Evolution Bundle. Thomas Thiemeyer
Читать онлайн книгу.eine altmodische Kniebundhose und ein weißes Hemd trug. »Aber wenn wir – und darauf deutet ja alles hin – wirklich in der Zukunft gelandet sind …«, er zögerte einen Moment, »… leben unsere Eltern vielleicht gar nicht mehr.«
»Paul, Schluss damit«, schaltete sich Connie ein. »Solange wir dafür keine Beweise haben, denken wir gar nicht daran!«
Jem sah, dass sich ein nachdenklicher Zug auf Lucies Gesicht gelegt hatte. Er wusste, wie sehr sie ihre Eltern vermisste und was es bedeuten würde, wenn sich Pauls Vermutung als wahr herausstellte …
»Wie sieht es aus?«, fragte er deshalb betont fröhlich in die Runde. »Wollen wir los?«
»Wir sind bereit«, rief Bennett, der hinter Jaeger in den Bus stieg. Wäre es nach Jem gegangen, hätten sie auf den übellaunigen Sky Marshal gerne verzichten können, doch der Kapitän hatte darauf bestanden, dass sie ihn mitnahmen.
Mit M.A.R.S. waren sie zu zwölft.
Marek verabschiedete sich noch schnell mit Handschlag von einigen der herumstehenden Passagiere, dann sprang er als Letzter in den Bus und setzte sich nach vorne zu Bennett und Jaeger. Jem fand dieses arschkriecherische Verhalten ziemlich lächerlich, hatte aber beschlossen, sich nicht darüber zu ärgern und lieber bei Lucie zu bleiben. Sie machte einen ziemlich aufgewühlten Eindruck und er wollte versuchen, sie ein kleines bisschen aufzumuntern.
Bennett schloss die Tür, hupte und fuhr über ein paar Bodenschwellen Richtung Highway.
Die Fahrt wurde holperiger.
Alle saßen schweigend an den Scheiben und blickten betroffen hinaus. Was sich vor ihren Augen abspielte, war kaum in Worte zu fassen.
Wohin Jem auch blickte, herrschte Zerstörung. Kaum noch ein Stein, der auf dem anderen stand. Nur hin und wieder sah er einige verfallene Gebäude, umgeben von riesigen Wasserflächen und ausufernden Schilfregionen.
Ihm wurde es kalt ums Herz. Der Anblick war so fremdartig, dass er sich vorkam wie in einem Film. All das war zu verrückt, um real zu sein. Er war inzwischen überzeugt, dass sich eine unheimliche – um nicht zu sagen beispiellose – Katastrophe während ihrer Abwesenheit ereignet hatte. Während ihrer gesamten Fahrt waren sie nicht einer Menschenseele begegnet, und wie es aussah, würde sich das so schnell nicht ändern.
Der Asphalt war zugewuchert und voller Risse, sodass sie nur langsam vorankamen. Die Fahrt zog sich in die Länge.
Im Bus wurde es immer heißer und Jem spürte, wie ihn Müdigkeit überkam. Er hatte letzte Nacht nur wenig geschlafen. Aber egal, wie müde er war – er konnte jetzt nicht schlafen. Er wollte sich in keinem Fall irgendetwas entgehen lassen, vielleicht war es nur ein winziges Detail, das ihnen am Ende weiterhalf.
Lucie hatte die ganze Fahrt über noch nichts gesagt und starrte regungslos aus dem Fenster. Jem hätte sie gerne auf andere Gedanken gebracht, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Dass sie sich in einer beschissenen Situation befanden, konnte er auch nicht schönreden.
Paul, der eine Reihe vor ihm saß, blätterte versunken in einem Buch herum. Seltsam, dachte Jem. Wie man in einer solchen Situation lesen konnte, war ihm schleierhaft. Aber Paul war einfach anders. Speziell. Wahrscheinlich eignete er sich wieder irgendein unnützes Wissen an, das er später zum Besten geben konnte. Paul war echt ganz okay, aber in Jems Augen der totale Nerd.
»Was siehst du dir da an?«, fragte er trotzdem.
Paul hob das Buch.
»Sightseeing in Denver?« Jem runzelte die Stirn.
