Die Unwerten. Volker Dützer

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Die Unwerten - Volker Dützer


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sich gegen sie zu stellen. Schließlich war er dem Haufen selbst beigetreten. Das war eben die Zeit, in der er lebte.

      »Danke für die Auskunft.«

      Er bahnte sich einen Weg durch das zerstörte Mobiliar. Borsig lag besinnungslos auf dem Boden, von dem Rausschmeißer fehlte jede Spur. Die Gestapo hatte ein Dutzend Männer von den Gästen abgesondert und ihnen befohlen, sich an einer Wand aufzustellen. Wenn es stimmte, was der Rottenführer behauptete, schwebten Malisha und ihr Balg in höchster Gefahr. Da fiel ihm ein, was er tun konnte.

      Er fand Malisha und ihre Tochter im hinteren Treppenhaus. Der Barkeeper hielt einen Verschlag offen und trieb mehrere Leute zur Eile an, darunter ein waschechter Chinese. Malisha drehte sich um und blickte Lubeck an.

      »Bleiben Sie bei mir und lassen Sie die anderen gehen«, befahl er.

      »Glauben Sie wirklich, ich würde meine Freunde im Stich lassen?«, erwiderte sie.

      Er machte einen schnellen Schritt auf sie zu. Sie wollte vor ihm zurückweichen, doch er hielt sie am Arm fest.

      »Es geht hier nicht um Freundschaft, sondern um Ihren Kopf … und um den Ihrer Tochter. Ich kann Sie beschützen, aber Sie müssen tun, was ich sage.«

      Sie versuchte, seinen Griff abzuschütteln. »Ich habe Freunde, die …«

      »Nichts haben Sie mehr. Das Lokal ist längst umstellt. Hier kommt keiner mehr raus.«

      Bevor sie antworten konnte, zerbarst die Außentür zum Treppenhaus unter einem gewaltigen Schlag. Fünf Braunhemden stürmten in den Flur, der vorderste Mann hielt eine Pistole in der Hand.

      »Keiner rührt sich. Alle an die Wand!«

      Lubeck schob Malisha hinter sich und bedeutete dem Mädchen, es ihr gleich zu tun.

      Der SA-Mann fuchtelte mit der Pistole und stierte Lubeck an. »Sie da! Pfoten hoch!«

      »Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie reden?«, brüllte Lubeck. Er stellte sich vor und drohte wiederum mit Brunner. Der Mann ließ die Waffe sinken.

      »Ich wusste nicht, dass …«

      »Jetzt wissen Sie es. Diese Frau und ihr Kind stehen unter meinem persönlichen Schutz. Setzen Sie die übrigen Elemente fest, bis sich die Geheime Staatspolizei ihrer annimmt.«

      Der Mann beeilte sich, der Aufforderung zu folgen. Lubeck zog Malisha ins Freie. Hinter ihm brüllte der Anführer der Braunhemden: »Steckt das Rattennest an!«

      Rasch entfernten sie sich Richtung Bahnhof. Er entdeckte ein Taxi und signalisierte dem Fahrer anzuhalten.

      »Welchen Preis gedenken Sie denn zu fordern?«, fragte Malisha. In ihrer Stimme schwang bittere Ironie mit.

      »Fürs Erste … möchte ich Sie bitten, mit mir auszugehen.« Lubeck gewann an Selbstsicherheit. Er hatte die Lage unter Kontrolle. Er hatte Macht über diese Frau.

      »Ich muss Sie enttäuschen. Als Jüdin darf ich nach Einbruch der Dunkelheit das Haus nicht mehr verlassen. Kennen Sie die Verordnung Ihrer Parteifreunde etwa nicht?«

      »Das sind nicht meine Freunde. Ich mag die Nazis genauso wenig wie Sie, aber man muss sich mit den Mächtigen arrangieren, wenn man weiterkommen will. Wenn Sie mit mir ausgehen, wird Sie niemand nach einer Erlaubnis fragen. Hört sich das nicht verlockend an?«

      »Sie gehen damit ein großes Risiko ein«, sagte sie.

      Lubecks Herz schlug schneller. Ja, das tat er. Aber das war es wert. Er könnte behaupten, dass er nicht gewusst hatte, dass Malisha Jüdin war. Wenn er weiterhin so gute Arbeit ablieferte, würde Brunner ihn vielleicht sogar decken. Er konnte jetzt nicht mehr zurück, so kurz vor dem Ziel. Er würde sie besitzen, jeden Zentimeter ihres wunderbaren Körpers.

      »Sie sind es mir wert«, antwortete er.

