Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen. Raimund Philipp

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Die Geschichte Chinas als Geschichte von Fetischverhältnissen - Raimund Philipp


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vorhanden ist, allerdings nicht nur bei diesen. Vielleicht lässt sich dieser oder jener dazu hinreißen, diesen Theorieansatz auf einen konkreten Untersuchungsgegenstand anzuwenden.

      Die unbestreitbare Qualität dieser Theorie besteht darin, dass ihr Urheber abstrakt-allgemeine Thesen oder Kriterien entwickelt hat, die es ermöglichen, die Besonderheiten von »vormodernen Sozietäten« einer bestimmten Zivilisation analysieren zu können. Die Bedingung ist, dass das historische Material in seiner Eigenlogik ernst genommen wird (vgl. Kurz 2006, S. 6), denn:

      „Das historische Material hat seine sperrige Eigenqualität, die nicht missachtet oder gewaltsam nach Maßgabe des eigenen Interesses gemodelt werden darf. Es verbietet sich also ein bloß deduktives, ontologisches, ableitungs- und identitätslogisches Vorgehen. Der Begriff einer ‚Geschichte von Fetischverhältnissen‘ enthält ja gerade (…) eine Kritik an diesem Vorgehen der klassischen modernen Geschichtsphilosophie“ (ebd.; Hervorh. Kurz).

      Was haben nun vormoderne Sozietäten und die moderne Gesellschaftsformation gemein und worin unterscheiden sie sich? Der Unterschied zwischen der Vormoderne einschließlich der so genannten „Prähistorie“ und der Moderne besteht darin, dass in der ersten das »transzendente göttliche Prinzip«, also der »Glaube an übersinnliche Kräfte und Mächte«, die Daseins- und Lebensverhältnisse der Menschen objektiv bestimmt und beherrscht, während in der Moderne das transzendentale Prinzip das herrschende ist, also die Verwertung des Werts das Leben der Menschen totalitär reglementiert. Die Gemeinsamkeit besteht in der bewußtlosen Ausformung von »Fetischverhältnissen«:

      „Die vorkapitalistischen Formationen insgesamt werden also mit dem Kapitalismus zu einer »Vorgeschichte« bewusstlos konstituierter Verhältnisse und Formbestimmungen zusammengeschlossen, sodass mit dem von allen Fetischformen befreiten Kommunismus die menschliche Geschichte nicht etwa endet, sondern als eine bewusst gemachte überhaupt erst beginnt.

      Die Andersheit der vorkapitalistischen, religiös konstituierten Fetischverhältnisse wird aber eben erst begreifbar, wenn klar geworden ist, dass es sich bei den religiösen Formen keineswegs um eine subjektive »Glaubensfrage« gehandelt hat, wozu die Religion erst in der Moderne gemacht und damit für die reale Reproduktion irrelevant wurde, sondern um eine objektivierte hierarchische Weltordnung, die auch den »Stoffwechselprozess mit der Natur« und die sozialen Beziehungen der Menschen bestimmte; analog zur »Ökonomie« des modernen Kapitalfetischs, aber in ganz anderen Formen der Verselbständigung.

      Das gilt dann auch für das Naturverständnis ebenso wie für den Werkzeuggebrauch oder das, was in diesem Kontext in moderner Terminologie als »Produktivkraftentwicklung« bezeichnet wird. Eine solche Begriffsbildung wäre in den vorkapitalistischen Sozietäten ebenfalls unmöglich gewesen, weil für sie so etwas wie »Produktion« oder Input-Output-Relationen keinerlei eigenständige Bedeutung haben konnten. Das lässt eine moderne Betrachtung regelmäßig außer Acht, indem sie die eigenen Kategorien auf ganz andere Verhältnisse projiziert. Der reale Ablauf von Umformungen der Naturstoffe, etwa dass man für den Transport oder das Heben von Steinen bestimmte Techniken benötigt, wird dann projektiv mit modernen gesellschaftlichen Abstraktionen (»Arbeit«, »Produktion«, »Produktivkräfte« etc.) belegt, ohne den damit nicht begreifbaren Hintergrund der ganz anderen Verfasstheit zu berücksichtigen“ (Kurz 2012, S. 72f.; Hervorh. Kurz).

      In „Die Richtigstellung der Namen“ wird gezeigt, dass erstens auch Vertreter des akademischen Establishments „Bauchschmerzen“ bei der Rückprojektion moderner Kategorien auf die Vormoderne bekommen bzw. haben, so u.a. der Althistoriker Christian Meier (vgl. Meier 1970). Zweitens wird aber auch deutlich, dass trotz aller Kritik eine „terminologische Unsicherheit“ (Kurz 2012, S. 107) herrscht, denn auch Meier hat keine fundierte Theorie vorzuweisen. Kurz kommt in Bezug auf andere Autoren zu dem Schluß:

      „Es fehlt die radikale theoretische Kritik an den modernen Kategorien, die allein als Katalysator für eine begriffliche Bestimmung der früheren Sozietäten dienen könnte. Deshalb hängt die aufscheinende Differenz in der Luft“ (ebd.).

      In dem Kapitel Zur Kritik der Rückprojektion moderner Kategorien auf die Vormoderne wird die transhistorische Verwendung moderner Kategorien auf die so genannte „Vorgeschichte“ des „Vor-China“ und der drei Dynastien kritisiert. Dabei erfolgt der Rückgriff auf die in den Theorie- und den Grundkategorien-Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse.

      Da der Schwerpunkt der westlichen sinologischen Forschung auf den angelsächsischen Raum übergegangen ist – vornehmlich den USA -, werden die von den Autoren verwendeten modernen Kategorien an Hand englischer Lexika überprüft. Hätten die Verfasser der einschlägigen Abhandlungen auch nur einen Blick in ein englisches etymologisches Wörterbuch oder noch simpler in das Oxford Dictionary and Usage Guide to the English language (nachfolgend zit. als Weiner/Waite) geworfen, hätte ihre Formulierung bei der Bezeichnung bestimmter Begriffe und Sachverhalte anders ausfallen müssen (siehe z.B. die Wortwahl von Yan/Wang weiter oben; dazu im entsprechenden Kapitel ausführlich). Was immer die hier nur exemplarisch genannten Autoren – zu ihnen gesellen sich noch eine Vielzahl anderer – geritten haben mag, sie müssen sich mindestens den Vorwurf der ideologischen Verbrämung gefallen lassen. Aber damit ist der Fall nicht erledigt. Deshalb ist es notwendig, die ideologische Rückprojektion moderner Kategorien aus den konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen des neolithischen „Vor-China“ herzuleiten, so wie dies in dem Kapitel über Die Grundkategorien des modernen warenproduzierenden Systems und ihre abgeleiteten Funktionselemente im Allgemeinen geschehen ist. Dass dabei nicht jede der nahezu unzähligen Veröffentlichungen über diesen Zeitraum durchforstet und zitiert werden kann, leuchtet wohl ein. Das ist aber auch nicht notwendig. Schon deshalb nicht, weil in jeder dieser Publikationen mehr oder weniger häufig moderne Kategorien rückprojiziert und ontologisch auf das „vorchinesische“ Neolithikum angewandt werden. Die tiefere Ursache für diese transhistorischen Rückprojektionen liegt im globalen Siegeszug des Aufklärungsdenkens, wie Robert Kurz treffend feststellt:

      „Das Aufklärungsdenken, zu seiner Zeit noch als distinkte und unerhörte, teils sogar geradezu schwer verständliche Denkweise


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