Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen. Raimund Philipp

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Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen - Raimund Philipp


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von Fetischverhältnissen definiert. Das Wissen, dass die Menschen wohl schon seit Urzeiten an »übersinnliche Kräfte und Mächte« geglaubt haben – zumindest seit dem Mittelpaläolithikum lässt sich dieser »Glaube durch Artefakte« mehr oder minder präzise belegen (vgl. u.a. Müller-Karpe 2005, S. 15) -, ist nichts Neues. Allenthalben, es mangelte an einer theoretischen Fundierung. Dieses unstrukturierte Wissen hob Robert Kurz mit der Theorie der Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen auf eine abstrakt-allgemeine theoretische Ebene und entwickelte damit Kriterien, die es ermöglichen, jede Epoche der Menschheitsgeschichte zu analysieren (dazu weiter unten).

      Schon in früheren Schriften geht Kurz auf die besonderen Beziehungsstrukturen vormoderner und moderner Gesellschaftsformationen ein, so meines Wissens zum ersten Mal 1993 in Subjektlose Herrschaft. Zur Überwindung einer verkürzten Gesellschaftskritik (Kurz 2004d). Dort heißt es:

      „Es wäre eine eigene Aufgabe, die historische Abfolge und Ausdifferenzierung von Fetisch-Systemen zu untersuchen. Die Geschichte wird unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr übergreifend als ‚Geschichte von Klassenkämpfen‘ bestimmt (wie es noch dem Erkenntnisstand des ‚Kommunistischen Manifests‘ entspricht), sondern als ‚Geschichte von Fetischverhältnissen‘. Die Klassenkämpfe (und andere Formen sozialer Auseinandersetzung) verschwinden dadurch natürlich nicht, aber sie werden herabgesetzt zu einer Binnenkategorie von etwas Übergeordnetem, nämlich der subjektlosen Fetisch-Konstitution und ihren jeweiligen Codierungen bzw. Funktionsgesetzen. Die in der Gestalt des Kapitals zur gesellschaftlichen Reproduktionsform gewordene Warenform ist dann die letzte und höchste, den Raum der Subjektivität gegenüber der ersten Natur am weitesten hinausschiebende Fetischform“ (ebd., 184; Hervorh. Kurz).

      Eine erste systematische Darstellung erfuhr die Theorie der Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen in seinem dreiteiligen Fragment Geschichte als Aporie. Vorläufige Thesen zur Auseinandersetzung um die Historizität von Fetischverhältnissen (Kurz 2006, 2006a, 2007). Fortgeführt wurde sie in einigen Kapiteln in dem oben schon erwähnten Essay Geld ohne Wert. Diese Theorie als radikale Kritik am modernen warenproduzierenden System schließt die Abspaltungskritik, die Subjektkritik (und demgemäß die Herrschaftskritik; RGP) und die Aufklärungskritik als „unverzichtbare Einheit [ein], keines der Momente ist ohne das andere möglich“ (Kurz 2004c, S. 112). Dadurch, dass die Geschichte der Menschheit als »Geschichte von Fetischverhältnissen« aufgefasst wird, eröffnet sich ein vollkommen neuer Zugang, die einzelnen Epochen – um im herrschenden Sprachgebrauch zu bleiben: die so genannte Vorgeschichte (inklusive eines so genannten Urkommunismus, die Antike, die Feudalgesellschaft und die Moderne) – unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten.

      „Wie die gewöhnliche Einteilung der Geschichte in Antike, Mittelalter und Neuzeit (der man sich aus Verständigungsgründen kaum entziehen kann) rein formal und völlig beliebig ist, denn auch schon die Antike und das Mittelalter hatten ihre eigene Antike bzw. ihr eigenes Mittelalter und waren ihre eigene Moderne (…). Es ist, als würde man die Vorgeschichte als ‚posttierisch‘, die Antike als ‚postprähistorisch‘, das Mittelalter als ‚postantik‘ und die Moderne als ‚postmittelalterlich‘ bezeichnen“ (Kurz 2014, S. 63; Hervorh. Kurz).

      Die traditionelle Einteilung der Geschichte in Epochen oder Perioden (ein von Le Goff bevorzugter Begriff; vgl. Le Goff 2014) verschleiert das Wesentliche: Der Kampf der neuen gegen die alten »Fetischverhältnisse« ist ein langwieriger Prozess, der sich eben nicht an einem noch so bedeutsamen Geschichtsdatum festmachen lässt. Ins Auge gefasst werden müssen nicht nur der »Stoffwechselprozess mit der Natur« (Marx) sondern auch die „verschiedene[n] gleichursprüngliche[n] Momente der Reproduktion“, wie die sozialen Beziehungen, kulturell-symbolische Formen, Reflexionsformen, Geschlechterverhältnisse etc. (vgl. Kurz 2007, S. 1f.).

