Das Netz ist politisch – Teil I. Adrienne Fichter

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Das Netz ist politisch – Teil I - Adrienne Fichter


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einig: Am 6. November 2010 sollen 950 zufällig ausgewählte Bürgerinnen eine Einladung aus Reykjavik erhalten. Ihr Auftrag: Ideen und Eckpunkte zu sammeln. Das Resultat mündet in einen 700-seitigen Bericht. Nun soll ein Kondensat dieses Crowdsourcings her.

      Mit schrägen Kampagnen erklären die Kandidatinnen, weshalb ausgerechnet sie für dieses staatspolitische Amt am besten geeignet seien.

      Sprengsatz für die Fischerei-Lobby

      Der Prozess kommt ins Schleudern, als die Wirtschaftslobby aufzubegehren beginnt. Und sie tut das wegen dieser Referendumsfrage:

       «Sollen die natürlichen Ressourcen den Bürgerinnen und Bürgern Islands gehören?»

      Jedem Isländer ist klar, was damit gemeint ist: Der Fischerei-Markt soll liberalisiert und demokratisiert werden. Die Fischerei macht 25 Prozent des Bruttosozialprodukts Islands aus. Ihre Lobby hat in enger Verbandelung mit der konservativen Unabhängigkeitspartei über Jahrzehnte ihre Pfründen abgesichert.

      Mit einem Inkrafttreten des neuen Regelwerks wären diese Privilegien verloren. Denn die neue Verfassung sieht auch eine angemessene Besteuerung der Fischerei-Unternehmen vor.

      Die monatelange Obstruktionspolitik der Konservativen beginnt. Die Unabhängigkeitspartei beginnt, den Verfassungsprozess zu sabotieren.

       Der Held hat den Untoten Glámur nicht vollends besiegt. Der ist wieder zurück und lässt seine Muskeln spielen.

      Zermürbungstaktiken brechen den Willen

      Smári McCarthy spricht von «Filibustering». Er meint damit das Hinhalten, Schlechtreden und Stimmungmachen gegen die «linke» Verfassung durch die Unabhängigkeitspartei. Meist agiert sie hinter vorgehaltener Hand. Es gibt nur wenige sichtbare Exponentinnen der Opposition gegen die Verfassung.

       Der Untote Glámur ist geschickt. Er intrigierte in verschiedenen Gewändern und Gestalten gegen den Helden.

      Zwar haben die Konservativen die Exekutive eingebüsst. Aber anderswo sind sie noch an der Macht. Sie stellten die meisten Richterinnen am Obersten Gericht. Und dieses verneint schliesslich die Legitimität des ganzen Verfassungsreferendums, teilweise aufgrund absurder Argumente.

      So sagen die Richter etwa, dass der Abstimmungszettel nicht richtig gefaltet gewesen und damit das Stimmgeheimnis nicht gewahrt gewesen sei. Die Demokratie-Aktivistinnen rund um den Piraten McCarthy haben Dutzende von Erklärungen und auch Verschwörungstheorien parat, weshalb das Gericht das Referendum als ungültig erklärte.

      Sabotage des Verfassungsprozesses

      Es ist 2 Uhr nachts, an diesem schicksalhaften 28. März. Ein Sitzungszimmer im Althing, dem isländischen Parlament, am Kirkjutorg in Reykjavik. Traktandum: Ratifizierung der Verfassung. Stundenlang haben Sozialdemokratinnen, Konservative, Grüne, Progressive und Unabhängige über das Schicksal des mehrjährige Bürgerwerks verhandelt. Und befinden sich in einer Pattsituation. Das Resultat: Der Verfassungsentwurf wird weder angenommen noch abgelehnt.

      Stattdessen haben 25 gegen 23 Stimmen entschieden, den gesamten Verfassungsprozess komplett umzukrempeln. 36 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Oder sind einfach nach Hause gegangen.

      Der Verfassungsvorschlag muss neuerdings eine Zweidrittelmehrheit des Parlaments erringen – vor und nach den Wahlen. Ausserdem soll in einem neuen Referendum abgestimmt werden. Mit einem hohen Quorum. Mindestens 40 Prozent aller Isländer müssten ein Ja einlegen.

      Weshalb die Premierministerin Jóhanna Sigurðardóttir ihr eigenes Projekt torpedieren liess, ist für die unterstützenden Piraten bis heute nicht nachvollziehbar. Ihre Vermutung: Sigurðardóttir hatte von der Zermürbungstaktik der Bürgerlichen die Schnauze voll. Ihre Kräfte waren aufgebraucht, sie kümmerte sich nur noch um die Aufräumarbeiten. Einen Monat nach der Sitzungsnacht standen die nächsten Wahlen an. Und Sigurðardóttir wusste bereits, dass sie verlieren würde.

      Glámur


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