... denn alles ist Vorherbestimmt. Elisabeth Schmitz

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... denn alles ist Vorherbestimmt - Elisabeth Schmitz


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je, dachte sie, nun breche ich gleich zusammen.

      »Tina«, sagte Marie. »Kannst du mich auch nicht sehen?«

      Tina nahm die Hand von Marie in die ihre und spürte, dass es nur noch eine Hülle war. Schnell verließ sie den kalten Raum, in dem ihre tote Freundin lag.

      Im Flur wartete Frau Heidemann auf sie, und die beiden Frauen, denen nun so viel Leid verband, umarmten sich. Tina bot der älteren Frau an, sie nach Hause zu fahren, und diese nahm das Angebot dankend an.

      Marie wollte mit der Faust an die Stahlwand schlagen, aber sie fuchtelte nur herum. Die Wand schien nicht da zu sein.

      Die dunkelhaarige Frau, die in der Ecke stand, kam zu ihr und sagte: »Ich bin Martha. Komm mit mir. Hier ist kein guter Platz.«

      Sie nahm Marie bei der Hand, und schon standen sie vor einer Bank im Park. Martha setzte sich darauf. Marie plumpste auf die Erde.

      »Versuche es noch einmal. Konzentriere dich auf die Materie.« Es ging nicht. Seltsam, auf ihrem Sarg von der Unfallstelle konnte sie doch auch sitzen.

      Alles kam ihr so eigenartig vor.

      Marie setzte sich ins Gras und zeigte auf ein Gänseblümchen.

      »Meine Freundin Tina und ich haben uns in diesem Sommer einen Kranz aus diesen Blüten gebunden. Sie war gerade in dem Raum aus Stahl. Wie mag es ihr bloß gehen ohne mich? Ich darf gar nicht daran denken. Wie bist du gestorben, Martha?«

      »Ich hatte vor drei Wochen einen Myokardinfarkt und war sofort tot. Mein Mann Peter ist Arzt und wird mit meinem Tod nicht fertig. Deshalb bin ich auch noch hier. Er denkt, dass ich noch leben könnte, wenn er nicht länger als nötig in der Klinik geblieben wäre. Das ist natürlich Quatsch. Ich war auf der Stelle tot.

      Peters sämtliche Kollegen haben es ihm gesagt. Immer wieder. Aber er akzeptiert es nicht. Er ist ein sehr guter Neurologe, aber er operiert nicht mehr.

      Er ist der Chefarzt vom Klinikum in Roderstadt. Abends ist er zu Hause und schaut Videos von uns an. Wir hatten uns schon auseinandergelebt. Er lebte für seine Arbeit und ich für meine.

      Ich habe mit meiner Schwester zusammen eine kleine Boutique in Roderstadt. Wir haben alles selbst genäht, was wir dort verkaufen. Wir sind beide gelernte Schneiderinnen, weißt du. Nun führt Karin den Laden alleine, und sie wird wohl jemanden einstellen müssen.

      Mit Peter hat sie keinen Kontakt. Er ist auch nicht gerade einfach. Ich bin in einem wunderschönen Kleid, das Karin und ich gemeinsam entworfen hatten, beerdigt worden.

      Komm mit, ich zeige dir mein Grab. Wir haben ja alle Zeit der Welt.«

      Als die beiden auf dem Friedhof ankamen, sahen sie, dass neben Marthas Grab ein neues ausgehoben war.

      »Was denkst du, ob das mein Grab ist?«, fragte Marie.

      »Das ist schon möglich. Dein Unfall war vor drei Tagen. Morgen ist der vierte Tag. Wir werden dann wieder hier sein.«

      »Drei Tage ist es schon her? Hab ich gar nicht gemerkt. Du Martha, ich sehe dauernd ein funkelndes Licht, und eine lieb aussehende Frau steht dort. Ich schaue dann schnell weg, und schon ist auch das Licht verschwunden. Was ist das bloß?«

      Martha schaute sie mit großen Augen an.

      »Siehst du das auch? Ich dachte schon, dass ich spinne. Bilder sehe, oder so was. Aber man sagt ja, dass Verstorbene in ein Licht gehen sollen. Hast du auch einen Tunnel gesehen?«

      »Nein, einen Tunnel habe ich nicht gesehen. Aber warte.... Doch! Ich erinnere mich, dass ich auf der Autobahn war und wunderte mich, dass da auf der Straße ein Tunnel aufgebaut war. Der war doch sonst nicht dort. Und diese schöne Wiese, die schönen Farben am Horizont... Das alles hatte ich dort noch nie gesehen. Ich dachte während der Fahrt auch über meine Kindheit nach. Alles flog nur so an mir vorbei. Habe ich deshalb den schweren Unfall gehabt, weil ich so unachtsam war, Martha?«

      Martha schüttelte den Kopf.

