So große Gefühle!. Anselm Grün

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So große Gefühle! - Anselm Grün


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und von Bildern, mit denen wir uns selbst einengen. Wie ein Kind werden, das heißt, die Welt wieder mit den Augen des Kindes zu sehen, alles infrage zu stellen, so wie ein Kind alles infrage stellt, aber auch dankbar zu sein für jeden Augenblick.

      SICH VON GOTT BERÜHREN LASSEN

      Markus erzählt uns, wie Mütter ihre Kinder zu Jesus bringen. Sie möchten, dass er sie berührt und segnet. Damit spielt der Apostel auf eine Gewohnheit unter den Juden an: Kinder wollten vom Vater gesegnet werden, damit sie Schutz erfahren in ihrem Leben. Doch die Jünger wollen die Mütter wegschicken. Sie meinen, sich mit Kindern zu beschäftigen sei Energieverschwendung. Es gäbe Wichtigeres zu tun. Erwachsene sollten sich mit der Heiligen Schrift, mit der Thora, den Weisungen Gottes, beschäftigen und nicht mit Kindern spielen. Aber Jesus tritt für die Kinder ein. Er weist seine Jünger zurecht: »Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.« (Mk 10,14) Für Jesus sind die Kinder wichtig, er möchte sich Zeit für sie nehmen. Denn in ihnen sieht er Menschen, die sich von Gott berühren lassen. Erwachsene wollen Gott oft genug für sich benutzen. So sollen sie von den Kindern lernen, Gott Raum zu geben und sich von ihm befreien zu lassen von Lebensmustern.

       Mit Liebe und Zuversicht erfüllen

      Markus zeigt, wie Jesus sich auf die Kinder einlässt.

       Jesus nimmt die Kinder in den Arm. Er umarmt sie, zeigt ihnen seine Liebe, wendet sich jedem einzelnen zu und schenkt ihm durch seine Umarmung Geborgenheit und das Gefühl, dass es absolut und bedingungslos geliebt ist.

       Dann legt Jesus den Kindern die Hände auf. Die Handauflegung hat verschiedene Bedeutungen. Sie ist einmal eine Schutzgebärde. Jesus bietet den Kindern Schutz an. Und die Handauflegung vermittelt den Heiligen Geist. Jesus lässt in der Handauflegung seinen Geist, seine Liebe, seine Kraft in die Kinder einfließen. Er möchte, dass sie alle Ängste und Zweifel aus dem Kind vertreiben und es mit Liebe und Zuversicht erfüllen.

       Und dann segnet Jesus die Kinder. Das griechische Wort »eulogein« meint, dass Jesus gute Worte über die Kinder sagt, Worte, die aufrichten, die ermutigen, die etwas Gutes den Kindern zusprechen. Kinder brauchen gute Worte. Aber sie merken genau, ob es schöngeredete Worte sind, oder echte Wort, die das Gute in ihm ansprechen und es dadurch hervorlocken.

      WAS ELTERN KINDERN GEBEN KÖNNEN

      Diese drei Weisen, wie Jesus die Kinder behandelt, sind schöne Bilder für das, was Eltern ihren Kindern geben könnten: Sie sollen sie umarmen und ihnen in der Umarmung zeigen, dass alles in ihnen von den Eltern angenommen und geliebt wird, dass sie sich bei den Eltern geborgen und sicher fühlen können.

      Die Handauflegung zeigt, dass die Eltern den Kindern etwas von dem vermitteln, was in ihnen selbst ist, was sie selbst von Gott empfangen haben. Sie lassen ihren Geist in die Kinder einströmen. Sie geben ihnen das Wertvollste mit, das sie haben: ihre Liebe, ihre Kraft, ihre Hoffnung, ihr Vertrauen, ihre Art und Weise, das Leben zu bewältigen.

      Und die Eltern sollen gute Worte zu dem Kind sprechen. Böse Worte, verletzende Worte verschließen die Herzen der Kinder. Böse Worte – so sagt ein alter Mönchsspruch aus dem vierten Jahrhundert – machen auch die Guten böse. Gute Worte machen auch die Bösen gut. Worte können verwandeln. Daher sollen die Eltern gut darauf achten, wie sie zu den Kindern sprechen und wie sie mit ihnen und über sie sprechen.

