Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans. Kim Forester

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Clans von Cavallon (2). Der Fluch des Ozeans - Kim Forester


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      Sie umkreiste den Berg einmal, um sich zu orientieren, und wandte sich dann Richtung Süden. Ich werde dich finden, Aquoro. Wo auch immer du bist.

      Kapitel 4

      Nixi hatte geglaubt, sie wüsste inzwischen, wozu ihr Meermenschenkörper imstande war, doch die Geschwindigkeit, mit der sie nun durchs Wasser schoss, übertraf alles, was sie bisher erlebt hatte. An ihrer Seite pflügten die anderen Meermenschen durch das von den Hufen der Kelpies aufgewühlte Wasser – den Ungeheuern hinterher, die der Festungsinsel immer näher kamen.

      In dem Chaos verlor sie Sorshas blassgrüne Mähne bald aus den Augen. Sie fand sich neben Jenera wieder, einer Meerfrau, die ein paar Jahre älter war als sie. Jenera war ertrunken, als sie versucht hatte, von der Festungsinsel wegzukommen, daher war Nixi überrascht, dass sie jetzt so schnell auf die Oberfläche zuschwamm, wie sie nur konnte. Ihr offenes, seegrasartiges Haar trieb wie ein Schweif hinter ihr her. Vielleicht lebt auf der Insel jemand, der ihr immer noch wichtig ist.

      Neben ihnen kämpfte sich auch Gryce nach oben, ein Meermann, den Nixi in der Speiselagune kennengelernt hatte, wo Meervolk und Kelpies ihre Mahlzeiten einnahmen. Er hatte einen kurzen, zerzausten Bart und einen entschlossenen Ausdruck im Gesicht. Nixi schätzte, dass er Anfang zwanzig gewesen sein musste, als er ertrunken war. Hat er auch jemanden auf der Insel? Eine Frau vielleicht oder ein Kind?

      Nixi selbst wollte natürlich ihre Gang verteidigen: die pfiffige und gewitzte Sylvie, Rye, der gerne wie der Boss auftrat, es aber eigentlich nur gut meinte, Granit, Karah, Dewey, Linus und der kleine Tamin. Und Floss, die Nixi so sehr an ihre verstorbene Schwester Mari erinnerte. Wenn diese Monster ihnen irgendetwas antun …

      Als Nixi bei den Docks der Festungsinsel an die Oberfläche schoss, hatten die Kreaturen bereits das Ufer erreicht. Ihre Tentakel schleiften über den sandigen Untergrund, doch das knirschende Geräusch wurde schon bald von ihrem markerschütternden Kreischen übertönt. Den Menschen auf den Docks stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Zwei Seemänner ließen die Obstkisten fallen, die sie gerade in ihr Boot laden wollten, und hielten sich die Ohren zu. Das Obst rollte über die Planken und brachte diejenigen, die zu fliehen versuchten, zu Fall. Die größte der Kreaturen ließ ihre riesigen Vorderhufe auf den Anleger krachen und zog sich mit einer geschmeidigen Bewegung hinauf. Sie stieß ein furchterregendes Heulen aus. Ihre Rückenflosse ragte bedrohlich in die Höhe.

      »Die Kelpies greifen an!«, schrie ein Seemann. »Lauft!«

      Nixi hielt auf den Steg zu. Hastig kletterte sie hinauf, während das Wasser von ihren Schuppen strömte und tropfte. Oben angekommen, beugte sie sich vor, um Jenera an Land zu helfen. Einige Kelpies sprangen leichtfüßig aus dem Meer und gingen auf eines der Ungeheuer los, das einen Seemann zu Boden gerissen hatte und gerade seine spitzen Zähne in dessen Schulter schlug. Nun erst erkannte Nixi, wie groß diese Monster waren: Es brauchte die vereinten Kräfte von sechs Kelpies, um die Kreatur von ihrer menschlichen Beute wegzuzerren.

      Nixi, Jenera und Gryce stürzten sich ins Gefecht. Nixi stach mit ihrem Speer auf die Monster ein. Jedes Mal, wenn sie eines von ihnen traf, stieß es sein schauderhaftes Kreischen aus und schon bald waren die Planken mit schlammigem braunem Blut überzogen. Eines der Ungeheuer schlug mit seinen Tentakeln nach ihr und erwischte ihr Bein.

      Nixi geriet ins Taumeln, doch Gryce eilte ihr zu Hilfe und trennte den Fangarm des Monsters mit einem gezielten Schlag vom Rumpf. Mit weit aufgerissenem Maul ging das Ungeheuer auf ihn los. Nixi und Jenera nutzten diesen Moment, um es mit einem kräftigen Stoß aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das Monster fiel seitlich vom Steg und schlug mit einem heftigen Platschen auf dem Wasser auf.

      Zum Durchschnaufen blieb jedoch keine Zeit. Ganz in der Nähe versuchte ein stämmiger Seemann, eine der Kreaturen mit einem Bootshaken abzuwehren, was diese allerdings nicht sonderlich zu beeindrucken schien. Zähnefletschend kroch sie immer weiter auf ihn zu.

