Gesammelte Erzählungen. Jules Verne

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Gesammelte Erzählungen - Jules Verne


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Himmel, doch beständige Witterung, weder erschöpfende Hitze zu fürchten, noch verderblichen Regen.

      Das Vergnügen, zu Pferd einen Ausflug durchs Land zu machen, erleichterte mir’s, mich in die Unternehmung zu schicken. Ich fühlte so recht das Glück, in Freiheit seinen Wünschen zu leben, und fing an, der Sache die freundliche Seite abzugewinnen.

      »Was ist übrigens, sagte ich mir, zu riskieren? Mitten in einem merkwürdigen Lande zu reisen! einen berühmten Berg zu erklimmen! Im schlimmsten Fall in den erloschenen Krater desselben hinabzusteigen! Offenbar hat Saknussemm nichts anderes getan. Daß ein verborgener Gang von da ins Zentrum des Erdballs führe, pure Einbildung! Rein unmöglich! So nehmen wir denn das Gute der Unternehmung hin, ohne zu handeln.«

      Unter solchen Gedanken waren wir aus Reykjawik herausgekommen.

      Hans ging voran, mit raschem, gleichmäßigem, ausdauerndem Schritt. Hinter ihm die zwei Pferde mit unserm Gepäck, ohne daß man sie zu treiben brauchte. Mein Oheim und ich nahmen uns wirklich nicht übel aus auf unseren kleinen, aber kräftigen Tieren.

      Island gehört zu den großen Inseln Europas. Bei einem Flächeninhalt von vierzehnhundert Quadratmeilen zählt es nur sechzigtausend Bewohner. Die Geographen haben sie in vier Viertel geteilt, und wir mußten quer durch den Teil wandern, welcher Südwest-Viertel, »Sudvestr Fjordungr« heißt.

      Hans hatte gleich von Reykjawik aus die Richtung längs des Meeresufers eingeschlagen. Wir ritten über mageres Weideland, das mehr gelb als grün aussah. Die runzeligen Gipfel der trachytischen Massen verwischten sich am Horizont im östlichen Nebel; mitunter sah man Schneestriche, welche das zerstreute Licht konzentrierten, dieses schimmernd auf den Abhang fernerer Höhen zurückstrahlen; einzelne kühner empor strebende Spitzen durchbohrten das graue Gewölk und kamen über diesen beweglichen Dunstmassen gleich ragenden Klippen am klaren Himmel wieder zum Vorschein.

      Oft liefen diese dürren Felsenketten in einer Spitze dem Meere zu und schnitten in das Weideland ein; aber es blieb dann noch hinreichender Raum für den Weg. Unsere Pferde suchten sich übrigens instinktmäßig die geeigneten Stellen, ohne dabei je langsamer vorwärts zu kommen. Mein Oheim hatte nicht einmal die Befriedigung, sein Reittier durch Zuruf oder Peitsche anzutreiben; seine Ungeduld konnte sich nicht geltend machen. Ich wußte mich des Lächelns nicht zu enthalten, als ich ihn so groß auf so einem kleinen Pferde sah, daß seine langen Beine auf dem Boden strichen und er wie ein sechsfüßiger Zentaur aussah.

      »Braves Tier! Braves Tier! sagte er. Du wirst sehen, Axel, daß kein Tier das isländische Pferd an Verstand übertrifft. Schnee, Stürme, schlechte Wege, Felsen, Gletscher, nichts hält es auf; es ist wacker, behutsam, zuverlässig. Nie ein Fehltritt, nie ein Widerstreben. Ist ein Fluß, ein Fjord zu passieren, so stürzt es sich ohne Zaudern gleich einem Amphibium ins Wasser, um an das gegenüberliegende Ufer zu gelangen! Aber man darf es nicht hart anfahren, muß es gewähren lassen, und man wird eins ins andere gerechnet, täglich fünf Meilen mit ihm zurücklegen.

      – Wir, allerdings, erwiderte, ich, aber der Führer?

      – O! Der kümmert mich nicht. Diese Leute kommen voran, ohne es zu merken. Dieser da rührt sich so wenig, daß er gar nicht müde wird. Übrigens werd’ ich nötigenfalls ihm mein Tier abtreten. Ich würde bald Krämpfe bekommen, wenn ich nicht mehr Bewegung hätte.«

      Inzwischen kamen wir raschen Schrittes vorwärts. Das Land war bereits etwas öde. Hier und da ein vereinzelter Pachthof, ein einzeln stehendes Bauernhaus von Holz, Erde, Lavastücken zeigte sich gleich einem Bettler am Rand eines Hohlwegs. Diese verfallenen Hütten sahen aus, als sprächen sie die Barmherzigkeit der Vorübergehenden an, und man fühlte sich versucht, ihnen ein Almosen zu geben. Es fehlte in diesem Land gänzlich an Straßen, selbst an Fußpfaden, und so langsam die Vegetation war, so vertilgte sie doch bald die seltenen Fußtritte der Reisenden.

