Eisaugen. Margit Kruse

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Eisaugen - Margit Kruse


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In einer winzigen Wohnung direkt über der schon erwähnten Kombi-Pommesbude, mit dem kostenlosen Geruch von verkokelten Bratwürsten und altem Pommesfett.

      Was war Bertl gegen diesen schmächtigen Mann für eine stattliche Erscheinung. Er konnte einer Frau nicht nur ein perfektes Äußeres bieten, sondern darüber hinaus tolle Umgangsformen, Charme und ein gehobenes, sicheres Einkommen. Allerdings waren da seine kleinen Fehler. Außer, dass er sich seiner Pluspunkte durchaus bewusst war und seinen Charme oft bei sämtlichen Frauen übermäßig versprühte, war er vor allem ein Geizhals.

      Mag ja sein, dass er zu Beginn ihrer Beziehung vorhatte, ihr ewig treu zu sein, und seine Worte, die er diesbezüglich aus seinem Mund fallen ließ, ehrlich gemeint waren. Aber gegen seine immer wieder aufkeimenden Triebe kam er leider nicht an.

      Margareta konnte momentan selbst nicht sagen, was ihr lieber war. Ein toller, perfekter Mann in fast jeder Beziehung, der an seiner Potenz allerdings regelmäßig andere Frauen teilhaben ließ, oder ein dünner, unscheinbarer Mann in dunkelblauem Plüschmantel, ohne berufliche Perspektive, mit Minieinkommen, stattdessen sicherlich mit einem guten Herzen ausgestattet und vielleicht treu wie Gold. Es gibt doch sicherlich noch etwas dazwischen, dachte sie sich. Ein goldenes Mittelmaß sozusagen. Für mich sowieso kein Thema mehr. Dem habe ich abgeschworen und basta. Keine feste Partnerschaft mehr!

      Spontan entschloss sie sich beim Verlassen des Friedhofs, einen Trip in die Belanglosigkeit zu unternehmen. Kurz, sie stattete ihren Eltern einen Besuch ab, nachdem sie von Weitem das breit geöffnete Küchenfenster ihrer Wohnung entdeckte.

      Kaum hatte sie sich auf der Eckbank der vollgestopften Küche niedergelassen, prasselte ein warmer Regen Nichtigkeiten aus dem Rentnerdasein ihrer Eltern auf sie hernieder. Während sie sich eine Portion Bratkartoffeln mit Spiegeleiern einverleibte, versuchte sie das Gehörte in wichtig und unwichtig einzuteilen. Aus der linken Ecke berichtete ihr der Vater von den sprießenden Krokussen im Vorgarten, dem betrunkenen Nachbarn, der soeben eingetrudelten Stromabrechnung und der zu spät gekommenen Straßenbahn, die all seine morgendlichen Pläne arg durchkreuzt, ja fast zunichte gemacht hatte. Aus der rechten Ecke sprudelten Mutters Worte fast synchron in ihr anderes Ohr: Bei Aldi waren die Küchenrollen aus, beim Bäcker an der Ecke gab es Rosinenschnecken im Angebot und Frau Müller hatte mal wieder nicht ordentlich den Flur geputzt. Die Fußleisten einfach vergessen! Nichts Wichtiges dabei, stellte Margareta fest und atmete auf, weil das leidige Thema ›Bertl‹ nicht zur Sprache kam. Aber sie hatte sich zu früh gefreut. Gerade als sie aufstand, um den Heimweg anzutreten, verzog sich das eben noch zufriedene Gesicht ihrer Mutter zu einer einzigen Anklage.

      »Ach, Kind, dass gerade du so ein Pech mit den Männern haben musst! Das konnte ja nicht gut gehen. So ohne Gottes Segen!«

      Nicht schon wieder, dachte Margareta.

      Wie weit hat dich denn Gottes Segen gebracht?, wollte sie ihre Mutter fragen. 35 Jahre Hausfrau, deren tägliches Highlight bis vor Kurzem das Heimkommen ihres Mannes von der Arbeit und seine nicht enden wollenden Erzählungen aus seiner kleinen Malocherwelt war. Panik stieg in ihr auf. Raus, schnell raus hier! Sie war zu müde, um gegen die starre Meinung ihrer Mutter anzureden: zum Beispiel, dass ein Trauschein sie nicht daran gehindert hätte, den tollen Bertl zu verlassen. Sie war froh, nicht mit ihm verheiratet gewesen zu sein, da das die ganze Trennungsangelegenheit verkompliziert hätte.

      Margareta zog seufzend die Wohnungstür ins Schloss und atmete, während sie die Treppe hinabstieg, die Spießigkeit des Treppenhauses des Vier-Familien-Idylls ein. Nach Bohnerwachs und verschiedenen Mittagessen roch es. Udo Jürgens hatte sich wohl hier Inspiration für einen Song geholt. Die selbst genähten Scheibengardinen des Flurfensters sowie der dreiteilige Blumenständer aus den 60er-Jahren mit den Klivien darauf jagten ihr einen Schauer über den Rücken. War wohl doch keine so gute Idee, dieser Besuch. Wenigstens war sie in den Genuss einer köstlichen Mahlzeit gekommen.