       BIBELGESCHICHTE

      Die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus zeigt uns einen typischen Konflikt in der Pubertät. Jesus hat sich selbstständig gemacht und sich von der Familie gelöst. Maria und Josef klammern offenbar nicht fest. Sie meinen, ihr Kind sei bei der Rückkehr von der Wallfahrt nach Jerusalem mit den Verwandten und Bekannten gegangen. Doch als sie ihn bei denen nicht finden, bekommen sie Angst und gehen zurück nach Jerusalem. Nach dreitägiger Suche finden sie ihn. Da sagt Maria: »Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht.« (Lk 2,48) In manchen Handschriften heißt es auch: »Wir haben dich mit Schmerzen gesucht.« Maria und Josef zeigen also als Eltern ihre Gefühle offen. Und sie machen ihm einen Vorwurf, warum er ihnen so viel Schmerzen bereitet hat. Doch Jesus antwortet – gleichsam ohne Emotionen: »Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?« (Lk 2,49)Er versteht gar nicht, warum seine Eltern sich solche Sorgen machen, und Maria und Josef verstehen Jesus nicht. Das ist der typische Pubertätskonflikt. Der Sohn versteht gar nicht, was die Eltern so bewegt, was sie ängstlich und ärgerlich macht, und diese verstehen ihr Kind nicht. Sie können mit seinen Worten und seinem Verhalten nichts anfangen.

      Aber dann heißt es von Maria: »Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen.« (Lk 2,51) Ähnlich hatte sie reagiert, als die Hirten ihr erzählt hatten, was der Engel ihr von ihrem Kind gesagt hatte. (Lk 2,17-19) Aber der griechische Text kennt einen wesentlichen Unterschied in den Reaktionen Marias. Als die Hirten der Mutter die wunderbaren Worte des Engels erzählten, heißt es von Maria im Originaltext »synterein« (aus dem Griechischen: zusammen schauen). Sie schaute die Worte der Hirten und des Engels zusammen mit dem Kind vor ihr in der Krippe. Die Worte zeigten ihr dessen Wesen. Sie sieht die Worte und die Wirklichkeit ihres Kindes zusammen und versteht so sein Geheimnis. Aber jetzt, als ihr zwölfjähriger Sohn so unverständlich antwortet, kann sie dessen Worte nicht zusammen sehen mit dem Kind, das sie bisher erzogen hatte.

      Hier heißt es im Griechischen: diaterein. Es meint: Maria schaut durch die Worte ihres Sohnes hindurch in den Grund ihrer eigenen Seele. Und dort im Grund ihrer Seele fühlt sie sich eins mit ihrem Sohn. Auch wenn sie den Sohn, sein Verhalten und seine Worte, absolut nicht versteht, so sieht sie durch die Worte, durch ihre Emotionen von Angst und Schmerz hindurch, um sich eins zu fühlen mit ihrem Kind.

      ICH VERSTEHE DICH NICHT, ABER ICH VERZWEIFLE NICHT

      Das ist ein schönes Bild dafür, wie Eltern auf ihre pubertierenden Kinder reagieren sollen. Sie sollen sich eingestehen, dass sie das Verhalten und das Reden der Kinder nicht verstehen. Aber sie sollen nicht verzweifeln oder sich Vorwürfe machen, was sie alles verkehrt gemacht haben könnten. Denn damit würden sie sich nur schwächen.

      Ihre Schwächen aber würden den pubertierenden Kindern nicht zum Segen gereichen. Im Gegenteil, diese finden dann keinen Halt mehr in Mutter und Vater. Sie wollen sich ja reiben. Da brauchen sie starke Eltern, die gut in sich selbst feststehen. Wenn diese durch all die Missverständnisse, durch all das Unverständliche im Verhalten der pubertierenden Töchter und Söhne in den Grund ihrer eigenen Seele hinuntersteigen und sich dort eins fühlen mit dem inneren Grund ihrer Kinder, dann wächst in ihnen die Hoffnung, dass diese innere Einheit hält, auch wenn nach außen hin alles auseinanderzustreben scheint. Und sie dürfen hoffen, dass diese EINHEIT auf dem Grund ihrer Seelen auch wieder ins Bewusstsein vordringt und nach und nach auch im Sprechen und Fühlen wieder Einheit entstehen kann. Die innere Einheit ist die Verheißung, dass ein neues Einverständnis zwischen Eltern und Kindern wachsen kann. Die Kinder spüren diese Einheit. Sie gibt ihnen Halt in ihrer Rebellion gegen die Eltern.

      Heilungsgeschichten von Kindern

      Positive wie negative Gefühle werden in den biblischen Heilungsgeschichten sichtbar, in denen es um die Beziehungen zwischen Vater und Tochter, Mutter und Tochter sowie Vater und Sohn geht.

       BIBELGESCHICHTE

      Von der zwölfjährigen Tochter des Synagogenvorstehers Jairus erzählt Markus. Man kann sich vorstellen, dass dieser Vater vor lauter »Vorstehen« seine Tochter für einige Zeit übersehen hat. Das Kind kann aber nicht leben, wenn es vom Vater übersehen wird, es liegt krank da.

      Die Heilung beginnt damit, dass der Vater seine Ohnmacht einsieht. So geht er zu Jesus. Dieser möge seinem Kind die Hand auflegen, damit es wieder gesund werde. Doch auf dem Weg zurück begegnen Jairus und Jesus Verwandten, die berichten,


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