      Dass diese methodische Vorgehensweise nicht einfach ist, ergibt sich aus dem prozesshaften Charakter des Kampfes des Alten gegen das Neue. Z. B. ist gerade die Analyse des „vor-chinesischen“ Neolithikums mit Schwierigkeiten behaftet. Zwar kann der »Stoffwechselprozess mit der Natur« (Jagd, Fischfang, Anbau von Getreide, Herstellung von nützlichen Gegenständen etc.) die sozialen Beziehungen (u.a. »blutsverwandtschaftliche Verhältnisse«, die »Organisation in Clans, Stämmen«), die »Entstehung von Herrschaftsverhältnissen«, die »kulturell-symbolischen Formen« (Skulpturen, die gottähnliche und/oder anthropomorphe Wesen darstellen, rituelle Gefäße usw.) und das »Geschlechterverhältnis« (z.B. der »Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat«) durch archäologische Artefakte bis zu einem gewissen Grad rekonstruiert werden. Da es keine schriftlichen Zeugnisse aus dem Neolithikum gibt, lassen sich Reflexionsformen nur spekulativ erahnen. Insgesamt muss festgehalten werden, dass wir annähernd ein ungefähres Bild von den Daseins- und Lebensverhältnissen der neolithischen Menschen erzeugen können, aber:

      „Wir befinden uns immer schon im Kontext des modernen Geschichtsbegriffs (selbst noch bei dessen Negation); und wir können nicht aus unserem historischen Standort hinausspringen, wir können die Vergangenheit nicht mit den Augen der vergangenen Menschen betrachten (und natürlich auch nicht der künftigen)“ (Kurz 2006, S. 5).

      Was wir aber von unserem heutigen Standpunkt aus können, ist die Vergangenheit kritisch zu reflektieren. Dies lässt sich mit der kohärenten und konsistenten Theorie der Geschichte als Geschichte von Fetischverhältnissen weitaus treffender bewerkstelligen als mit den vom Aufklärungsdenken beeinflussten handelsüblichen geschichtsphilosophischen Ansätzen, wie noch ausführlich zu zeigen sein wird.

      Wenn der Grundgedanke wahr ist, dass die bisherige Geschichte der Menschheit eine »Geschichte von Fetischverhältnissen« war und noch ist, wofür es in der bürgerlichen wie auch in der marxistisch angehauchten Literatur hinreichend Belege gibt, auch wenn der Begriff »Fetischverhältnis« dort nicht auftaucht, dann stellt sich allein die Frage, welche Entwicklung und Ausformung diese »Fetischverhältnisse« im Laufe der einzelnen Geschichtsperioden erfahren haben.

      Eine erste große Einteilung bezieht sich auf die grundlegende Differenz zwischen den »vormodernen« und den modernen »Fetischverhältnissen«. In der Vormoderne konstituierte das »transzendente göttliche Prinzip«, also der »Glaube an übersinnliche Kräfte und Mächte«, Sozietäten, in denen objektivierte Daseins- und Lebensverhältnisse herrschten, die von den Menschen bewußtlos hervorgebracht wurden, d.h., „unter dem Diktat eines blinden, verselbständigten, inhaltsfremden und realmetaphysischen Regelsystems“ (Kurz 2012, S. 72). In der Moderne wurde dieses »transzendente Prinzip« transformiert, d.h., die »Transzendenz« wurde durch das transzendentale Prinzip der Verwertung des Werts überwunden – Wertvergesellschaftung statt »Übersinnlichkeitsvergesellschaftung«.

      Es kann davon ausgegangen werden, dass sich spätestens seit dem Neolithikum in allen Teilen der Welt »religiös konstituierte Sozietäten« entwickelt haben, die je nach Kontinent, dort je nach kulturellen Ausprägungen, bedingt durch verschiedene Faktoren, wie z.B. Umwelt, Klima, etc. je spezifische Entwicklungen und Ausformungen angenommen haben. »Die Gemeinsamkeit der vormodernen Sozietäten besteht in der Existenz von Fetischverhältnissen«, die »Differenz in der unterschiedlichen Ausformung«, ob diese nun marginal waren oder nicht, bedarf einer konkreten Untersuchung.

      In der einschlägigen Literatur über die so genannte Vorgeschichte der Menschheit, hier dem „vor-chinesischen“ Neolithikum, wird der Begriff »Fetischverhältnis« nicht verwendet, allenfalls taucht das Wort »Fetisch« auf, um damit ein »sakrales Artefakt« zu bezeichnen. Zwar gehen die Sinologen mehr oder weniger ausführlich auf den »Glauben an übersinnliche Kräfte und Mächte« ein, auf die Bedeutung und Rolle, die z.B. »Animismus«, »Schamanismus«, die »Gottheiten« »shangdi« und »tian« etc. gespielt haben, aber sie sehen in diesem »Glauben« nur einen Faktor neben anderen Faktoren, der/die das Leben der Menschen und deren soziale Entwicklung bestimmte. Dass der »Glaube« an ein »transzendentes göttliches Prinzip«, das eine Sozietät »religiös« konstituierte und damit die Daseins- und Lebensverhältnisse objektiv beherrscht, also eine »Realmetaphysik« hervorbringt, wobei diese »Fetischverhältnisse« zu einer »apriorischen Matrix« erstarren, die nicht mehr hinterfragt wird – auf diesen Trichter kommen sie nicht, denn es ermangelt ihnen an einer


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