      »Kapitän Dobber!«, rief Nixi und rannte hinüber, um ihm zu helfen. Jenera und Gryce folgten ihr dicht auf den Fersen. Nixi hatte oft auf Dobbers Boot gearbeitet und er war immer nett zu ihr gewesen – und das, obwohl sie ihn gelegentlich beklaut hatte.

      Die Kreatur schlug Dobbers Haken beiseite und schlang einen ihrer Fangarme um seinen Hals. Der Kapitän sank gegen einen Pfahl und rang verzweifelt nach Luft. Sein Gesicht war bereits knallrot angelaufen. Nixi, Gryce und Jenera hieben auf die Kreatur ein, doch ihre Waffen prallten von deren Schuppen ab, ohne großen Schaden anzurichten. Da entdeckte Nixi eine Schwachstelle: Dort, wo der Fangarm aus dem schuppigen Leib wuchs, war die Haut weich und ungeschützt. Sie stieß ihren Speer hinein. Das Ungeheuer bäumte sich auf und hob sie dabei mit in die Höhe, bis der Speer das Gewicht nicht mehr tragen konnte. Er rutschte aus der Wunde, wobei sie noch weiter aufgerissen wurde, und Nixi krachte mit voller Wucht zurück auf den Steg.

      Das Monster humpelte winselnd davon. Jenera und Gryce stießen ein Triumphgeheul aus und wandten sich der nächsten Kreatur zu, während Nixi sich mühsam aufrappelte. Kapitän Dobber saß keuchend auf dem Boden und rieb sich den Hals.

      Nixi blickte nach unten zum Strand, wo sie May entdeckte, eine ihrer Mitbewohnerinnen aus der Unterwasserhöhle. Vielleicht gab es ja einen Weg, May irgendwie wieder mit Kapitän Dobber zu vereinen, wenn all das vorbei war. Immerhin waren die beiden verlobt gewesen, bis May drei Tage vor ihrer Hochzeit ertrunken war. Und er hatte keine Ahnung, dass sie seitdem aus dem Meer auf ihn achtgab, seine Netze flickte und Fischschwärme in seine Richtung trieb.

      »Ihr müsst hier weg«, drängte Nixi den Kapitän und fasste ihn am Arm. »Seht Ihr diese Meerfrau dort? Sie wird Euch helfen, wenn Ihr …«

      Doch Kapitän Dobber warf bloß einen angewiderten Blick auf die schuppige Hand mit den klauenartigen Nägeln, die seinen Arm festhielt, und knurrte: »Verschwinde, du Missgeburt!«

      Nixi starrte ihn fassungslos an. »Ich habe Euch gerade das Leben gerettet, Schwachkopf! Ich bin Nixi – ich habe früher auf Euren Booten gearbeitet, aber jetzt bin ich ein Meermensch und … das ist eine lange Geschichte. Aber wir versuchen, Euch zu helfen!« Sie deutete auf die Kämpfe, die überall um sie herum auf den Docks tobten, und auf die Kelpies und Meermenschen, die gegen die schauerlichen Kreaturen anstürmten. »Diese Viecher sind Eure Feinde, nicht wir! Das sind die Monster!«

      Doch Kapitän Dobber rückte von ihr weg und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. »Du bist nicht Nixi«, grollte er. »Ihr seid alle Monster!« Er sprang auf und rannte an ihr vorbei zu einer Gruppe Seeleute, die sich an Bord eines Schiffes versammelt hatten und in eindringlichem Tonfall unterhielten.

      »Monster oder nicht«, brummte Nixi, »Ihr werdet uns brauchen, wenn Ihr das Ende dieses Tages erleben wollt.« Hastig sah sie sich nach Jenera und Gryce um, konnte sie im Kampfgetümmel aber nirgends entdecken. Genauso wenig wie Sorsha. Nixi rannte über den Steg und rief jedem Menschen, dem sie begegnete, zu: »Wir sind auf Eurer Seite! Wenn wir zusammenarbeiten, können wir sie besiegen!«

      Ohne Erfolg. Ein großer, kräftiger Seemann, der, wenn sie sich recht erinnerte, Voit hieß, holte aus und schlug nach ihr. Ein Bäckerlehrling versuchte, sie niederzustechen. Und die Besitzerin der Seemannskneipe Zum Krähennest, deren Gesicht sonst immer so viel Wärme und Freundlichkeit ausstrahlte, holte mit ihrer Fackel ebenso heftig aus, um nach Nixi zu schlagen wie nach den beiden Monstern hinter ihr.

      Aber wenigstens eine kleine Gruppe von Inselbewohnern wusste, dass Nixi auf ihrer Seite war – ihre Gang. Sie können den anderen klarmachen, dass wir nur helfen wollen …

      Sie rannte an den Kämpfenden vorbei, weg von den Docks. Ihre schuppigen Füße klatschten auf das Kopfsteinpflaster der Gassen. Sie hatte gehofft, dass sich die Angriffe der Monster auf die Lagerhäuser und Kneipen rund um die Docks beschränkten, doch während sie durch den Ort lief, rutschte sie immer wieder auf Blutflecken aus: den schlammig braunen der Ungeheuer, den hellroten der Menschen und auf silbrig grünen, die von den Kelpies oder Meermenschen stammen mussten … Aus den alten, baufälligen


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