      »Und wenn ich ablehne?«

      »Das werden Sie nicht.«

      »Was macht Sie so sicher?«

      Er beugte sich vor und streifte mit den Lippen ihre Ohrmuschel. »Weil ich so ein netter Mensch bin und Sie mich nicht verärgern wollen. Und weil auf meinem Schreibtisch ein Meldebogen liegt, der darüber entscheidet, was mit Ihrer behinderten Tochter geschieht. Dass Sie das Original gestohlen haben, nutzt Ihnen gar nichts. Selbstverständlich gibt es einen Durchschlag.«

      »Hannah ist nicht behindert.«

      »Nach dem Gesetz ist sie krank, und nur das zählt in diesen Tagen.«

      »Sie lassen mir also keine Wahl«, antwortete sie ebenso leise.

      »Nein«, bestätigte Lubeck. »Das ist Ihre einzige Chance. Wie passt es Ihnen übermorgen?«

      Malisha deutete ein Nicken an. Es war eine ergebene Geste, die Lubeck bis ins Mark erregte.

      7

      »Ich will nicht, dass du mit diesem Mann ausgehst.«

      Hannah sah zu, wie Malisha mit einem Kajalstift die Konturen ihrer Augenlider nachzog. Insgeheim bewunderte sie die Art, in der ihre Mutter mit wenigen gezielten Strichen eine große Wirkung erzielte. Sie wünschte sich, sie wäre alt genug, um es selbst zu versuchen. Aber Malisha wollte nicht, dass sie sich schminkte.

      »Ich habe es dir doch erklärt, Hannah. Wir können im Augenblick das Land nicht verlassen. Sie haben Heinz, Chang und die anderen verhaftet. Ohne ihre Hilfe komme ich nicht einmal aus der Stadt heraus. Bis mir etwas einfällt, bietet uns Dr. Lubeck den besten Schutz, den wir bekommen können.«

      »Er hat gedroht, mich zu sterilisieren. Wie kannst du ihm vertrauen?«

      Malisha blickte in den Spiegel, ihre Blicke trafen sich. Sie lächelte. »Hältst du mich für so unvorsichtig? Ich kann den eitlen Kerl nicht ausstehen und traue ihm nicht über den Weg. Aber er will etwas von mir, und so lange er glaubt, dass er es bald bekommen wird, sind wir in Sicherheit.« Sie seufzte und überprüfte mit einem kritischen Blick ihr Erscheinungsbild. »Manchmal muss man Dinge tun, die man nicht will, um ein Ziel zu erreichen.«

      »Und wenn er sich mit Gewalt nimmt, was er haben will?«

      Malisha drehte sich zu ihr um und fasste sie bei den Schultern. Hannah sog den Duft ihres Parfums ein. Ihre Mutter benutzte Csardas, was sie sehr mochte. Ihre Augen wirkten durch die schwarze Umrandung groß und feucht. Das Weiß kontrastierte wunderbar mit den haselnussbraunen Iris.

      »Es ist unsere einzige Chance. Die Amerikaner stellen keine Visa mehr aus, und auch die Engländer lassen keine Emigranten mehr ins Land.«

      »Warum gehen wir nicht in dein Heimatland? Nach Palästina?«

      »Ich bin in Deutschland geboren, Hannah. Ich kenne niemanden dort. Außerdem ist Palästina britisches Mandatsgebiet.«

      »Dann gehen wir zu meinem Vater. Er wird uns helfen. Er ist Pilot, er kann uns überall hinbringen.«

      »Wenn es nur so einfach wäre.«

      Malisha streifte die schwarze Jacke mit dem Zobelkragen über. Hannah hatte nur zweimal erlebt, dass sie das kostbare Kleidungsstück getragen hatte.

      Ihre Mutter hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Spätestens gegen Mitternacht bin ich zurück. Öffne niemandem die Tür.«

      »Wenn wenigstens Joschi hier wäre.«

      Auf Malishas Stirn erschien eine Sorgenfalte. »Ich habe seit zwei Tagen nichts von ihm gehört. Ich hoffe, er konnte sich in Sicherheit bringen.« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Lubeck wird gleich kommen. Ich gehe hinunter.«

      »Ich mag ihn nicht, und ich habe Angst um dich«, beharrte Hannah.

      »Ich kann auf mich aufpassen. Leg die Kette vor, wenn ich draußen bin.«

      »Sag mir wenigstens, wo ihr hingeht.«

      »Ich weiß es nicht. Er hat es mir nicht verraten.«

      Malisha trat


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