Der Steinzeitmensch in uns - Wie uralte Programme uns unbewusst steuern, wir aber trotzdem zivilisiert sein können. Wolfgang Issel

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Der Steinzeitmensch in uns - Wie uralte Programme uns unbewusst steuern, wir aber trotzdem zivilisiert sein können - Wolfgang Issel


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Energie muss nun zurückgezahlt werden. Es ist dieser Abfluss an seelischer Energie, der nach einer erfolglosen Aktion schlechte Gefühle verursacht und das seelische Konto belastet.

      Um nicht immer wieder enttäuscht zu werden, sollte die Einschätzung einer Chance zur Investition möglichst realistisch sein. Dies gelingt im seelischen Gleichgewicht am besten.

      Die Belohnungserwartung, also der voraussichtliche Ertrag der anvisierten Aktion, ist übrigens ein wichtiger Parameter für die innerlich entwickelte Motivation. Setzt du deine Belohnungserwartung zu hoch an, erwartest also zu viel, wirst du zwar hoch motiviert, jedoch im Falle eines Misserfolgs auch zutiefst frustriert. Schätzt du deine Gewinnchancen hingegen unter Wert ein, wird deine Motivation nicht ausreichen, diese eventuell gute Chance zu nutzen. Erstrebenswert ist also eine möglichst realistische Einschätzung deiner Chancen. Es ist die Hauptaufgabe deines Algorithmus, deine Kräfte im täglichen Leben durch realistisches Erfassen einer Situation so effizient wie möglich einzusetzen.

      Noch anspruchsvoller wird die Aufgabe, wenn das Objekt der Begierde kein frei verfügbarer Apfel ist, sondern selbst ein Wörtchen mitzureden hat: Wie sollte man denn dann die Situation und seine Chancen realistisch einschätzen?

      Georg auf einer Studentenparty: Auf einer der Bananenkisten sitzt ein hübsches Mädchen mit Drink in der Hand, die Beine übereinandergeschlagen. Sie beobachtet belustigt die Szene. Er hat sie noch nie gesehen, aber sie ist ganz nach seinem Geschmack: dunkles Haar, tiefbraune Augen, gute Figur, nicht zu groß, nicht zu dünn, orientalischer Touch. Darauf fährt Georg ganz besonders ab. Ihre Ausstrahlung ist für ihn höchst erotisch. Leicht beschwipst geht seine Fantasie mit ihm durch: Tausend und eine Nacht. Der Duft des OrientsEben hat es Theo versucht, der probiert es ja bei jeder. Mit Bierfahne und etwas zu siegessicherem Auftritt ist sein Annäherungsversuch gescheitert und er für alle sichtbar abgeblitzt. Verlegen grinsend machte er sich seitwärts vom Acker. Für Georg ist sie letztlich einfach zu hübsch, um sie anzusprechen, verständlich die Angst vor möglicher Zurückweisung. Angst als Zeichen seines niedrigen seelischen Pegels lässt sein Selbstwertgefühl mitsamt seiner Motivation drastisch schrumpfen. Schade! Zum Trost ein weiteres Bier. Die Schöne lächelt tiefgründig.

      Es muss passen! Zu viel der Erwartung fordert Enttäuschung heraus, zu wenig mindert die Motivation. Zu wenig Einsatz bringt nichts, zu viel kann sogar Schaden anrichten. Die Kunst eines Algorithmus besteht darin, das richtige Maß zu treffen. Voraussetzung dazu ist es, die Situation bezüglich ihrer Chancen und Risiken realistisch einzuschätzen.

      Wenn besonders starke Bedürfnisse unbefriedigt bleiben, können sie das Seelenkonto bis zur Depression niederdrücken:

       Chloe hat Sehnsucht nach ihrem Liebsten. Ihre offengebliebenen Glücksrezeptoren lassen sie schlimm leiden. Beim Wiedersehen ist die Folge eine Überschwemmung der Rezeptoren mit Belohnungssubstanz und Glücksgefühle satt.

      Aufgrund großer natürlicher Streuung in der Auslegung eines Organismus kann die Stärke dieser Glücksgefühle bei vergleichbarer Erfolgshöhe von Mensch zu Mensch recht unterschiedlich ausfallen. So schüttet das Gehirn von Max für ein und denselben Erfolg mehr Belohnungssubstanz aus als das von Moritz. Dieser muss also für zahlreichere und größere Erfolge sorgen, um auf den gleichen seelischen Level zu kommen wie Max: Er muss sich nicht nur stärker ins Zeug legen, sondern auch ein gewisses seelisches Defizit und damit häufigere Anflüge von Melancholie in Kauf nehmen und damit klarkommen. Das ist nicht wirklich gerecht, aber so ist die Natur eben.

      Auch ein fortschreitendes Lebensalter ändert die Verhältnisse: Es ist weniger Energie zum Investieren da und auch weniger für die Belohnung. Das heißt: Je älter man wird, bei desto geringeren Anforderungen gerät man bereits in Stress und desto mehr gilt es, sich bei der Beschaffung seelischer Energie auf noch machbare Aktionen zu konzentrieren und in Betracht zu ziehen, dass eine erfolgreiche Aktion nicht mehr das gleiche erhebende Gefühl auslöst wie in der Jugend.