      Und doch gehörte dieser in aller Nähe der Hauptstadt gelegene Teil der Provinz zu den bewohnten und angebauten Strecken der Insel. Wie stand es demnach mit den Gegenden, welche noch öder waren, als diese Öde. Wir hatten erst eine halbe Meile zurückgelegt, und waren noch nicht auf einen Bauer an der Türe seiner Hütte, noch auf einen wilden Schäfer gestoßen, der eine nicht so wilde Herde hütete; nur einige sich selbst überlassene Kühe und Hämmel kamen uns zu Gesicht. Wie sollte es erst mit den von vulkanischen Ausbrüchen und Erdbeben heimgesuchten Gegenden stehen?

      Wir sollten sie später kennen lernen; aber die Olsen’sche Karte belehrte mich, daß man ihnen auswich, indem man sich an das buchtige Gestade hielt. Die große plutonische Bewegung hatte sich besonders auf das Innere der Insel beschränkt; da finden sich denn auch die horizontal über einander geschichteten Felsen, in skandinavischer Sprache Trapps genannt, die trachytischen Ausbrüche von Basalt, Tuff und allen vulkanischen Konglomeraten, die Ergießungen von Lava und geschmolzenem Porphyr, welche dem Land ein übernatürlich schauderhaftes Aussehen geben. Ich hatte damals noch keine Ahnung von dem Anblick, den wir auf der Halbinsel des Snäfields haben sollten, wo diese Verheerungen einer wilden Natur ein furchtbares Chaos bilden.

      Zwei Stunden nach unserer Abreise aus Reykjawik gelangten wir zu dem Flecken Gufunns, genannt »Aoalkirkja«, oder Hauptkirche. Es findet sich da nichts Merkwürdiges; die wenigen Häuser würden in Deutschland kaum einen Weiler bilden.

      Hier machte Hans eine halbe Stunde Halt; er teilte unser frugales Frühstück mit uns, antwortete auf die Fragen meines Oheims über die Beschaffenheit des Weges mit Ja und Nein, und als man ihn fragte, wo er zu übernachten gedenke, sagte er nur:

      »Gardar.«

      Ich sah auf der Karte nach, und fand am Ufer des Hvalfjord, vier Meilen von Reykjawik, einen kleinen Flecken dieses Namens. Als ich ihn meinem Oheim zeigte, sprach er:

      »Vier Meilen nur! Vier Meilen von zweiundzwanzig! Das ist ein hübscher Spaziergang.«

      Er wollte dem Führer eine Bemerkung machen, der gab ihm aber keine Antwort und machte sich an die Spitze seiner Pferde wieder auf den Weg.

      Drei Stunden später, indem wir stets den farblosen Rasen des Weidelandes durchzogen, mußten wir um den Kollafjord herum reiten, ein Umweg, der kürzer und leichter war, als eine Fahrt über den Busen. Darauf kamen wir in ein »Pingstaor«, d.h. eine Bezirks-Gerichtsstelle, mit Namen Ejulberg, zur Mittagszeit, als die Glocke zwölf geschlagen haben würde, wenn überhaupt die isländischen Kirchen bemittelt genug wären, um eine Turmuhr anzukaufen; so wie auch die Pfarrkinder keine Uhren tragen, weil sie keine besitzen.

      Hier wurden die Pferde gefüttert; darauf ritten wir auf einem schmalen Uferweg zwischen einer Hügelreihe und dem Meer ununterbrochen weiter bis zu der »Aoalkirkja« Brantär, und eine Meile weiter nach Saurböer, einer Filialkirche, »Annexia«, am südlichen Ufer des Hvalfjord.

      Es war vier Uhr Abends, und wir hatten vier (dän.) Meilen zurückgelegt.

      Der Fjord war an dieser Stelle mindestens eine halbe Meile breit; die Meereswellen schlugen tosend wider die scharf gespitzten Felsen; der Golf erweiterte sich zwischen Felswänden, die dreitausend Fuß hoch senkrecht aufstiegen und durch braune Schichten zwischen rötlichen Tufflagern merkwürdig waren. So verständig unsere Pferde sein mochten, so ahnte ich nichts Gutes dabei, wenn wir es unternahmen, auf dem Rücken eines Vierfüßlers über einen wirklichen Meeresarm zu setzen.

      »Wenn sie verständig sind, sagte ich, so werden sie keinen Versuch machen überzusetzen. Jedenfalls übernehme ich’s, an ihrer Statt verständig zu sein.«

      Aber mein Oheim wollte nicht warten. Er galoppierte dem Ufer zu. Sein Reittier witterte die Meereswellen und hielt an. Jener aber hatte seinen eigenen Instinkt, und setzte ihm noch mehr zu. Das Pferd schüttelte den Kopf und weigerte sich abermals. Nun fluchte und peitschte er, aber das Tier schlug hinten aus und machte Miene, seinen Reiter abzuwerfen. Schließlich beugte es seine Kniekehlen und schlüpfte unter den langen Beinen des Professors weg, so daß er aufrecht auf zwei Felsstücken stehen blieb, wie der Koloß auf Rhodus.

      »Du verdammtes Tier! rief der Reiter, als er sich plötzlich zu Fuß sah, und schämte sich wie ein Reiteroffizier, der zum Infanteristen gemacht werden soll.

      – Farja, sagte


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