... denn alles ist Vorherbestimmt. Elisabeth Schmitz
Читать онлайн книгу.doch nicht so sehr. Bitte Tina.«
Jeder, der in der Leichenhalle war, hatte eine Orchidee in der Hand. Sie waren bestimmt aus dem Blumenladen, in dem damals Marie gearbeitet hatte.
Marie war Pflanzentechnologin in einer Orchideen Gärtnerei, und ihr Arbeitsplatz war das Labor. Sie züchtete auf einer Nährlösung neue Sorten von Orchideen in kleinen Anzucht-Flaschen. Ihre Phalaenopsis waren bei den Kunden sehr beliebt. Es dauert lange, bis eine Orchidee blüht, und so werden ihre Pflanzen noch lange im Handel sein.
Die Trauergemeinschaft setzte sich zur Beerdigung in Bewegung. Markus, Tinas Ex-Lebensgefährte gesellte sich zu ihr. Er nahm behutsam ihre Hand, doch Tina stieß sie fort.
»Bitte Tina, lass dir doch helfen«, sagte er. Ihre verheulten Augen funkelten.
»Wenn du mir helfen willst, dann gib mir Marie wieder. Lass mich in Ruhe. Das habe ich dir schon mal gesagt«, flüsterte sie.
»Verpiss dich, du Fremdgänger!«, fauchte Marie. Im selben Moment tat es ihr schon wieder leid. Man sah, dass auch er trauerte. Ob nun wegen ihr oder wegen Tina war egal. Aber er zeigte Gefühle, das konnte man sehen. Es war jedoch Fakt, dass er Tina mit seiner Nachbarin betrogen hatte und diese geheiratet hatte, als sie ein Baby erwartete.
So viel Menschen waren bei der Beerdigung. Manche kannte Marie gar nicht. Vielleicht kannte Mama sie ja, und alle waren wegen ihr gekommen.
Martha legte den Arm um ihre neue Freundin und sagte: »Komm. Das hier, das müssen die alleine machen.«
Und wieder war da dieses Licht. Und wieder war da diese ältere Frau, die freundlich winkte.
»Was meinst du«, meinte Martha, »wollen wir zu ihr gehen?«
»Ja, irgendwann müssen wir es ja doch. Sie zieht uns doch magisch an. Warum also nicht jetzt?
Aber bleib bloß bei mir. Alleine kann ich das nicht.«
Martha nickte und fasste Marie bei den Händen. Dann liefen beide los. Je näher sie dem Licht kamen, umso schöner wurde es. So etwas hatten die beiden noch niemals gesehen. Und als sie dort waren, fühlten sie sich, als seien sie in Watte gepackt. Sie liefen direkt in die Arme der gütigen Frau. Diese umarmte die beiden gleichzeitig.
»Na, ihr habt euch aber Zeit gelassen«, lachte sie. »Aber wenn wir hier etwas im Überfluss haben, dann ist es Zeit.«
»Wer bist du?«, wollte Marie wissen. »Es kommt mir so vor, als ob ich dich schon sehr lange kenne.«
Und Martha nickte mit dem Kopf. »So kommt es mir auch vor.«
Die freundliche Frau bat die beiden, sich ins Gras zu setzen und fing an zu erzählen:
»Ihr erinnert euch doch sicherlich noch an das Märchen von Frau Holle.«
Die beiden Frauen nickten, schauten aber sehr ratlos drein.
»Immer, wenn ich dieses Märchen höre, dann denke ich: Wenn ihr wüsstest, wie nahe ihr der Wahrheit seid. Aber woher sollt ihr es wissen? Viele Märchen sind überlieferte Geschichten.
Eines Tages haben zwei Brüder, die Gebrüder Grimm, dies alles aufgeschrieben, was die Leute ihnen erzählten. Und glaubt mir, die Menschen früher hatten ein größeres Wissen als die Menschen heute, denn sie hatten noch die Zeit, über alles nachdenken zu können und mit ihren Artgenossen zu reden.
Nun, ich bin also die, die ihr auf der Erde als die Frau Holle kennt, und deshalb könnt ihr mich auch so nennen.
Erinnert euch doch einmal: Marie - welch ein Zufall, derselbe Name – fiel in einen Brunnen, der rund wie ein Tunnel war und ertrank dort. Sie kam danach auf eine wunderschöne Wiese. Ihr habt den Tunnel und die Wiese auch gesehen. Dort wurden Aufgaben gestellt, die sie zu erfüllen hatte. Sie musste Brot aus dem Ofen ziehen und reife Äpfel sammeln.«
Martha unterbrach sie.
