Der Kaiser. Geoffrey Parker
Читать онлайн книгу.dem ritterlichen Ehrenkodex war Karl dazu verpflichtet, die Herolde unversehrt ziehen zu lassen; die Diplomaten jedoch, die von den Mitgliedern der Liga gesandt worden waren, ließ er allesamt gefangen nehmen. Man gab ihnen kaum genug Zeit, ihre Habseligkeiten zusammenzuraffen, bevor man sie in einer entwürdigenden Prozession aus der Stadt hinaus und an den Ort ihrer Haft verbrachte. Die Eskorte bildeten »fünfzig Reiter und einhundert Mann von Seiner Majestät Leibwache, als ob wir Verbrecher wären, und aus allen Fenstern und Türen hingen die Stadtleute und gafften«. Vier Monate lang (»die sich wie vier Jahre anfühlten«) blieben sie in Gefangenschaft – so lange, bis Karl eine Bestätigung darüber erhalten hatte, dass seine eigenen Botschafter nicht zu Schaden gekommen waren. Auch die jungen französischen Prinzen bestrafte er, indem er sie von einer kargen und unbehaglichen Burg zur nächsten schaffen ließ, bis sie endlich in der abgeschiedenen, im Bergland der Provinz Segovia gelegenen Festung von Pedraza de la Sierra ankamen. Er nahm ihnen auch ihre französischen Bediensteten (mehr als hundert von diesen ließ Karl nach Barcelona marschieren, wo sie auf den kaiserlichen Galeeren Dienst tun mussten). Mehr noch: »Da wir nun herausgefordert worden sind, können wir nichts tun als unsere Ehre und Reputation aufrechterhalten und unsere Untertanen und Territorien erhalten und schützen, wie es unsere Pflicht ist«: Deshalb wurde auf kaiserlichen Befehl jeglicher Handel mit England und Frankreich eingestellt, und sämtliche Untertanen der beiden Königreiche hatten Spanien binnen vierzig Tagen zu verlassen.84
Seinen Bruder erinnerte Karl daran, dass die neue Entwicklung »Euch ganz ebenso betrifft wie mich«. Er erwartete von Ferdinand daher, dass auch er »den Königen von England und Frankreich einen Herold schickt, der ihnen seine Herausforderung überbringt«. Außerdem sollte Ferdinand »die Kurfürsten und anderen Reichsfürsten davon überzeugen, dies ebenfalls zu tun, denn da wir als ihr Oberhaupt eine Herausforderung erhalten haben, betrifft sie dies gleichermaßen, weil sie die wichtigsten Glieder des Reiches sind«. Ein solches Vorgehen, schloss Karl optimistisch, »wird unsere Reputation bei unseren Freunden stärken, unter unseren Feinden aber Schreck und Staunen verbreiten«.85
Ein solcher Optimismus war nicht fehl am Platz. Schließlich war, darauf hat Maurizio Arfaioli hingewiesen, Franz’ Entscheidung für eine weitere Invasion Italiens »bloß ein Mittel und kein Zweck«: Solange »seine beiden Söhne nicht nach Hause zurückgekehrt waren, konnte es so etwas wie eine wirkliche französische Italienpolitik überhaupt nicht geben«. Deshalb zielte Lautrecs Kampagne vor allem darauf ab, »seinem Herrn die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem Kaiser aus einer zumindest etwas weniger unvorteilhaften Position heraus zu ermöglichen«. Der König und seine Verbündeten hatten – ganz richtig – vermutet, dass Karl wesentlich empfindlicher auf eine Bedrohung Neapels reagieren würde (das er geerbt hatte), als ihn der Verlust Mailands zu bewegen schien (das er erst kürzlich erworben hatte). Also beschlossen sie, »den Kampf um die Lombardei im Königreich Neapel auszutragen«.86 Im Januar 1528 verließ Lautrec die Lombardei und führte »über 50 000 Mann – eine beinahe unglaubliche Zahl – [gen Süden], wobei sich seine Armee auf eine Fläche von beinahe 150 Quadratkilometern verteilte«. Die Truppen des Kaisers, die sich weit in der Unterzahl befanden, zogen sich zurück, bis sie im Königreich Neapel nur noch eine Handvoll befestigter Städte hielten, woraufhin Lautrec eine Belagerung der Hauptstadt von Land her begann und Dorias Galeeren vor der Küste kreuzten, um Neapel von Nachschub und Verstärkung abzuschneiden. Im April unternahm Hugo de Moncada, der nach dem Tod Lannoys der neue Vizekönig von Neapel geworden war, einen verzweifelten Ausfall mit allen ihm zur Verfügung stehenden Schiffen und versuchte, die französische Blockade zu durchbrechen, doch in »der grausamsten und blutigsten Seeschlacht unserer Tage« kamen er selbst und 1400 seiner Leute ums Leben, ohne etwas gegen die Franzosen ausrichten zu können.87 Innerhalb von nur drei Jahren hatte der Kaiser all die Vorteile, die ihm der Sieg bei Pavia beschert hatte, restlos wieder verspielt.