      »Nein Marie. Du bist doch gar nicht schuld an dem Unfall. Ein junger Mann, 26 Jahre alt, hat sich das Leben genommen. Er war als Geisterfahrer auf der Autobahn.

      Eine Mutter, die mit ihren beiden kleinen Söhnen unterwegs war, raste in das Auto. Du warst hinter ihr und bist voll auf die beiden Wagen geknallt.

      Es sind noch vier weitere Wagen in die Unfallstelle gefahren, aber sie hatten mehr Glück als du. Na ja, wenn man von Glück reden kann.... Sie sind alle verletzt worden, manche so schwer, dass sie nie mehr normal leben können.«

      Marie war bestürzt. Das hatte sie gar nicht gewusst.

      »Martha, woher weißt du all das?«

      »Ich bin doch die ganze Zeit bei Peter im Klinikum gewesen. Da hat man es sich erzählt. Und aus dem Grund war ich auch in der Pathologie, wo ich dich gesehen habe. Dich und all die anderen.«

      Marie nahm ihre neue Freundin in den Arm.

      »Ich bin so froh, dass ich dich getroffen habe. Oder vielmehr du mich.« Beide lachten.

      »Du Martha, weißt du, ich habe an der Unfallstelle die Verstorbenen und auch die Lebenden gesehen, aber den Verursacher des Unfalls, den habe ich nur tot da liegen sehen. Weißt du, warum das so ist?«

      »Ja, Marie«, sagte Martha, »das weiß ich auch. Ich habe mich gewundert, warum auf dem Boden so ein dunkler, schmieriger Qualm oder Dampf entlang kroch. Und in dem Qualm sah ich ein Gesicht.

      Ein alter, verstorbener Mann sah mein erschrockenes Gesicht und sagte mir, dass dieses böse Verstorbene seien. Sie würden das Licht niemals sehen. Der junge Mann hat so viel Leid angerichtet durch seine Tat. Für viele Menschen geht das Leben nun völlig andere Bahnen. Und nur durch seine Schuld.«

      »Aber vielleicht hat er keinen anderen Ausweg gesehen als seinen Suizid«, meinte Marie.

      Martha streichelte ihr übers Haar. »Wie lieb du bist. Hast mit deinem Mörder sogar noch Mitleid. Sicher, du hast recht. Er war bestimmt verzweifelt. Aber er wusste genau, dass er viele Menschen mit in den Tod nehmen würde. Hätte er nur sich getötet, wäre er vielleicht einer von uns, aber das entscheiden ja nicht wir. Mag ja sein, dass die Frau, die wir in dem Licht sehen, etwas damit zu tun hat. Wir werden es erfahren.«

       2.

      

      

      

      

      Am nächsten Tag war tatsächlich die Beerdigung von Marie. Es waren so viele Menschen dort. Die Leichenhalle war voller Kränze und Blumen.

      Frau Heidemann, Maries Mutter, saß ganz vorne. Sie starrte nur auf den Sarg ihrer Tochter. Man konnte in ihrem Gesicht lesen, dass sie das alles noch gar nicht begriff. Hinter ihr saß Tina.

      »Meine über alles geliebte Kräuterhexe«, flüsterte Marie.

      »Bitte sei doch nicht so traurig. Sieh nur, mir geht es gut. Hier, das ist Martha. Sie würde dir auch gefallen.«

      Natürlich konnte Tina sie nicht hören.

      Marie setzte sich neben sie. Ja, tatsächlich. Sie konnte sich auf eine Bank setzen. Sie schaute zu Martha, und diese hob den Daumen in die Höhe.

      »Ich hab es geschafft‘«, sagte sie ganz leise.

      »Du kannst ruhig laut reden«, sagte Martha, »niemand hört uns.«

      Der Priester kam und sagte viele liebe Worte. Ob er es wohl so meinte? Er kannte Marie doch gar nicht. Sie war kein Kirchgänger, aber ihre Mutter ging jeden Sonntag dorthin. Marie war sich sicher, dass viele Gebete für ihre einzige Tochter gesprochen waren.

      »Mein Mütterlein!« Wie gepflegt ihre Haare waren. Sanft berührte Marie die grauen, vollen Locken ihrer Mutter.

      Ein Schluchzen


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