Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga. Pete Hackett
Читать онлайн книгу.Morgen ließ der Sturm nach. Berge von Sand türmten sich an der Basis der Felsen. Spuren, soweit es welche gab, waren verweht. Die Speicheldrüsen der Soldaten waren versiegt. Nachdem sie sich mit dem brackigen Wasser aus ihren Feldflaschen die Münder ausgespült hatten, torkelten sie weiter. Sie warteten nicht die Nacht ab. Es wurde ein Wettlauf gegen die Zeit. Der Marsch ging an die Substanz. Nach zwei Stunden brach Reiter Stillwell zusammen. Zwei Kameraden halfen ihm auf eins der Pferde, das schon mit einem Verwundeten besetzt war. Auch die drei Tiere waren am Ende.
Es ging immer höher hinauf. Am Rand einer Ebene stießen sie auf eine Tinaja, eine Wasserstelle. Ein Staubfilm schwamm auf der Wasseroberfläche. Einige Soldaten wollten sich sofort zu dem Wasserloch stürzen und trinken. Die schroffe Stimme des Lieutenants stoppte sie. Er ging bei dem Wasser auf das linke Knie nieder, schöpfte mit der Hand etwas von dem lebensnotwenigen Nass und probierte es, dann senkte er die Hand und sagte: »Ich habe befürchtet, dass es alkalihaltig ist. Doch es ist in Ordnung.«
Die Soldaten löschten ihren Durst, dann kamen die Pferde an die Reihe. Ringsum erstreckte sich ein Gebiet zerklüfteter Hügel und dunkler Kämme, zwischen denen kleine Prärien mit braunverbranntem Büffelgras eingebettet lagen. Von Apachen hatten sie nichts mehr gesehen.
»Wie lange noch, Sir?«, fragte der Sergeant. Aus seinen Haaren tropfte Wasser. Die blaue Feldmütze hielt er in der Hand.
»Sechs Tage noch«, versetzte Whitlock. Während er sprach, blickte er zu den verschwommenen Umrissen der blauen Bergkette am nordwestlichen Horizont. Und er sah ein Aufblitzen, wie wenn sich Sonnenlicht auf einer Spiegelscherbe oder einem Gewehrlauf bricht. Ein herber Zug kerbte sich in seine Mundwinkel. »Wir werden erwartet«, sagte er und deutete zu dem Felsmassiv, das sich von Osten nach Westen erstreckte. »Etwas hat das Sonnenlicht reflektiert. Wir müssen nach Osten ausweichen und um die Felskette herummarschieren.«
»Warum nicht nach Westen? Wir könnten den Frenchs Arroyo erreichen und uns westlich der Lava Beds nach Norden bewegen. Das wäre der direkte Weg nach Fort Wingate.«
»Dass wir diesen Weg wählen, werden sich auch die Apachen denken«, gab Whitlock zu bedenken und verlieh damit seinen Zweifeln Ausdruck. »Ich bin dafür, dass wir nach Osten gehen und östlich der Lava Beds nach Norden marschieren.«
»Das ist ein Umweg.«
»Den wir unserer Sicherheit wegen in Kauf nehmen sollten.«
»Sie erteilen die Befehle, Sir«, meinte der Sergeant achselzuckend.
Darauf gab Whitlock keine Antwort.
Die drei Wasserflaschen waren gefüllt. Der Marsch ging weiter. Stunde um Stunde, Meile um Meile. Mechanisch setzten die Soldaten einen Fuß vor den anderen. Sie waren zu erschöpft, um aufmerksam zu sein. Keiner war mehr in der Lage, seine Sinne zu aktivieren. In diesem Land war das unter Umständen ein tödlicher Fehler. Als Whitlock einmal zum Himmel hinaufschaute, sah er die dunklen Punkte vor dem endlosen Blau. Sie zogen lautlose Bahnen über ihnen. Aasgeier – Todesvögel...
Whitlock knirschte mit den Zähnen. Die Geier sahen in ihnen schon potentielle Beute. Er spuckte aus. Es war eine zähe Masse aus Speichel und Staub.
Als die Soldaten lagerten, es war kurz vor Sonnenuntergang, erklomm der Lieutenant einen Hügel, von dem aus er nach Süden und Westen blicken konnte. Im Norden und Osten versperrte ihm Berge die Sicht. In der Ferne sah er eine Reiterkette über einen Hügel ziehen. Apachen!
