Metamorphosen. Ovid
Читать онлайн книгу.[725] und verwundet das Ungeheuer mit dem Sichelschwert, wo es sich eine Blöße gibt, bald am Rücken, der mit hohlen Muscheln bewachsen ist, bald seitlich zwischen den Rippen, bald dort, wo der sich verjüngende Schwanz in einer Fischflosse endet. Das Ungeheuer speit Meerwasser, vermischt mit purpurnem Blut. Von dem Sprühregen wurde das Gefieder naß und schwer. [730] Perseus wagte es nicht länger, sich den durchnäßten Flügelschuhen anzuvertrauen. Da erspähte er eine Klippe, deren Spitze bei Meeresstille hervorragt, bei bewegter See bedeckt ist. Darauf gestützt und mit der Linken den obersten Grat umklammernd, stieß er drei-, viermal zuschlagend dem Tier den Stahl in die Weichen. [735] Beifallklatschen und Jubel erfüllten den Strand und drangen bis hinauf in die Hallen der Götter. Cassiope und der Vater Cepheus freuen sich, begrüßen ihn als Schwiegersohn und bekennen, er sei der Helfer und Retter ihres Hauses. Von den Ketten befreit, schreitet die Jungfrau einher. Sie ist der Lohn und die Ursache der Mühen. [740] Er selbst schöpft Wasser und wäscht sich die siegreichen Hände. Um das schlangenhaarige Haupt nicht durch den harten Sand zu beschädigen, polstert er den Boden mit Blättern, macht aus Wasserpflanzen eine Streu und legt darauf das Haupt der Phorcystochter, der Meduse. Die frischen Seepflanzen, deren saugkräftiges Mark noch lebte, [745] rissen die Kraft des Wunderwesens an sich, wurden durch seine Berührung hart und erfuhren an Stengeln und Blättern eine neuartige Versteinerung. Die Meernymphen aber erproben die wunderbare Erscheinung an weiteren Zweigen, freuen sich darüber, daß ihnen dasselbe gelingt, und werfen immer wieder Samen davon auf die Wellen. [750] Auch heute noch haben die Korallen dieselbe Eigenschaft, bei der Berührung mit Luft zu erstarren, so daß, was im Meer eine Pflanze war, über dem Wasserspiegel zu Stein wird.
Drei Göttern errichtet Perseus ebenso viele Altäre aus Rasenstücken: links einen für Mercur, rechts für dich, streitbare Jungfrau, [755] in der Mitte steht Iuppiters Opferstätte. Für Minerva wird eine Kuh geschlachtet, für den Gott mit den Flügelschuhen ein Kalb, für dich, oberster der Götter, ein Stier. Eilends reißt er Andromeda an sich, den Lohn für seine herrliche Heldentat – ohne Mitgift. Die Hochzeitsfackeln schwingen Hymenaeus und Amor voran, die Flammen werden reichlich mit Duftstoffen gespeist, [760] Girlanden hängen von den Dächern herab, überall erklingen Leiern, Schalmeien und Gesänge: glückbringende Zeichen des Frohsinns. Mit entriegelten Türflügeln stehen die goldenen Hallen weit offen, und die Vornehmen Aethiopiens kommen herein zum prächtig gerichteten Festmahl des Königs.
[765] Nachdem sie geschmaust und ihr Herz durch die Gabe des edlen Bacchus erheitert hatten, fragt der Nachkomme des Lynceus nach der Eigenart und der Bebauung des Landes, nach Sitten und Denkart seiner Bewohner. Als er ihn darüber belehrt hatte, sprach Cepheus: [770] »Jetzt, tapferster Perseus, verrate bitte, wie mutig und schlau du es angestellt hast, das schlangenhaarige Haupt zu rauben.«
Die Meduse
Da erzählt Agenors Sproß, am Fuße des eisigen Atlasgebirges liege ein Ort, geschützt durch eine wuchtige Befestigung; am Eingang hätten zwei Schwestern gewohnt, Töchter des [775] Phorcys, die ein einziges Auge gemeinsam benützten. Dieses habe er, während eine es der anderen übergab, mit List und Tücke ergattert, indem er die Hand dazwischenschob. Dann sei er auf ganz versteckten und entlegenen Pfaden, über von Waldgestrüpp starrende Felsen zum Hause der Gorgonen gelangt. Weit und breit auf Feldern [780] und Wegen habe er Standbilder von Menschen und Tieren gesehen – der Anblick der Meduse hatte sie in Stein verwandelt. Er selbst aber habe die Gestalt der grauenerregenden Meduse im Erz des Schildes, den er in der Linken trug, im Spiegelbild geschaut. Während tiefer Schlummer sie und die Schlangen gefesselt hielt, [785] habe er ihr das Haupt vom Halse getrennt. Dann seien Pegasus, der auf Flügeln entfloh, und dessen Bruder aus dem Blut der Mutter entstanden. Er berichtete auch noch wahrheitsgetreu von den Gefahren seiner langen Reise, von den Meeren und Ländern, die er von oben gesehen, und von den Sternbildern, die er flügelschlagend erreicht hatte. [790] Doch ehe man es erwartet hätte, verstummte er. Einer der Vornehmen nahm den Gesprächsfaden auf und fragte, warum die Meduse als einzige der Schwestern auf dem Haupte Schlangen trug, die sich jeweils im Wechsel zwischen die Haare mischten. Der Fremde antwortete: »Da du etwas wissen willst, was wert ist, berichtet zu werden, vernimm, wie es dazu kam. Sie war wegen ihrer Schönheit [795] hochberühmt und die Hoffnung vieler eifersüchtiger Freier. Doch nichts an ihr war schöner als ihr Haar. Ich habe jemanden getroffen, der berichtete, er habe sie selbst gesehen. Der Beherrscher des Meeres soll sie im Tempel der Minerva geschändet haben. Iuppiters Tochter wandte sich ab und bedeckte ihr keusches Antlitz mit der Ägide. [800] Um dies nicht ungestraft zu lassen, verwandelte sie das Haar der Gorgo in häßliche Schlangen. Auch heute noch trägt sie, um ihren Feinden lähmendes Entsetzen einzuflößen, vorn auf der Brust die Schlangen, die sie schuf.«