      Um ein Ziel zu erreichen und die fällige Belohnung zu kassieren, ist in der Regel Aufwand zu betreiben. Simpel ausgedrückt: Mit Adrenalin Energie investieren und Dopamin als Belohnung und seelischen Ertrag einfahren. Nach diesem Muster von Investition und Ertrag wickelt der Algorithmus alle seine Geschäfte ab – manchmal mit Erfolg, ein andermal geht es schief. Verlorene Liebesmüh beispielsweise. Dann fließt eben seelische Energie ab.

      Wie bei jedem Konto kommt es auf die Gesamtbilanz an; der mittlere Pegel an seelischer Energie spielt die Hauptrolle.

      Nicht nur bei der Wahrnehmung, auch in anderen Bereichen geht die Natur in großer Streubreite mit ihren Lebewesen um: kein deutscher Industriestandard 4.0 mit präzisen oder sogar austauschbaren Produkten in Serie, dafür lauter schlampig dahingeworfene Unikate mit superbreiter Streuung in ihren Eigenschaften und Fähigkeiten, viele davon sogar körperlich oder mental hart auf Kante genäht. Die Natur wirft all diese Unikate auch mit ihren vielen Variationen und auch noch so doofen Macken auf den Markt von Wohlleben und Fortpflanzung und lässt das Ganze dort vor sich hin köcheln. Nichts wie raus mit immer neuen Versionen: groß, klein, dick, dünn, gescheit oder nicht, teils mit absonderlichen Macken und furchterregenden Vorlieben. Die ganze Mischpoke wird auf den großen Markt geworfen, um sich dort zu bewähren. Mal sehen, wer sich unter den gegebenen Umständen durchsetzt und vermehrt, wer sich der aktuellen Umwelt und seinem persönlichen Umfeld am besten anpasst oder es nach seinen Wünschen selbst formt.

      Die Natur erschafft in der ihr eigenen pragmatischen Art nach dem Gießkannenprinzip Lebewesen, die in der Lage sind, sich nicht nur an die eben herrschenden Verhältnisse anzupassen, sondern die darüber hinaus so flexibel agieren können, dass sie auch schnellen und extremen Veränderungen ihrer Umwelt, z. B. durch Vulkanaktivitäten, Einschläge von Meteoriten oder auch einem galoppierenden Klimawandel gewachsen sind. Das Rezept der Natur: Nicht nur das Gegenwärtige beherrschen, sondern darüber hinaus durch breiteste Streuung Vorkehrungen für Überraschendes treffen! Die Nachteile einer Strategie überbreiter Streuung sind hohe Kollateralschäden durch viele nicht genügend angepasste Individuen: zu hohe Bevölkerungsdichte, daher Hunger, Krankheiten und Verteilungskämpfe.

      Der Natur ist das alles egal, sie hat weder ethische noch humane und schon gar keine humanistischen Hemmungen. Sie ist ja auch niemand Fassbares, verfügt weder über Plan noch Ansprechpartner, nicht einmal über das gesetzlich vorgeschriebene Impressum, und setzt voll und ganz auf das Prinzip Versuch und Irrtum. Die enormen Kollateralschäden nimmt sie ungerührt in Kauf. Es hat ja im Großen und Ganzen bis jetzt gut funktioniert.

      Der Mensch jedenfalls ist ein Sonderfall, denn er macht sein eigenes Ding, indem er sich unbegrenzt vermehrt und die Natur ausplündert. Durch Überbevölkerung, Klimawandel und schwindende Ressourcen droht der Mensch sich in eine selbst verursachte Krise treiben zu lassen, die zwar die Natur auf lange Sicht kalt lässt, dem Menschen selbst aber schadet. Um eine selbst gemachte Klimakatastrophe zu vermeiden, wären Intelligenz und systematische geistige Weiterentwicklung des Menschengeschlechts nötig.

       Erfolg

      Es stellt sich die Frage, wem die Existenz des Menschen eigentlich dient und zu wessen Wohl sein Algorithmus ausgelegt ist. Ist der Mensch – wie jeder Organismus der übrigen Natur auch – als eigene Existenz und für sein eigenes Wohl geschaffen und mit einem Algorithmus versehen, der ihn in jeder Lage unterstützt?

      Nein, ist er nicht. Es muss doch stutzig machen, dass Menschen zuweilen in eine tiefe Depression fallen und sich das Leben nehmen. Wenn es hart auf hart geht, lässt uns unser Algorithmus schändlich allein und leitet sogar die Selbstzerstörung ein.

      Es ist ganz einfach: Wenn du Erfolg hast, wird dich dein Algorithmus fördern und mit guten Gefühlen belohnen. Versagst du aber, bestraft er dich durch seelische Nöte. Und wenn du dich nicht besinnst und nicht wenigstens die Hoffnung auf ein paar kleine Erfolge nährst, gibt er dich auf und lässt dich gnadenlos fallen.

      Damit wäre auch die Frage beantwortet, wie die Natur mit ihren Lebewesen umgeht: Sie wirft sie einfach so, wie sie eben geworden sind, in die Welt und erwartet Erfolge von ihnen, kein bisschen anders als ein eiskalter Investor, der seine Anlagen breit streut und als Investitionen ansieht, die sich gefälligst zu


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