»Ein Reiseführer, ja.« Paul grinste. »Habe ihn mir in einem der großen Shops besorgt.«
»Wusste gar nicht, dass es noch Bücher gibt.«
»Oh doch. Allerdings bloß noch bei den Souvenirartikeln. Scheint so etwas wie eine Antiquität zu sein. Sieh mal, es ist aus dem gleichen seltsamen Material hergestellt wie Lucies Zeitschrift.«
Jem hob belustigt eine Braue. »Was hast du vor, willst du dir die Sehenswürdigkeiten anschauen?«
Paul zuckte die Schultern. »Das nicht, aber es kann nicht schaden, wenn man eine Vorstellung von der Umgebung hat. Immerhin sind ein Stadtplan und eine Übersichtskarte von Colorado mit dabei. Für den Fall, dass wir uns verirren. Außerdem gibt es ein Verzeichnis sämtlicher Shops, Läden, Museen und Kaufhäuser in der Innenstadt. Falls wir das eine oder andere organisieren müssen …«
Jem musste zugeben, dass die Idee nicht schlecht war. »Gut, dass wenigstens einer an so was gedacht hat.« Er klopfte Paul auf die Schulter.
Der erhob sich aus seinem Sitz und deutete mit dem Kopf nach hinten. »Komm mal mit! Ich muss dir unbedingt zeigen, was Arthur und Olivia entdeckt haben.«
Jem warf einen kurzen Blick auf Lucie, die weiter aus dem Fenster starrte. »Bin gleich wieder da«, sagte er, doch sie schien mit ihren Gedanken ganz weit weg zu sein. Also folgte er Paul nach hinten.
Arthur und Olivia saßen neben M.A.R.S. und hielten irgendwelche Geräte in der Hand, die entfernt an Gameboys erinnerten. Eins war pink und eins grün, beide waren über Kabel mit M.A.R.S.’ Universalbuchse verbunden.
»Hey«, grüßte Paul. »Jem würde sich gerne mal eure Apparate anschauen.«
»Hier«, sagte Arthur und hielt Jem den grünen Kasten vor die Nase. »Es scheint sich um ein Nachfolgemodell der guten alten Walkie-Talkies zu handeln. Holotalkies heißen die Dinger. Wir haben sie in einem Spielzeuggeschäft gefunden.«
»Direkt neben den Superheldenfiguren und Baseballschlägern.« Olivia grinste. »Scheint der neueste Hit zu sein. Schau dir das mal an.« Sie drückte auf einen Knopf und ein Bild erschien. Es war grünlich und halb durchsichtig und schwebte in der Luft. Zu sehen war Arthur, der das eine Gerät in der Hand hielt. Als er ebenfalls einen Knopf drückte, erschien eine verkleinerte Version von Olivia. Sie wirkte ziemlich dreidimensional und redete und bewegte sich exakt so wie das Original. Jem war erstaunt. Mit so etwas spielten die Kids aus der Zukunft also? Abgefahren.
»Wie funktioniert das?«, fragte er.
»Hologramme«, sagte Arthur. »Hier oben ist eine Linse, mit der das Bild aufgezeichnet wird, siehst du? Dann wird es übertragen und kann auf dem anderen Gerät abgespielt werden. Wie ein Bildtelefon, nur in dreidimensional.«
»Nicht schlecht«, sagte Jem. Vielleicht würden ihnen die Dinger später noch nützlich sein. »Was haben die denn für eine Reichweite?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Olivia. »Haben wir noch nicht ausprobiert. Da unsere Smartphones mangels Netz allesamt unbrauchbar sind, wäre das doch vielleicht eine gute Möglichkeit, sich über Entfernungen hinweg zu verständigen. Wir laden sie gerade auf und werden sie nachher mal testen …«
Bennett trat so plötzlich auf die Bremse, dass Jem und Paul sich gerade noch so an einem Sitz festhalten konnten. Es gab ein kurzes Quietschen, dann stand der Bus. Jem blickte erschrocken nach vorne.
»Was ist denn los? Warum halten wir?«
»Ich schätze, wir haben hier ein Problem«, rief der Kapitän nach hinten. »Am besten, ihr steigt alle aus und seht es euch selbst an.«
Jem und die anderen folgten seiner Aufforderung.
Draußen empfing sie brütende Hitze. Um sie herum wimmelte es von Tieren. Violette und metallisch grüne Vögel zischten umher, in den Tümpeln quakte es und die Luft war erfüllt vom Summen ungewöhnlich großer Insekten. Der Lärm, den sie veranstalteten, war ohrenbetäubend. Schachbrettartig gemusterte Pflanzen wucherten um sie herum. Manche von ihnen trugen Blüten, die bei Berührung leise klingelten. Trompetenartige Gewächse verströmten einen betäubend süßlichen Geruch. Die Fremdartigkeit dieser Welt umfing ihn wie ein klebriges Spinnennetz. Der Flughafen war ja schon seltsam gewesen, aber hier draußen war das Erlebnis noch viel intensiver.
Jem ging nach vorne. Jetzt sah er, was los war.
Die Straße war versperrt. Eine Brücke musste hier vor langer