Fünftes Buch
Perseus’ Kampf gegen Phineus
Während der Held, Danaes Sohn, solches im Kreise der Cephener erzählt, füllen sich die königlichen Hallen mit einer lärmenden Schar. Ihr Geschrei klingt nicht nach Hochzeitsgesängen, sondern es kündigt wilde Waffengänge an. [5] Das Gastmahl, das sich plötzlich in einen Aufruhr verwandelt hat, könnte man einem Meer vergleichen, das die wilde Wut der Winde aus seiner Ruhe aufstört, indem sie die Wellen in Bewegung setzt. Als erster sprach unter ihnen Phineus, der unbesonnene Urheber des Krieges, und schüttelte seine eschene Lanze mit der ehernen Spitze: [10] »Seht, da bin ich, um Rache dafür zu üben, daß man mir vor meinen Augen die Gattin geraubt hat. Weder deine Schwungfedern noch dein Vater Iuppiter, der sich in trügerisches Gold verwandelt hat, werden dich mir entreißen.« Während er versucht, die Lanze zu schleudern, ruft Cepheus: »Was tust du? Welche Verblendung treibt dich, Bruder, in deiner Raserei zur Freveltat? Ist das der Dank für so große Verdienste? [15] Zahlst du der Geretteten diese Mitgift dafür, daß sie am Leben geblieben ist? Nicht Perseus hat sie dir genommen, wenn du die Wahrheit wissen willst, sondern der göttliche Zorn der Nereiden, der gehörnte Ammon und das Meerungeheuer, das kam, um sich an meinem Fleisch und Blut zu sättigen. Damals wurde sie dir entrissen, [20] als sie zum Tode bestimmt war; es sei denn, du forderst, Grausamer, gerade ihren Tod und willst dich an unserer Trauer laben. Offenbar genügt es dir noch nicht, daß du als Zuschauer dabeistandest, als sie gefesselt wurde, und daß du ihr weder als Oheim noch als Bräutigam irgendwie geholfen hast. Willst du jetzt auch noch darüber Schmerz empfinden, daß jemand sie gerettet hat, [25] und ihm seinen Lohn entreißen? Hältst du diesen Lohn für bedeutend – hättest du ihn dir doch von den Felsen, an die deine Braut gefesselt war, geholt! Jetzt laß zu, daß derjenige, der sie sich geholt hat, dem ich verdanke, daß mein Alter nicht kinderlos ist, das davonträgt, was er sich durch das Wort ausbedungen und durch sein Verdienst erworben hat. Versteh doch, daß man ihn nicht dir vorgezogen hat, sondern dem sicheren Tode.« [30] Er erwidert nichts, sondern blickt abwechselnd Cepheus und Perseus an. Noch ist er unschlüssig, ob er den einen oder den andern angreifen soll. Nach kurzem Zögern schleudert er die Lanze mit aller Kraft, die der Zorn ihm verlieh, vergeblich auf Perseus. Als sie im Polster steckte, sprang Perseus – erst jetzt! – vom Lager auf; [35] und er hätte mit der Waffe, die er trotzig zurückschickte, die feindliche Brust durchbohrt, wäre nicht Phineus hinter den Altar getreten, und – o Schmach! – dem Frevler war der Altar von Nutzen! Doch war der Wurf nicht vergeblich, die Lanze blieb in der Stirn des Rhoetus stecken. Er stürzt, das Eisen wird ihm aus dem Schädel gezogen, [40] er schlägt mit den Fersen aus und besprengt die gedeckte Tafel mit Blut. Da aber entbrennt das Volk in hemmungsloser Wut, alle schleudern ihre Waffen, und manche sagen, Cepheus müsse samt seinem Schwiegersohn sterben; doch Cepheus hatte die Schwelle seines Hauses verlassen, indem er Recht, Treue [45] und die Götter der Gastfreundschaft als Zeugen dafür anrief, daß dieser Aufruhr gegen sein Verbot verstieß.
Die kriegerische Pallas ist zur Stelle, schützt ihren Bruder mit der Ägide und flößt ihm Mut ein. Es gab dort einen Inder namens Athis, den Limnaea, die Tochter des Gangesflusses, in der gläsernen Wassertiefe geboren haben soll; er zeichnete sich durch Schönheit aus, die er, [50] jung, wie er mit seinen sechzehn Jahren noch war, durch reichen Schmuck steigerte. Er trug einen Purpurmantel, den eine goldene Borte säumte. Seinen Hals zierte vergoldetes Geschmeide, sein mit Myrrhe durchtränktes Haar hielt ein gebogener Stirnreif zusammen. Er war ein Meister darin, mit dem Wurfspieß auch weit entfernte Ziele zu treffen,