Er kehrte zu seinen Männern zurück und berichtete ihnen, was er gesehen hatte. Dann sagte er: »Wir warten hier die Finsternis ab, dann ziehen wir weiter. Ich weiß, Leute, es ist mörderisch. Ihr seid am Ende. Aber wir müssen durch hier, oder wir gehen elend zugrunde.«
»Marschier oder krepier«, sagte einer der Soldaten mit herbem Unterton. Seine Stimme war nur ein staubheiseres Geflüster. »Langsam frage ich mich, ob der Tod nicht eine Erlösung wäre.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Reiter!«, wies ihn Whitlock zurecht. »Sie demoralisieren die anderen.«
»Was gibt es da noch zu demoralisieren?«, knirschte der Soldat. »Die Motivation war schon nach dem zweiten Überfall durch die Indsmen im Arsch, als uns allen klar wurde, dass wir in diesem verdammten Land wohl verrecken werden.«
»Steh auf, Miller!«, knurrte Sergeant Burmester. »Hoch mit dir. Ich werde dir den nötigen Respekt und die nötige Motivation mit den Fäusten in dein dämliches Gehirn hämmern.« Der Sergeant taumelte hoch und stand schwankend. Die Schicht aus Staub und Schweiß in seinem Gesicht war gebrochen. Seine Lippen waren rissig, seine Augen entzündet.
Auch der Soldat kam hoch. »Komm her, Winkelsoldat!«, fauchte er. Die Nerven lagen blank. Sie waren gereizt und übellaunig. Der geringste Anlass genügte... »Ich schlage dich ungespitzt in den Boden. Ihr großkotzigen Offiziere und Unteroffiziere mit eurem verdammten Kodex. Komm nur her! Ich pfeife auf deine Winkel.«
»Seid ihr verrückt geworden!«, herrschte Whitlock die beiden Streithähne an. »Ihr werdet eure Kraft noch nötig brauchen. Setzt euch!«
»Ist das ein Befehl, Sir?«, fragte der Sergeant gedehnt und musterte Miller finster, unter zusammengeschobenen Brauen hervor, in seinen Augen irrlichterte der Wille, zu zerschlagen, zu zerstören, den anderen mit seinen Fäusten zu zertrümmern.
»Ja.«
Die Schultern des Sergeanten sanken nach unten. Widerwillig setzte er sich wieder. Auch Miller ließ sich nieder. »Den Winkelsoldaten schlage ich dir irgendwann in den Hals zurück, Miller«, drohte Burmester.
»Du kannst mich mal.«
»Auch darüber reden wir noch.«
»Schluss jetzt!«, gebot Whitlock schroff. »Reißt euch zusammen, verdammt! Ich lasse nicht zu, dass wir uns gegenseitig an die Hälse gehen.«
»Tut mir Leid«, Sir«, entschuldigte sich Burmester. »Aber...« Er winkte ab und hob die Schultern.
»Schon gut. - Miller, wenn Sie so weitermachen, landen Sie vor dem Kriegsgericht.«
Der Soldat spuckte verächtlich aus und schwieg verbissen.
Die Schatten wurden länger, irgendwann verblassten sie. Der Himmel im Westen leuchtete an diesem Tag nach dem Verschwinden der Sonne schweflig gelb. Wolken, deren Ränder zu erglühen schienen, schoben sich vor diese Kulisse. Im Westen zeigte sich der Abendstern. Nach und nach verfärbte sich das Gelb zu violett und die Natur begann ihre Farben zu verlieren. Aus Mulden und Felsnischen schlich die Dämmerung. Noch immer lastete die Tageswärme zwischen dem kahlen Gestein. Überall woben jetzt Schatten zwischen den Klippen und Felskegeln. Sie täuschten huschende Gestalten vor.
Dann hatte die Nacht den Tag endgültig vertrieben. Sie brachen wieder auf. Der Sergeant ging voraus. Whitlock bildete den Schluss. Schon bald waren die Beine der Männer schwer wie Blei. Die Muskeln arbeiteten nur noch automatisch, von keinem bewussten Willen gesteuert. Die Erschöpfung grub tiefe Linien in die Gesichter. Dazu kam die Gefahr, die nicht wegzudenken war. Sie marschierten durch Feindesland. Ihr Leben hing an einem seidenen Faden. Müde Resignation hatte die meisten der Soldaten erfasst. Und der Gedanke, dass noch einige Tage der unmenschlichen Strapazen vor ihnen lagen, trieb sie immer tiefer in Mutlosigkeit und Verzweiflung. Die Dunkelheit, die sie umgab, verstärkte das Gefühl von Unsicherheit, Verlorenheit und Angst.
*
Oktober 1878. Scott Wilburn und seine Männer verhielten ihre Pferde. Vor ihnen lagen die Gebäude einer Farm. Sie schien verwaist zu sein. Alles war dem Verfall preisgegeben und wirkte grau in grau. Einige Schuppendächer waren schon eingebrochen.
»Sehen wir mal nach, was uns da erwartet«, sagte Wilburn und setzte mit einem Schenkeldruck sein Pferd in Bewegung. Im Schritttempo ritten sie auf den Farmhof. Die Tür eines Schuppens stand offen und knarrte leise im Wind. Die Fenster des Farmhauses besaßen kein Glas. Dafür gab es Blendläden, die schief in den Angeln hingen. Auf dem sandigen