IMMUN. Sebastian Weis
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Kann das raus? - Der Blinddarm
Über 99.000mal wurde 2017 in Deutschland der Blinddarm bzw. genauer der Wurmfortsatz des Blinddarms entfernt.xxviii Das ist eine gute Nachricht, weil es früher noch sehr viel mehr waren. Lange war man der Ansicht, dass er unnütz sei und eher ein krankmachender Faktor. Inzwischen mehren sich die
Indizien, dass er für das Immunsystem eine wichtige Rolle spielen könnte.
Um ein Organ und seine Funktion zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Evolutionsgeschichte. Forscher sammelten dazu Daten für 533 Säugetierarten.xxix Die Ergebnisse waren überraschend: Der Blinddarm entwickelte sich über 30mal in mehreren Säugetierlinien unabhängig voneinander. Und er verschwand fast nie aus einer Linie, wenn er einmal aufgetaucht ist.
Im Blinddarm befinden sich hohe Konzentrationen an lymphatischem Gewebe. Lymphgewebe kann auch das Wachstum einiger Arten von nützlichen Darmbakterien stimulieren. So gibt es die These, dass der Blinddarm eventuell als "sicherer Unterschlupf" für nützliche Darmbakterien dient.xxx Forscher stellten fest, dass die im Blinddarm heimischen Lymphozyten diesen bei bakteriellen Angriffen besonders beschützen. Danach helfen sie dabei, potenziell „gute“ Bakterien im Körper wieder auszusäen. Ein ausgewogenes Mikrobiom ist wesentlich für die Erholung nach Darminfektionen wie z.B. einer Lebensmittelvergiftung.xxxi
Wenn Ihnen der Blinddarm entfernt wurde, achten Sie besonders auf Maßnahmen zur Stärkung Ihres Darmmikrobioms mit Probiotika und Präbiotika. Konkrete Empfehlungen finden Sie auf Seite 93.
Milz an Leber, Milz an Leber..
Manche Menschen kommen ohne Milz auf die Welt. Bei allen anderen hegt die Milz links im Oberbauch, unterhalb des Zwerchfells. Wie die Lymphknoten enthält die Milz spezialisierte Kompartimente, in denen sich Immunzellen sammeln. Die Milz gilt als Filteranlage des Blutkreislaufs. Alles, was nicht (mehr) ins Blut gehört, wird hier aussortiert. Dafür sind die Lymphozyten zuständig. Daher befinden sich sehr viele Immunzellen in der Milz.
Manchmal muss die Milz aus medizinischen Gründen entfernt werden. Nach dem Verlust der Milz gleichen andere Organe den Verlust aus: das Lymphsystem, die Leber und das rote Knochenmark. Daher können Betroffene weitgehend ein normales Leben weiterführen. Dennoch bleibt eine Lücke im Immunsystem.
Menschen ohne Milz haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Infektionen. Besondern anfällig sind sie gegenüber bestimmten Bakterien. Schutzimpfungen sind für Menschen ohne Milz daher essenziell. Empfohlen wird vor allem die Pneumokokken-Impfung. Informieren Sie sich beim Arzt Ihres Vertrauens.
Was haben Sie mit einem Hai gemeinsam?
Die Entstehung der Thymusdrüse geht über 500 Millionen Jahre zurück. Genetisch lässt sie sich das erste Mal bei Haien nachweisen. Ihre Vorläufer reichen noch weiter zurück. Es gab Fische, die Lymphozyten-Ansammlungen in ihrem Schlund hatten.xxxii Die Lymphozyten wurden bei den Fischen durch Botenstoffe in diese Region gelockt. Und vielleicht ist das noch heute so, denn bestimme Zellen des Immunsystems, die T-Lymphozyten, wandern nach ihrer Entstehung im Knochenmark in die Thymusdrüse. Manche Quellen sagen, sie werden schon in der Thymusdrüse gebildet. Die Wissenschaft ist sich da noch nicht einig. Wegen Ihrer Beziehung zum Thymus heißen sie jedenfalls T-Lymphozyten (T wie Thymus). Im Gegensatz zu den B-Lymphozyten, die im Knochenmark entstehen (Das B steht hier für engl. bone marrow = Knochenmark)
Bei Frauen ist die Thymusdrüse insgesamt aktiver als bei Männern. Neben diesem geschlechtsabhängigen Faktor scheint es jedoch noch einen genetischen Faktor zu geben, der über die Arbeit des Thymus mitentscheidet.xxxiii Das könnte ein Grund dafür sein, dass Menschen unterschiedlich anfällig sind für Erkrankungen.
