Den Staub der Väter abstreifen. Hermann Grabher

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Den Staub der Väter abstreifen - Hermann Grabher


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      Ich hatte auf die Frage des Diakons zurück zu kommen: Wer war Paul Meier? – Die Antwort lautete: Er war mit Sicherheit der korrekteste Mensch, den ich in meinem Leben kennenlernte. Er brachte es zu etwas, ohne je ein grosses Gehalt generiert zu haben, weil er und seine Familie sparsam, genügsam und bescheiden lebten. Und gottesfürchtig war er, fromm auf stille Art! Dabei war er grosszügig. Seine Hand war stets weit geöffnet, genau gleich wie diejenige seiner Gattin. Er half, wo immer er es für angebracht erachtete. Er tat Gutes möglichst im Verborgenen, dies ohne weitere Fragen zu stellen!“ Ich erzählte dem Diakon nichts von jenem, was Pauls Leben, insbesondere nach seiner Pensionierung als eine Art Passion dominierte: Das Bauen, das Betonieren. Denn ich teilte die Ansicht des Diakons: Dort oben, wo Paul eben angekommen war, hatte es keine Bedeutung.

       4. Die Kirche bleibt im Dorf

      Meine Frau und ich, wir sind seit über 50 Jahren verheiratet. Und noch immer haben wir Freude aneinander. Uns ist sehr bewusst, dass wir uns glücklich schätzen dürfen über dieses Privileg einer langen befriedigenden Partnerschaft. Zwar haben auch wir hin und wieder Meinungsverschiedenheiten. Aber wir beide wissen und sind uns sicher, dass jeglicher Knautsch eigentlich eine lächerliche Nebensächlichkeit ist und unsere Verbindung niemals in Frage stellen kann. Dispute können Paare einander sogar näherbringen, wenn der gegenseitige Respekt gewahrt bleibt und die nachfolgende Versöhnung in ehrlicher Gesinnung geschieht. Voraussetzung dafür ist, dass der Stolz abgelegt wird, was allerdings nicht immer ganz einfach ist. Jeder von uns beiden weiss, dass er absolut auf den anderen zählen kann und dies ist insbesondere im Alter von weit bedeutenderem Gewicht als jeglicher materielle Wert. Denn es beschert den anderen mit dem wichtigen Grundvertrauen, dass wir in jeglicher Lebenslage kompromisslos füreinander da sind, was immer geschehen mag. Zusammen mit Gottes Gunst, in der wir uns jederzeit wähnen, kann uns nichts und niemand etwas anhaben. Mit dieser Gesinnung trotzen wir mutig der Erkenntnis, dass nicht nur unsere Haare gezählt sind, sondern eben auch unsere Tage. Denn niemand kennt den Tag, noch die Stunde.

      Wie kamen wir zu diesem Privileg einer glücklichen Ehe? Was haben wir dazu beigetragen, meine Frau und ich, was war unser persönlicher Verdienst? War meine einstige Wahl und ihr einstiges JA einfach das Happyend einer glücklichen Laune des Schicksals oder stand mehr dahinter? Weshalb war Judith schon in der ersten Klasse der Primarschule mein Schulschatz, wieso erwählte ich sie schon damals zu meinem Augenstern? Weshalb hängte sich die schöne Frau in der Folge nie endgültig einem anderen Manne an während ihrer sieben Wanderjahre in der weiten Welt, sondern kam zu mir zurück? Und warum drängte sich bei mir nie eine Frau besitzergreifend in mein Leben, obwohl ich frei war und sich mein eigentlicher Augenstern all die Jahre weit ausserhalb meines Blickfeldes befand? Wer ist so verrückt sein Schicksal zu hinterfragen, wenn er jung ist? Die Wahrheit ist: Die Liebe schlägt zu, ohne dass es dafür eine stichhaltige Erklärung gibt, es geschieht einfach. Die Glückshormone sprudeln und überwältigen, nehmen Besitz, man ist ihnen fast machtlos ausgeliefert. Es war wohl eher Fügung, nicht Zufall, dass Judith die richtige Frau für mich war und ich dies offensichtlich schon erkannte, noch lange bevor mir unter anderem auch mein Testosteron den glücklichen, den endgültigen Weg wies. Ja, wir können uns bis heute gut riechen, meine Frau und ich. Obwohl wir uns in diesen über siebzig Jahren, seit wir uns kennenlernten, gewandelt haben, mehrere Metamorphosen hinter uns gebracht haben.

      Doch ernsthaft: Wie lange hält Verliebtheit? Und was passiert danach, wenn der Alltag eingezogen ist und die normalen Sorgen drängen, dabei auch weniger erfreuliche Tatsachen an den Tag kommen, nämlich nicht nur gute Charaktereigenschaften des anderen dem Partner zu schaffen machen? Dann entscheidet sich, wie tragfähig die Liebe ist, was in Wirklichkeit über jeglichem Banalen steht. Dann zeigt es sich, ob die Partner wahrhaft füreinander geschaffen sind, oder eben nicht. Das nackte Endresultat dieses Vorgangs, der die Spreu vom Weizen trennt, ist die Tatsache, dass heute nach dieser Endausmarchung fast die Hälfte aller Ehen geschieden werden. Dies ist ein harter Einschnitt im Leben eines jeden Betroffenen, insbesondere wenn Kinder da sind. Weitaus die wenigsten akzeptieren die Erkenntnis des Scheiterns der Partnerschaft leichten Herzens, im Gegenteil. Eine Trennung ist stets mit grossen Emotionen, mit Schmerzen verbunden, mit Traurigkeit, mit Vorwürfen an den Partner, aber auch an sich selbst.

