Arkadien. Emmanuelle Bayamack-Tam

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Arkadien - Emmanuelle Bayamack-Tam


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seltenen Krankheit erfuhr – offenkundig ist sie so selten, dass Madame Tourteau zum ersten Mal eine solche Patientin in ihrer heimeligen Praxis empfängt, die sich bisher Verhütungsmethoden, Schwangerschaftsbegleitungen und Hormonersatztherapien widmete, möglicherweise auch dem einen oder anderen Fall von Brustkrebs, wenn überhaupt.

      »Wird sie Kinder haben können?«

      »Ohne Gebärmutter und ohne Gebärmutterhals? Unmöglich. Es wäre ja schon ein Glück, wenn sie Geschlechtsverkehr haben kann!«

      »Wieso?«

      »Ihre Tochter kann nicht penetriert werden. Bei einer Vagina von drei Zentimetern, wo denken Sie hin!«

      An diesem Punkt scheint ihr endlich aufzugehen, wie grausam ihre Aussagen sind, sie wird rot und will uns nur noch schleunigst loswerden, kritzelt in Windeseile Briefe an andere Ärzte, die in Sachen MRKHS-Syndrom versierter sind als sie, und wirft mit Beschwichtigungen um sich:

      »Man kann wunderbar ohne Gebärmutter leben. Und die Regel ist vor allem eine Unannehmlichkeit. Manche meiner Patientinnen würden alles darum geben, sie nicht mehr zu haben.«

      Als sie uns – mit allerlei Überweisungsscheinen und Rezepten versehen – zur Tür bringt, wird sie von ihrem Diagnosedämon eingeholt und greift mit inquisitorischer Hand nach meinem Kiefer, um ihn ins Licht zu halten.

      »Was mir allerdings zu denken gibt, ist dieser Hirsutismus. Normalerweise haben MRKHS-Patientinnen einen weiblichen Phänotyp. Ihr Äußeres ist normal, mit Brüsten und schwacher Behaarung, in der Schamgegend, unter den Achseln – mehr nicht. Farah scheint jedoch einen Schnurrbart zu bekommen …«

      Arkady schiebt mich eilends hinaus, bevor Madame Tourteau uns schlankweg erklärt, dass ich dabei bin, von innen wie von außen zu vermännlichen, doch das Unheil ist bereits angerichtet und so schleichen wir bedrückt zurück zum Auto.

      »Sollen wir noch eine Runde drehen? Magst du zum Hafen?«

      Im Gegensatz zu meinen Eltern, die nicht das Geringste von meinem Leben außerhalb des Liberty House ahnen, weiß Arkady über meine städtischen Eskapaden bestens Bescheid.

      »Nein. Ich will nach Hause.«

      »Komm schon, Farah, wir gehen was trinken. Bei den Sablettes gibt es ein tolles Café. Ich kenne die Kellnerin, außerdem haben sie dort einen unglaublich guten Prosecco. Du wirst begeistert sein.«

      Ich bezweifle nicht, dass er die Kellnerin dieses Cafés kennt und noch viele andere, dank seiner Neigung, allerorten mit aller Welt ins Gespräch zu kommen, aber ich habe keine Lust, meinen Kummer im Spumante zu ertränken, und wäre er noch so hervorragend. Nein, meinen Kummer möchte ich durchleiden, ich möchte ihn gründlich unter die Lupe nehmen, ehe ich ihn in die Knie zwinge. Nur dass Arkady anderes im Sinn hat.

      »Wir gehen da jetzt hin.«

      Pech gehabt, es ist Anfang Dezember und sein tolles Café in der Nachsaison geschlossen, wie alle Cafés entlang des Strandes. Wir treten wie zwei Deppen auf den Sand ein und lassen uns von der trostlosen Atmosphäre um uns herum durchdringen.

