Im Sonnenwinkel Classic 45 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Читать онлайн книгу.erst in seinen Räumen, duschte und kleidete sich um. Dann suchte er seinen Vater auf.
Ludwig Röttgen saß an seinem Schreibtisch. Nichts in seiner Miene verriet, dass er von Julius bereits über die Ankunft seines Sohnes informiert worden war.
»Du überraschst mich«, erklärte er ruhig. »Was verschafft mir diesen unerwarteten Besuch?«
»Vielleicht nostalgische Gründe«, entgegnete Claudius und ließ sich in einem Sessel nieder.
»Ein Wort, das einem lästig werden kann«, bemerkte Ludwig Röttgen. »Es wird zu viel im Munde geführt, und leider auch dann, wenn es nicht angebracht ist.«
Wie das Wort »Liebe«, ging es Claudius durch den Sinn. Unwillkürlich musste er wieder an Eva denken.
Er zuckte zusammen, als sein Vater sagte: »Felix Münster rief mich heute Vormittag an. Du warst also tatsächlich dort.«
Claudius fühlte sich unsicher. Ob Felix Münster auch über seine Begleiterin gesprochen hatte?
»Natürlich war ich dort. So war es doch verabredet, Papa. Sandra Münster ist übrigens eine bezaubernde Frau.«
Er hoffte, mit dieser Äußerung seinem Vater das Eingeständnis zu entlocken, dass er von Eva wusste. Aber der Ältere lächelte ironisch.
»Es sind immer nur die Frauen, die dich interessieren, Claudius«, bemerkte er.
»Übertreib nicht, Papa. Ich habe mich lange mit Felix Münster unterhalten. Ein kluger, weitsichtiger Unternehmer.«
»Willst du damit sagen, dass ich zurückgeblieben bin?«, fragte Ludwig Röttgen sarkastisch.
Claudius stieg das Blut in die Stirn.
»Gewiss nicht, aber manches sollte auch bei uns rationalisiert werden. Ich habe da so einige Ideen.«
»Dann setze sie in die Tat um. Deinem Arbeitseifer wären keine Grenzen gesetzt.«
»Es muss alles wohlüberlegt werden«, sagte Claudius.
»In Nachtlokalen, am Spieltisch oder im Schlafzimmer irgendeiner Frau«, meinte Ludwig Röttgen anzüglich. »Du bist achtundzwanzig Jahre, Claudius. Es wird Zeit, dass du dich daran erinnerst, dass ich vielleicht bald abtreten muss.«
Nun sah Claudius ihn doch ehrlich erschrocken an.
»Das höre ich nicht gern, Papa. Du bist sechzig, das ist doch kein Alter.«
»Ich fühle mich wie achtzig und bin es müde, von allen Seiten zu hören, dass mein Sohn ein Playboy ist.«
»Hat Felix Münster das gesagt?«, entfuhr es Claudius.
Forschend betrachtete Ludwig Röttgen seinen Sohn.
»Er nicht. Er hat gemeint, dass du ein intelligenter Bursche bist, der seine Fähigkeiten zu wenig nutzt. Du hast ihm da einige Ideen eingegeben, die ihm zu gefallen scheinen.«
»Na, das ist doch wenigstens etwas«, bemerkte Claudius, froh, dass kein Wort über Eva fiel. »Vielleicht können wir uns darüber auch einmal unterhalten, Papa.«
*
Im Verlauf der nächsten Tage schien es tatsächlich, als wollte Claudius sich ernsthaft mit den Neuplanungen für das Unternehmen beschäftigen. Dann wurde es ihm zu langweilig in dem einsamen Haus, und er schlug seinem Vater vor, sich in der Fabrik umzusehen.
Ludwig Röttgen war skeptisch, aber er wollte sich nicht von diesem Gefühl dazu verleiten lassen, Claudius zu kontrollieren. Er war so tolerant, von seinem Sohn nicht von heute auf morgen eine völlige Wandlung zu erwarten.
In seiner Stadtwohnung fand Claudius einen Brief von Eva vor. Es waren nur wenige Zeilen.
Wir starten zwei Tage früher als vorgesehen. Lass es Dir gut gehen, Claudius. Vielleicht erinnerst Du dich auch einmal zweier wunderschöner Tage, die wie ein Traum für mich waren.