Der Thymus nimmt seine Arbeit schon vor der Geburt auf. Bis zum Ende der Pubertät erreicht er seine maximale Größe. Im Alter schrumpft der Thymus und verkümmert. Der Thymus scheint bei vielen Tieren schneller zu altern als der Rest des Organismus. Über die Gründe lassen sich nur Vermutungen anstellen.
Die Thymusdrüse ist extrem empfindlich gegenüber Schädigungen, typischerweise in Form von Bestrahlung, zytoreduktiver Chemotherapie und stressbedingten (oder verabreichten) Kortikosteroiden.xxxiv
Auch die Geschlechtshormone, Testosteron, Progesteron und Östrogen scheinen einen negativen Effekt auf die Thymusdrüse zu haben. Ihre Wirkung zeigt sich am deutlichsten in der Pubertät, in welcher der Thymus bereits beginnt, sich zurückzubilden.
Unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und dieser genetischen Variation könnten wir ein "biologisches Alter" der Thymusdrüse bei Männern und Frauen definieren. Zwischen Individuen desselben chronologischen Alters könnte je nach Geschlecht und Genetik ein Unterschied von bis zu 18,5 Jahren im "Thymusalter" berechnet werden. Zum Beispiel können eine 58,5 Jahre alte Frau und ein 40 Jahre alter Mann unterschiedlichen Genotyps ein ähnliches "Thymusalter" haben, was möglicherweise einige der Unterschiede in den Immunreaktionen zwischen gesunden Personen erklärt.
Obwohl das Altern alle Aspekte eines Organismus betrifft, unterscheidet sich dieser Prozess in der Thymusdrüse vom Altern in anderen Geweben und Organen. Das Altern beginnt schon in der Kindheit, spätestens jedoch wie gesagt während der Pubertät. Nach dieser Anfangsphase wird der Verlust an Thymusgewebe bis zum mittleren Alter auf etwa 3% pro Jahr und danach auf 1% pro Jahr geschätzt.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass trotz der zu beobachtenden Thymusrückbildung eine gewisse Thymusrestfunktion bis ins hohe Alter bestehen bleibt. Bei Hundertjährigen können noch signifikante Konzentrationen von jungen T-Zellen nachgewiesen werden.xxxv
Kalorienrestriktion reduziert die Stoffwechselaktivität und verlangsamt den Verfall.
Selbst diese Hochburg des Immunsystems ist nicht vor Infektionen geschützt. Der bekannteste Feind ist der HI-Virus. HIV infiziert direkt die sog. Thymozyten (Vorläuferzellen) und zerstört umliegendes Gewebe.
Die Thymusdrüse reagiert insgesamt sehr empfindlich. Im Falle einer bakteriellen Infektion werden bestimmte Moleküle freigesetzt, die sog. LPS = Lipo-Poly-Saccharide (wörtlich übersetzt: Fett-Zucker-Moleküle).
LPS können das Schrumpfen des Thymus begünstigen. Sie entstehen aber nicht nur durch Bakterien, sondern auch durch eine ungesunde Ernährung mit zu viel ungesunden Fetten. Glücklicherweise können wir aber auch über die Ernährung das Gegenteil bewirken. Pflanzenstoffe wie Resveratrol konnten in Studien eine schützende Wirkung für den Thymus zeigen.xxxvi
Checkliste Thymusdrüse
Wie gut wurde Ihre Thymusdrüse in Ihrer Kindheit gefordert? Wie sehr waren Sie mit natürlichen Krankheitserregern konfrontiert (im Kindergarten, in der Natur)? Wie gut konnte Ihr Immunsystem trainieren?
Wann kamen Sie in die Pubertät?
➢ Eher früh: Ihr Thymus ist evtl. etwas weniger „stark“
➢ Eher spät: Ihr Thymus hatte mehr Zeit, sich zu entwickeln.
Wie sieht Ihr aktuelles Stresslevel aus?
➢ Je höher der Stress, desto gestresster Ihr Immunsystem. Sorgen Sie für täglichen Stressabbau mit Bewegung und Meditation.
Nehmen Sie Kortikosteroide oder haben Sie diese genommen?
➢ Besprechen Sie mit Ihrem Behandler, ob, wann und welche Wege es gibt, die Medikation zu reduzieren oder auszuschleichen.
Wurden Sie schon mal im Brustbereich bestrahlt oder hatten Sie schon mal eine zytoreduktive Chemotherapie?
➢ Wenden Sie so viele Tipps wie möglich aus diesem Buch an.
Generell gilt:
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