      »Ist doch egal, dass du keine Gebärmutter hast, Farah. Ich habe schließlich auch keine.«

      »Ja, aber du bist ein Mann. Während ich mich immer für ein Mädchen gehalten habe. Bis heute jedenfalls.«

      »Bist du ja auch!«

      »Bin ich nicht! Ich habe weder Gebärmutter noch Vagina.«

      »Das ist doch alles Quatsch. Sieh dir mal Daniel an.«

      »Was ist mit Daniel?«

      »Er hat weder Behaarung noch Adamsapfel und ist trotzdem ein Junge!«

      »Entschuldige mal, Daniel ist ein ganz schlechtes Beispiel!«

      »Warum?«

      »Weil er genauso ist wie ich: weder Junge noch Mädchen!«

      Wir setzen uns auf einen Wall aus feuchtem Sand, gegenüber einem grauen, reizlosen, aufgebrachten Meer – meilenweit entfernt von dem, wie es sein kann, wenn die Sonne es zum Spiegel ihrer Pracht kürt.

      »Wo liegt denn der Unterschied, ob du nun eine Gebärmutter hast oder nicht?«

      »Ich hab auch keine Vagina.«

      »Gehen wir die Probleme einzeln durch. Wozu überhaupt braucht man eine Gebärmutter?«

      Ich weiß nicht mehr, welcher Idiot Gesundheit als das Schweigen der Organe definiert hat, doch eins steht für mich fest: Gesundheit ist in erster Linie das Vorhandensein dieser Organe, seien sie noch so laut und schmerzanfällig. Mir fehlt die Gebärmutter, ich leide am Küster-Hauser-Syndrom. So. Das ist meine Krankheit. Sie mag selten sein, mich aber macht sie voll und ganz aus. Während ich vom Leder ziehe, hört mir Arkady mit großen Augen zu.

      »Ist das wirklich dein Ernst?«

      »Mein voller Ernst. Siehst du, wie recht du hattest, als du meintest, meine Eltern hätten mich verpfuscht? Bei meiner Embryogenese ist was schiefgelaufen.«

      »Es läuft doch immer irgendwas schief. Bei der Embryogenese oder sonst danach.«

      »Aber ich habe nun mal keine Gebärmutter. Und die braucht man, um Kinder zu kriegen, da hast du die Antwort auf deine Frage.«

      »Du bist fünfzehn! Du willst Kinder? Du bist selbst noch ein Kind!«

      »Jetzt will ich keins, aber was, wenn ich später eins will?«

      »Dann lässt du dir eine Gebärmutter implantieren. Deine Mutter kann dir ja ihre überlassen, sie braucht sie nicht mehr.«

      »Und was ist mit meiner Vagina?«

      »Die braucht auch kein Mensch!«

      »Das sagst du!«

      »Eben, und ich spreche aus Erfahrung: Sexualität beschränkt sich bekanntlich nicht auf den Vaginalverkehr.«

      »Hast du nicht gehört, was Madame Tourteau gesagt hat, Arkady? Ich habe eine cupula! Cupula

      »Wie nennst du sie?«

      »Cupula.«

      »Nein, die Gyn!«

      »Madame Tourteau?«

      »Madame Toretto, nicht Tourteau, mein Gott. Weißt du überhaupt, was das ist? Apropos Taschenkrebs, wie wär’s mit ’nem Teller Meeresfrüchte am Hafen?«

      »Du bist doch Vegetarier, oder?«

      »Klar, doch um dich aufzuheitern, würde ich so viele Taschenkrebse, Strandschnecken und Garnelen kaltmachen wie nötig.«

      Ich weiß zu schätzen, dass er sich redlich um einen Themenwechsel bemüht; und auch, dass er bereit ist, gegen sämtliche Speisegebote zu verstoßen, die er unserer kleinen Gemeinschaft höchstpersönlich verkündet hat, dennoch finde ich, meine anatomischen Fehlbildungen verdienten etwas mehr Aufmerksamkeit.

      »Weißt du überhaupt, was eine Cupula ist? Ich kenne nur eine, und zwar die der Eicheln. Ist dir klar, wie die aussieht, die Eichelcupula?«

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