      Doch wir müssen akzeptieren, dass es im Leben Dinge gibt, die selbst bei allem guten Willen schlecht zusammenpassen. Zu einer Münchner Weisswurst trinkt man kaum Champagner! Es gibt Paare, die sich erotisch anziehen, sich im Grunde innig lieben, bei allem anderen aber ihre Vorstellungen weit auseinander liegen. Sie ist intelligent, gebildet, er hat noch nie ein Buch gelesen. Sie ist adrett und rank, er ist schlampig und lässt sich gehen. Er ist arbeitsam, fleissig, sie ist eine träge Minimalistin. Es ist oft rätselhaft, weshalb solche Paare einst zueinander fanden. Doch weit weniger rätselhaft ist, dass solch ungleiche Partnerschaften nicht selten scheitern!

      In früheren Generationen war eine Scheidung auch bei grössten ehelichen Zerwürfnissen, ja selbst bei Gewalt kein Thema und das Paar hatte die Pflicht durchzuhalten, musste dabei nicht selten die Hölle auf Erden erdulden. Zum einen war eine Scheidung aus finanziellen Gründen völlig ausgeschlossen. Zum anderen schob die christliche Religion einen expliziten Riegel. Es hiess: Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht lösen!

      Die Gesellschaft hat sich verändert. Eine Frau hat heute einen Beruf und kann für sich selbst sorgen. Sie kann - nicht anders als der Mann – eine persönliche Entscheidung treffen, den Ehepartner zu verlassen, sich scheiden zu lassen, wenn sie am Ende ist und nicht mehr weiter weiss, oft nicht mehr weiterkann. Dies ist zumindest in unserem Kulturkreis so. Obwohl eine Scheidung auch heute noch kein Pappenstiel ist, sich hinzögern kann und nicht selten beträchtliche Anwaltskosten bindet, in jedem Fall viel Nerven kostet. Von den anschliessenden finanziellen Konsequenzen gar nicht zu reden!

      Die religiöse Komponente spielt bei einer Scheidung in der heutigen Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle, auch wenn die Unauflöslichkeit der Ehe nach wie vor mit jeglicher Konsequenz Gültigkeit hat – oder müsste es der Realität folgend eher hätte heissen? Doch was ist in der Zeit moderner Aufgeklärtheit noch verbindlich, was ist massgebend, gültig, was zu vernachlässigen!? Es scheint, als wäre der Religionsführung, insbesondere der katholischen, die fundamentalen gesellschaftlichen Veränderungen weitgehend entgangen. Doch in Wahrheit ist dem nicht so. Die Kirchenführung ist im Dauerdilemma. Sie ist entscheidungsschwach, verhält sich wie paralysiert, duckt sich wie das Kaninchen vor der Schlange. In dieser Erstarrung ist sie unfähig auf die neuen, unumkehrbaren gesellschaftlichen Gegebenheiten zu reagieren. Dies ist höchst schädlich – für die Kirche selbst, vor allem aber auch und insbesondere für die Gläubigen. Als praktizierender Katholik goutiere ich diese Schwäche an Entschlusskraft nicht, kann sie aber andererseits durchaus nachvollziehen. Denn ich bin Teil jener Generation, die eine ausgeprägte Tendenz hat am Alten, am Bekannten, am Traditionellen festzuhalten. Wir wurden völlig anders erzogen und sind in einem anderen Geist aufgewachsen, nicht zuletzt auch was die Religion und ihre Gebote betrifft. Unsere Generation besuchte jeden Sonntag pflichtgemäss und ohne den Hauch einer Widerrede die heilige Messe. Uns wurde Keuschheit vor der Ehe gepredigt. Uns wurde Geburtenbeschränkung verboten. Die eheliche Pflicht der Frau gegenüber dem Ehemann war eine Selbstverständlichkeit, ohne jeglichen Ansatz, der es wert war, darüber zu diskutieren. Andererseits waren Ehe für Alle, Homosexualität und Abtreibung Begriffe, die nicht mal in Betracht gezogen wurden, darüber nachzudenken, geschweige denn darüber zu diskutieren. Weil man nicht wünschte, dass sie existierten! Wie sollten die aktuellen kirchlichen Entscheidungsträger – mehrheitlich alte Männer – dazu gebracht werden, umzudenken, das fundamental in den Köpfen Eingebrannte zu verlassen? Wie sollten sie akzeptieren, dass auch Frauen das Recht beanspruchen die Priesterweihe zu empfangen, desgleichen verheiratete Männer!? Dabei kann man sich sogar ohne übermässig grosse Beanspruchung des Heiligen Geistes vorstellen, wie gut, wie heilsam es doch wäre den Einfluss einer weiblichen Komponente im Klerus zu spüren!

      Als einer, dem in der Partnerschaft Glück beschieden ist, wähne ich mich befugt über allem zu stehen, um zum Beispiel ein Wort einlegen zu dürfen für alle diejenigen, welche einst eine weniger glückliche Wahl trafen. Sie sind Menschen, ganz normale Menschen, die nicht verdienen von der Kirche ausgeschlossen zu werden im Fall, dass sie eine neue Partnerschaft


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