»Wir haben aber keine Aufgaben gehabt.«
Die Holle fuhr fort: »Oh doch, die habt ihr auch gehabt, aber ihr habt sie selbst gewählt. Sieh mal Marie, wie viel Herz du gezeigt hast, als du schon tot warst.
Du hattest Mitleid mit dem Feuerwehrmann, du wolltest deine Mutter trösten und deine Freundin Tina, und du hast sogar Verständnis für den Mann gezeigt, der dich getötet hat.
Du warst böse auf den Freund deiner Freundin, aber dennoch kam bei dir Mitgefühl auf, als er traurig schaute.
Auch du, Martha, hast dich liebevoll um deinen Mann gesorgt, hast deiner Schwester und Geschäftspartnerin beigestanden und hast dich liebevoll um Marie gekümmert.
Und darum seid ihr bei mir richtig. Es wird euch hier gefallen.
Aber irgendwann werdet auch ihr wieder gehen wollen, so wie auch die Marie in dem Märchen. Ihr werdet euch eine Familie suchen, in die ihr hineingeboren werden möchtet. Aber das ist noch lange hin.
Es ist jedoch gar nicht mehr so lange, dann darfst du dein Mütterlein abholen und sie zu uns bringen. Dein Vater hat sich bereits einen neuen Körper für seine Seele gesucht. Aber ihr wird es trotzdem hier gefallen. Du wirst es sehen.
Ich werde deinen Mann, Martha, und deine Freundin, Marie, miteinander bekanntmachen. Was sie daraus machen, das ist deren Sache, aber vielleicht werden sie ja Freunde. «
Ja, das fanden die beiden gut.
»Ich wohne unter der Erde und schicke die Pflanzen und die Tiere auf die Erde. Die Würmer und die Rosen, die Bäume und die Brennnessel und alles andere. Damit die Menschen es gut haben, mache ich die Erde gut.
In früher Zeit, da wussten die Menschen, dass unsere Erde viele Schätze birgt, und sie wussten auch, dass man sorgsam damit umgehen muss. Ich sorge dafür, dass der Kreislauf in der Vegetation stimmt. Ich habe viele Helfer, die aber von den Menschen nicht gesehen werden. Außer von kleinen Kindern und wenigen Heilern oder Schamanen.
Die Menschen in der heutigen Zeit machen es mir manchmal sehr schwer. Ich schicke ein gesundes Heilkraut hinauf, und schon ist Gift da, das es wieder sterben lässt. Früher war vieles besser. Da wurden noch die Kühe im Winter mit in die Häuser genommen. Alle lebten miteinander, und alle wurden satt.
Heute essen die Menschen in Übermengen und auch noch schlechte Sachen, die ich nicht gemacht habe.
Sie trinken sogar den Kuhbabys die Milch weg, weil sie denken, es macht sie stark. Dabei habe ich doch alle so gemacht, dass sie ihre Nachkommen selbst versorgen können. In früheren Zeiten hat eine Mutter ihre eigene Milch den Kindern gegeben. Es könnte heute auch noch so sein, aber es ist ja weit aus bequemer, fremde Milch in eine Flasche zu geben. Und dann wundern sie sich, dass es in der heutigen Zeit Krankheiten gibt, die man früher gar nicht kannte. War damals mal etwas nicht in Ordnung in einem Körper, dann gab es auch ein Kräutlein, dass da helfen konnte. Die meisten Krankheiten machen sich die Menschen selber.
Irgendwann, da haben sie sich selbst zerstört, und ich kann wieder ganz neu anfangen. Ob ich den Menschen da wieder eine Intelligenz geben würde? Na ja, mal sehen.
Nun kommt mit, ich zeige euch mein Erdreich und all die anderen, die hier bei mir sind.
Dort ist ein Holunder. Das ist der Busch der Holle. Dort können wir hinein.«
Martha wollte wissen, ob sie denn nun nie mehr auf die Erde dürften, aber die Holle beruhigte sie.
»Und was müssen wir nun hier machen?«, fragte Marie.
»Ihr dürft alles tun, was euch glücklich macht. Was euch traurig macht, das ist nicht mehr für euch sichtbar. Ihr werdet als kleine Elfen in Glockenblumen spielen können. So klein, dass kein menschliches Auge euch sieht. Vielleicht mal ein kleines Kind, aber kein Erwachsener. Oder ihr fliegt mit dem Wind durch die Lüfte. Ihr werdet schon sehen.
Ihr könnt auch nach euren Lieben auf der Erde schauen, aber es wird euch nach einiger Zeit nicht mehr gefallen, weil sie euch nicht sehen und hören können. Aber wenn sie nach euch rufen, dann geht nur hin.
Wie ich schon sagte, ihr sollt