Zieht euch warm an, es wird heiß!. Sven Plöger

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Zieht euch warm an, es wird heiß! - Sven Plöger


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nicht. Und entsprechend sieht unsere Klimagerechtigkeit aus: Müsste nicht jeder Mensch gleich viele Rechte und Pflichten gegenüber der Atmosphäre haben? Doch es zeigt sich, dass global und in den einzelnen Nationen die Wohlhabenderen auch diejenigen sind, die weit über dem Schnitt Treibhausgase emittieren. Dass denjenigen, die das Klima über die Maßen aufheizen, der Planet noch nicht um die Ohren geflogen ist, liegt auch an den vielen, die aufgrund ihrer bescheidenen Verhältnisse fast nichts zum Klimawandel beitragen.

      Und dann ist da noch die Frage der Zurechnung: Der Inselstaat Palau liegt mit 57 Tonnen pro Kopf weltweit auf Platz 1. Wie das? Der CO2-Ausstoß der Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe, die jede Menge Touristen zu den rund 500 Inseln transportieren, wird den nur 17 700 Einwohnern zugerechnet. Pech? Oder ungerecht? Palau gilt übrigens als Steueroase, was ein Grund dafür sein könnte, warum manche so dringend dorthin düsen müssen.

      Wie eingangs schon erwähnt: Wollen wir unsere bisherigen Fehler korrigieren, so müssen wir, um die Ziele von Paris einhalten zu können, von jetzt an bis Mitte des Jahrhunderts jedes Jahr die Treibhausgasemissionen um 7,6 Prozent senken. Da macht es Hoffnung, dass die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Anlehnung an Roosevelts »New Deal« den »Green Deal« für die EU bezweckt und durchsetzen will, dass Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt ist. Mehr Investitionen in grüne Technologien und in die Spitzenforschung und mehr nachhaltige Lösungen, gepaart mit mehr sozialer Gerechtigkeit, sind das Konzept – im Grunde ein neues Wirtschafts­system mit maximaler Wiederverwertung von Ressourcen im Kreislauf. Namentlich geht es zudem um eine saubere Energiewirtschaft, einen klimaneutralen Verkehrssektor noch in den 2030er Jahren, und besonders um die energetische Sanierung des Gebäudebestands. Die Ideen sind nicht verblüffend neu, aber sehr vernünftig – wenn man sie umsetzt und nicht einfach nur davon spricht.

      In Deutschland haben wir vor allem eine gute Klimarhetorik. Jahrelang wurde stets wiederholt, dass wir Europas Vorreiter beim Klimaschutz sein wollen und bis 2020 die Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren werden. 2017 hat man dann urplötzlich bemerkt, dass 2020 ja nicht mehr so weit weg ist und … all die ambitionierten Ziele kurzerhand auf 2030 vertagt! Ganz ehrlich: Mit dieser »Strategie« wird man dem Klimawandel nicht beikommen, und dass uns am Ende ein Virus unterstützen würde, war ja nicht abzusehen. Im Jahr 2019 lagen wir beim Erreichen unserer Klimaziele auf Platz 8 der nunmehr nur noch 27 EU-Staaten. Mit dem 8. Platz ist man noch nicht mal auf dem Podest und sicher kein Vorreiter. Aus der falschen Selbsteinschätzung wachsen Aussagen der Art, dass nach unseren vielen Taten nun erst einmal die anderen dran seien, wir können die Welt ja schließlich nicht allein retten! Keine Sorge, das tun wir auch nicht im Mindesten. Leider. Summiert man unsere Emissionen von Kohlendioxid seit 1750 auf, so liegt Deutschland auf Platz 4 von 194 Ländern, und wir sind zudem das Land, das auf Platz 6 bei den aktuellen Emissionen liegt. Ein maßgeblicher Grund für diese hohen Werte ist natürlich die Nutzung der Braunkohle. Kurzum: Wir haben es sehr wohl nötig, uns zu ändern – ohne auf die anderen zu zeigen!

      Was wir nicht mit eigenen Augen sehen können, fällt für uns – und das war evolutionär sinnvoll – erst mal kaum ins Gewicht. Beim Klimaschutz erhält dieses »mit den eigenen Augen sehen« eine fast tragische Rolle. Kohlendioxid ist völlig unsichtbar und geruchlos. Stellen Sie sich mal kurz vor, dieses Gas wäre schwarzer Qualm und wir sähen nie mehr die Sonne! Unsere beliebten Urlaubsziele im Mittelmeer oder ferne Traumstrände lägen ständig in bleigrau-dämmrigem Zwielicht. Oder stellen Sie sich vor, das Kohlendioxid hätte den gleichen Geruch wie die Stinkbomben, die wir zu Schulzeiten gerne im Lehrerzimmer hochgehen ließen! Wir müssten mit klobigen Gasmasken herumlaufen, um den widerlichen Gestank auszuhalten. Dann würden wir unser Problem dauerhaft spüren und nicht nur – wie bei Extremwetter – mal hier, mal da und mit längeren Unterbrechungen. Das Thema stünde auf allen politischen Agenden auf Platz 1 und man würde schleunigst nach Lösungen suchen. Und sie auch sofort finden – denn die Nachteile wären so offensichtlich, sie würden die individuellen Vorteile im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten stellen.

      Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass CO2 natürlich ein für unser Leben sehr wichtiges Gas ist. Ohne es könnten Pflanzen – und das schließt die so wichtigen Algen ein – keine Photosynthese, die Umwandlung von Kohlendioxid und Wasser in Glucose (Traubenzucker), betreiben. Als »Abfall« entsteht, nicht ganz unwichtig, Sauerstoff. Also: Kohlendioxid ist weder ein »böses Gas« noch ein »Klimakiller«, sondern einerseits wichtig und andererseits ein Treibhausgas. Es hat Vor- und Nachteile. Die Dosis macht’s und darum ist ein vernünftiges Gleichgewicht sinnvoll. Wenn wir in Rekordzeit immer mehr CO2 in die Atmosphäre drücken, wird es eben wärmer und die Wetterabläufe ändern sich. So einfach ist das.

      Die Unsichtbarkeit spielt auch beim Klimaschutz eine Rolle. Wohnt jemand, der sich stets klimafreundlich verhält, Tür an Tür mit jemandem, den man mit Fug und Recht als Umweltsau bezeichnen würde, so sehen beide die exakt gleiche Welt: Der Erfolg des eigenen Handelns bleibt unsichtbar – so unsichtbar wie das CO2 selbst. Die Erfolge von sinnvollem Klimaverhalten, wenn wir denn kollektiv erfolgreich agieren, sehen wir leider erst mit großer Verzögerung, ebenso wie wir erst jetzt die Folgen unserer früheren Klimaschädigung sehen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Erreichen der Klimaziele kein konkretes »Ergebnis« hat, sondern lediglich Schlimmeres abwendet. Das hat eine gänzlich verdrehte Motivationsstruktur zur Folge, vergleichbar mit dem alltäglichen Verhalten vieler Leute, Reparaturen oder Behandlungen nie aufzuschieben, während Vorsorgemaßnahmen gerne schleifen gelassen werden: Der Aufwand hat keinen greifbaren, sondern nur hypothetischen Gegenwert.

      Bilder von der Erdatmosphäre, etwa einen Sonnenaufgang aus der Internationalen Raumstation ISS, zeigen, wie hauchdünn und zart die Lufthülle ist, die unsere Erde umspannt. Gleichzeitig ist sie aber auch äußerst gewichtig: Es lasten nicht weniger als 5 Billiarden Tonnen Luft auf unserer Erdoberfläche, die wir als Luftdruck messen. Diese riesige Masse kaschiert unsere »kleinen Sünden« sehr lange: Statt die Atmosphäre respektvoll sauber zu halten, stopfen wir sie mit unseren Abgasen voll – zunächst merkt man ja nichts davon, und alle anderen tun das doch auch. Es dauert eben eine ganze Weile, bis 5 Billiarden Tonnen aufgeheizt sind, und die Reaktion der Atmosphäre auf unser Verhalten ist extrem träge. Sie kennen das von Ihrer Heizung: Drehen Sie den Thermostat drei Stufen höher, ist das Zimmer ja nicht schlagartig wärmer, sondern es wird dauerhaft mehr Energie zugeführt. Die Temperatur steigt, bis ein neues Gleichgewicht zwischen Energiezufuhr und Wärmeverlust herrscht. Drehen Sie den Thermostat irgendwann zurück, so führen Sie weniger Energie zu und die Temperaturen sinken wieder.

      Genauso, nur viel langsamer, laufen die Prozesse in der Atmosphäre ab. Daher können wir mit Aussagen wie »in den letzten 100 Jahren ist es global um rund ein Grad wärmer geworden« auch kaum etwas anfangen oder zumindest nichts Besorgniserregendes daran erkennen – anders als bei Unwettern, die den Klimawandel heute »spürbar« machen. Wir brauchen also einen griffigen Vergleich, um Änderungen der Mitteltemperaturen erfassen und einordnen zu können: Seit dem Ende der letzten Kaltzeit vor rund 11 000 Jahren ist die globale Mitteltemperatur um gerade einmal 4 Grad angestiegen. Aber eine 4 Grad kältere Welt ist eine völlig andere als die heutige. Damals waren sämtliche Alpentäler mit Eis aufgefüllt, der Norden Europas lag unter einer Eisdecke von 2 bis 3 Kilometer Dicke. Der Nordosten Deutschlands ruhte unter einem bis zu 500 Meter dicken Eispanzer. Knapp ein Drittel des heute flüssigen Wassers war zu Eis erstarrt und der Meeresspiegel lag 120 Meter tiefer. Also noch einmal: Eine 4 Grad kältere Welt hat mit der heutigen schlicht nichts zu tun. Vor diesem Hintergrund versteht man, dass eine 4 Grad wärmere Welt ebenso eine ganz andere sein würde, mit der heutigen nicht zu vergleichen. Nur, dass wir Menschen die Prozesse erheblich beschleunigen. Folgt man Szenarien der Klimaforschung, bei denen wir wenig bis nichts zum Klimaschutz leisten, steigen die globalen Temperaturen bereits bis zum Ende dieses Jahrhunderts um weitere 4 Grad. Heißt: Die Natur braucht 11 000 und wir 100 Jahre. Linear überschlagen passiert alles 110-mal schneller, als es durch natürliche Ursachen erfolgen


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