Wie ein Traum! Er sah sich mit Eva Hand in Hand durch den Wald gehen, er sah ihr Gesicht vor sich, als er sie in den Armen hielt, das Glück in ihren Augen, dieses scheue Lächeln. Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. Der Traum zerstob. Es war Anke von Halling.
»Bist du endlich wieder im Lande, Claudius?«, fragte sie. »Übermorgen ist meine Geburtstagsparty. Hast du es vergessen?«
Er hatte es fast vergessen, aber nun erinnerte sie ihn ja daran. Und sie erinnerte ihn auch daran, dass für diesen Tag ihre Verlobung geplant war.
Also gilt, dachte Claudius, versuchen wir mal ein solides Leben. Er rief seinen Vater an und unterrichtete ihn davon, dass er sich mit Anke verloben wolle.
»Du wirst doch kommen, Papa?«, fragte er.
»Ich fühle mich nicht wohl. Außerdem werde ich lieber warten, ob auch die Hochzeit zustande kommt«, tönte die Antwort durch den Draht.
Claudius fuhr zum Wohnsitz der Hallings. Hier wurde er auf das Freundlichste empfangen. Anke sah bezaubernd aus, und Claudius kam zu der Überzeugung, dass es sich mit ihr leben lassen würde.
Die Verlobung war perfekt, die Hochzeit war für vier Wochen später geplant.
*
Bambi Auerbach spielte Babysitter bei ihrem Neffen Henrik. Sie war unsagbar stolz, in so jungen Jahren schon Tante zu sein, und erfüllte ihre Pflicht mit größter Gewissenhaftigkeit.
Ricky war mit ihrer Mutter nach Hohenborn zum Friseur gefahren, denn am Abend waren sie bei den Münsters eingeladen, die Besuch von Ludwig Röttgen bekommen hatten. Er hatte sich endlich doch zu einer dreiwöchigen Kur aufgerafft und machte auf der Heimfahrt bei ihnen Station.
Henrik klatschte gleich in seine Händchen, als Bambi ihm die Rassel hinhielt.
»Bist ja ein ganz braver Junge«, meinte Bambi zärtlich. »Unser allerliebster Schatz. Wirst wohl gar nicht müde heute, mein Kleiner.«
Es sah bezaubernd aus, wie sie sich über den Kleinen neigte, und Ricky, die unbemerkt eingetreten war, betrachtete hingerissen das Bild, das sich ihren Augen bot. Selbst ihr kleiner Sohn konnte die Liebe, die sie für ihr Schwesterchen empfand, nicht schmälern.
»Da bin ich wieder«, sagte sie.
Bambis dunkles Lockenköpfchen nickte empor.
»Das ging aber schnell, Ricky, wir waren ganz brav.«
»Das weiß ich ja«, äußerte Ricky liebevoll. »Auf unsere Bambi können wir uns verlassen.«
»Das wäre auch noch schöner«, erwiderte Bambi. »Du siehst sehr, sehr hübsch aus. Es ist Post gekommen, Ricky. Darf ich Hannes die Briefmarken mitnehmen?«
»Wir wollen erst mal sehen, wer geschrieben hat«, meinte Ricky. »Oh, Eva! Das ist aber eine liebe Überraschung.«
»Von der Eva, die ihr auf dem Fest kennengelernt habt?«, fragte Bambi.
Ricky nickte. Sie hatte den Umschlag geöffnet und den Briefbogen auseinandergefaltet. Ihr Gesicht überschattete sich immer mehr, je weiter sie las. Bambi beobachtete die große Schwester.
»Schreibt sie traurig?«, fragte sie.
Geistesabwesend sah Ricky die Kleine an.
»Nicht eigentlich traurig.«
»Hat sie Heimweh? Wo ist sie denn jetzt?«
»In Rio.«
»Wo immer der große Karneval ist? Da waren Mami und Papi doch auch schon.«
Rickys Augen hingen an den Zeilen.
Vielleicht erinnern Sie sich meiner gar nicht mehr, Ricky, aber ich muss so oft an Sie denken und hatte Ihnen doch einen Kartengruß von dieser großen Reise versprochen. Nun wird es ein Brief. Einen Abend habe ich mal für mich. Es ist eine einzige Hetze. Das Klima bekommt mir auch nicht recht.
Die Tournee ist ein großer Erfolg, und eigentlich sollte ich glücklich sein.