      Wieder in ihrer Wohnung überlegte sie, wie sie den Nachmittag ihres freien Tages verbringen könnte. Während sie aufs Klo ging und ausgiebig in die Porzellanschüssel pinkelte, hoffte sie, dass ihr eine zündende Idee kommen würde. Ihr fielen die vier Umzugskartons ein, die in der Ecke ihres Schlafzimmers darauf warteten, endlich ausgepackt zu werden. Doch sie sagte sich, wenn sie die Sachen, die sich darin befanden, in den sechs Wochen, in denen sie nun hier wohnte, nicht gebraucht hatte, könnten sie dort noch etwas länger verweilen.

      Sie ging zum Schlafzimmerfenster und blickte hinunter zur Straße. Auch dieser Anblick hatte nichts Erheiterndes. Plötzlich hatte sie das vage Gefühl, beobachtet zu werden. Sie drehte ihren Kopf ganz langsam nach rechts und schaute in das schräg gegenüberliegende Fenster, welches sich in dem Wohnturm genau über der Einfahrt befand. Sie blickte in zwei warme braune Augen eines durchaus ansehnlichen Gesichts. Dieser Mann, der da stehend aus dem Fenster schaute, war ein seltener Anblick. Meistens sah sie ihn nur Schuhe reparierend an einer Werkbank sitzen. Und das nur dann, wenn die Gardine des Fensters beiseite gezogen war und ihr so Einblick in den Raum bot.

      Sie lächelte zu ihm herüber, woraufhin der Mann erschrocken die Gardine zuzog und blitzartig verschwand. Klar, er durfte sich nicht zeigen. Vielleicht träumte sie dies ja nur, da es den Mann angeblich überhaupt nicht gab. Die Wohnung, zu der das Fenster gehörte, befand sich im Nebenhaus und wurde von einer Frau Henriette Koletzki bewohnt. Frau Koletzki war, bis auf ihren Megabusen, eine unscheinbare Frau, verwitwet und alleinlebend. Behaupteten jedenfalls die Nachbarn.

      Auf Margaretas »Aber der Mann!« zuckten alle Nachbarn nur mit den Schultern, wechselten das Thema oder beendeten das Gespräch abrupt.

      Als ihre Neugier immer stärker wurde und sie es nicht mehr aushielt, wagte sie es, Frau Koletzki selbst daraufhin anzusprechen. Die arme Frau kam gerade schwer beladen vom Einkaufen zurück und wollte soeben die Haustür aufschließen, um die Treppen zu ihrer Wohnung hinaufzusteigen. Neben ihren vielen Taschen hatte sie ja auch noch ihren immens großen Busen zu tragen.

      »Ach, hallo, Frau Koletzki. Ich bin die neue Nachbarin. Margareta Sommerfeld ist mein Name«, stellte Mar­gareta sich höflich vor und reichte der schüchternen Frau mit dem Kopftuch die Hand. Frau Koletzki nahm zögernd die dargebotene Hand, blickte verschüch­tert zu Boden und begrüßte ihre neue Nachbarin.

      »Sagen Sie, Frau Koletzki. Wer ist eigentlich der junge Mann, den ich von meinem Schlafzimmerfenster aus beobachten kann? Was macht er da in Ihrer Wohnung?«

      Frau Koletzki zuckte zusammen. Tränen traten in ihre Augen, sie schnappte sich ihre Einkaufstaschen und war schon in dem dunklen Hausflur verschwunden. »Ich weiß nicht, was Sie meinen! Ich lebe allein!«, nuschelte sie und weg war sie.

      Seitdem war die Gardine einige Tage stets zugezogen gewesen und das Rollo den ganzen Tag heruntergelassen. Margaretas Wohnung war die Einzige im Haus, die ein Fenster an der Seite hatte, von dem aus man das Zimmer der Wohnung von Frau Koletzki, das zur Straße hinausging, beobachten konnte.

      Selbst Margaretas Mutter, der Pirat der Siedlung, bezichtigte ihre Tochter der Tagträumerei. »Kind, die Koletzki wohnt allein. Da ist niemand. Ich habe mich überall erkundigt! Du guckst zu viel Fernsehen!«

      2.

      Margareta hörte auf, ihn zu küssen. Ein Blick in seine großen, braunen Augen sagte ihr, dass auch er genug hatte. Er küsste ihre erhitzte Stirn, dann drehte er sich zur Seite. Die pure Lust hatte sie wieder zusammengeführt. Gut, dass es keine Liebe ist, dachte sie.

      »Was hast du Henriette erzählt, wo du hingehst?«, fragte sie ihn spröde lächelnd. »Außer in den Keller, und das nur, wenn die Luft rein ist, hast du ja keine Möglichkeiten!«

      »Sie schläft tief und fest. Hat bis jetzt nichts bemerkt!«

      »Wie hältst du das bloß aus? Seit einem Jahr in der Wohnung eingesperrt zu sein und nichts anderes zu machen, als Schuhe zu reparieren!«

      »Ich bin froh, dass ich überhaupt was zu tun habe! Außerdem habe ich ja jetzt dich!« Mit einem Blick, der mehr als besitzergreifend war, musterte er sie lange Zeit gierig.

      »Starr mich nicht so an! Ich hab dir schon mal gesagt, das mit uns hat nichts zu bedeuten. Wir bilden eine reine Zweckgemeinschaft.


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