Ein Duell, das niemals stattfand
Auch wenn Monsieur de Beersel seinen früheren Schützling vielleicht dafür getadelt hätte, dass dieser »die Ernte nicht eingefahren« hatte: Karls Bemühungen, seine Verluste durch ein einziges Duell wieder wettzumachen, hätte Beersel wohl mit Beifall aufgenommen. Im März 1528 wiederholte der Kaiser seine persönliche Herausforderung an Franz erneut, bei diesem dritten Mal in einem Brief an den französischen Botschafter (der zwar immer noch festgehalten wurde, mit der Außenwelt jedoch Kontakt halten durfte): »Euer Herr, der König von Frankreich, hat sich auf eine nichtswürdige und niederträchtige Weise verhalten, als er die Versprechen nicht einhielt, die er mir im Vertrag von Madrid gegeben hat, und wenn er mir in diesem Punkt zu widersprechen wünscht, so will ich meine Meinung gern in einem persönlichen Zweikampf vertreten.«88 Diesmal konnte Franz die Nachricht nicht einfach ignorieren und verfasste seinerseits eine wütende Gegenherausforderung. »Sollte es Eure Absicht gewesen sein«, warnte er Karl, »uns irgendetwas vorzuwerfen, was für einen auf seine Ehre bedachten Mann von Stand nicht statthaft wäre, so hättet Ihr dreist gelogen. Deshalb schreibt uns von nun an keine unnötige Zeile mehr: Nennt nur den Ort, und wir bringen die Waffen mit.« Bis dahin müsse jedoch Schluss sein mit Sticheleien. »Ich will hoffen«, beschloss Franz seine Herausforderung, »dass Ihr wie ein Edelmann antworten werdet und nicht wie ein Advokat: auf dem Duellplatz und nicht bloß auf Papier.«89
Karl hatte jedoch nicht die Absicht, fortan auf die »Waffen« Papier und Tinte zu verzichten – ganz im Gegenteil ließ er den gesamten Briefwechsel mit Franz als ein kleines Büchlein veröffentlichen –, umso weniger, als er gerade zum ersten Mal deutliche Popularität bei seinen spanischen Untertanen erfuhr. Wie Gattinara bemerkte, »spornte die Aufforderung zum Duell, so unbedacht sie auch ausgesprochen war, Aragonier, Valencianer und Katalanen dazu an, mit Leidenschaft ihren Cäsar zu unterstützen und zu ihrer Rache [an den Franzosen] zu kommen«. Salinas berichtete, Karls ursprüngliche Antwort an die Herolde habe »allen Anwesenden sehr gefallen« und jedermann sei »so froh über diese Herausforderung, als hätte er selbst sie erhalten«.90 Der Kaiser wusste sich eine solche Stimmung zunutze zu machen, indem er die in Valladolid zusammengetretenen Cortes von Kastilien dazu brachte, beträchtliche neue Steuersummen zu bewilligen – mit denen er einen weiteren Italienfeldzug finanzieren wollte – sowie Philipp als dem neuen Fürsten von Asturien Gefolgschaft zu schwören (diesen Titel führte traditionell der kastilische Thronfolger). Außerdem unternahm Karl nun den zeremoniellen Besuch in Valencia, den er neun Jahre zuvor vermieden hatte, und ließ bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal »die Kaiserin als Regentin von ganz Kastilien« zurück. Bei seiner Rückkehr traf er in Monzón mit den Cortes von Aragón zusammen und konnte auch sie zur Bewilligung neuer Steuern bewegen.91
Bevor er auf die Herausforderung durch Franz antwortete, unternahm Karl den ungewöhnlichen Schritt, seine führenden Untertanen und Minister in Sachen Etikette zu konsultieren: Mit den Aragoniern konnte er in Monzón persönlich sprechen, die Kastilier befragte er brieflich. Der kastilische Kronrat äußerte sich dahingehend, dass »derlei Herausforderungen [zum Duell] nach dem Gesetz Gottes und dem Naturrecht verboten« seien. Der Kaiser als ranghöchster Herrscher der Christenheit solle daher mit gutem Beispiel vorangehen und Duellen aus dem Weg gehen. Wie die Räte vorhersagten, würden auch, »selbst wenn Ihr diese Herausforderung annehmt, Krieg und Zwietracht nicht aufhören, sondern (wie wir glauben) eher noch zunehmen«. Die Kaiserin, die erst kürzlich ihre Tochter María zur Welt gebracht hatte, versuchte ebenfalls, ihren Gatten von seinem Vorhaben abzubringen – »aus Angst, Euer Majestät könnte damit tatsächlich Ernst machen« und sie selbst als Witwe zurücklassen.92 Die Adligen, Prälaten und Stadtoberen von Kastilien dankten Karl allesamt brav »für die Ehre, die Ihr mir erweist, indem Ihr um meinen Rat für Euer weiteres Vorgehen bittet«. Dann jedoch äußerten manche Besorgnis darüber, dass Karl sein Leben aufs Spiel setzte, während sein Sohn und Nachfolger noch im Säuglingsalter war. Andere wiesen darauf hin, dass – wie der Herzog von Infantado es ausdrückte – »der ritterliche Ehrenkodex auch für Fürsten gilt, so mächtig sie auch sein mögen, und nicht nur für einfache Ritter wie uns«. Das bedeutete, dass ein Eidbrecher wie Franz überhaupt nicht das Recht hatte, eine Herausforderung auszusprechen. Der Kaiser solle sie deshalb einfach ignorieren.93
Die rapide Verschlechterung der kaiserlichen Position in Italien brachte Karl dazu, diesen Rat zu verwerfen und