meuterei. Ich will, dass Frauen und Queers und alle anderen, die unter den Gender-, Macht- und Eigentumsstrukturen leiden – und das sind die meisten von uns –, nicht weiter darauf warten, dass sie für ihr Wohlverhalten belohnt werden. Golddukaten sind nicht zu erwarten, und gute Jobs gibt es nur noch wenige. Selbst wenn wir die richtigen Kleider kaufen und unsere Arbeit gut machen und uns jeden Tag mit zusammengebissenen Zähnen dasselbe Lächeln aufs Gesicht zwingen, haben wir keine Garantie, dass man uns in Ruhe alt werden lässt, bis die Flut einsetzt.

      Vergesst es. Es ist vorbei. Die soziale Revolution, die stockend durch das vergangene Jahrhundert stolperte, die feministische Gegenwehr, die sexuelle Revision, das Zerschlagen alter Normen zu Hautfarbe, Klasse und Geschlecht, diese soziale Revolution muss neu beginnen, diesmal mit uns allen, nicht nur mit den reichen Weißen, die sie am wenigsten brauchten. Deshalb muss es Meuterei sein.

      Es muss Meuterei sein. Nur so geht es. Früher war ich nicht so kompromisslos. Ich ging wählen, unterschrieb Petitionen und plädierte für einen Wandel innerhalb des Systems. Ich blieb die ganze Nacht auf, als Obama gewählt wurde; ich jubelte den Liberaldemokraten in London zu. Ich dachte, wenn wir kleine Veränderungen einfordern – eine andere Haltung zur Körperbehaarung, ein leichtes Anheben des Mindestlohns, vielleicht die Schließung einiger Pornoläden und die Zulassung der Homo-Ehe –, dann würde man uns am Ende ein bisschen Freiheit geben, wenn es nicht zu viel Umstände machte.

      Das war einmal. Wohlverhalten bringt uns nicht weiter. Die freundliche Bitte um Veränderungen bringt uns nicht weiter. Wir brauchen Meuterei. Eine Klassenmeuterei, eine Geschlechtermeuterei, eine Sexmeuterei, eine Liebesmeuterei. Es muss die Meuterei unserer Zeit sein.

      Oft heißt es, wir sollen doch bitte Verständnis haben für die, die traditionell die Macht in unserer Gesellschaft innehaben – Männer, Weiße, Heterosexuelle, die Oberschicht – und die gnädig ein kleines bisschen ihrer Privilegien abgeben, winzige Fetzen, die wir anderen unter uns aufteilen sollen. Man erklärt uns, Gleichheit auf dem Papier, Gleichheit vor Gericht reichten aus, und das in einer Gesellschaft, deren Gesetze seit jeher ungerecht umgesetzt und ungleich durchgesetzt werden. Vor allem sagt man uns, es sei nun wirklich genug. Es könne keine bessere Welt geben als die, in der wir heute leben. Gleichheit, soziale Chancen, persönliche und sexuelle Freiheit seien ein Luxus, den sich die Gesellschaft nicht leisten könne. Aber das stimmt nicht. Freiheit kann nicht nur vor Gericht ausgehandelt werden. Die sexuelle Revolution ist nicht


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