Handlungsfelder des Bildungsmanagements. Ulrich Muller
Читать онлайн книгу.Element ist allerdings genauso ausschlaggebend: Techniken werden nie isoliert im luftleeren Raum angewandt, sondern immer in einem konkreten Umfeld von Personen und Gruppen mit jeweils unterschiedlichen, zum Teil nicht miteinander kompatiblen Befindlichkeiten und möglicherweise kollidierenden Interessen. Nur wer dieses möglicherweise auch turbulente gruppendynamische Umfeld einigermaßen beherrscht, zumindest seine Selbstsicherheit nicht verliert, dem wird es möglich sein, seine sozialtechnische Kompetenz professionell von der Theorie in die Praxis zu transportieren.
Drittens, Techniken sind Instrumente, die immer den Menschen als Vehikel benötigen. Ob eine Technik ihre volle Wirkmöglichkeit entfaltet oder nicht, hängt nicht zuletzt davon ab, in welchem Geist sie angewendet wird. Man kann, rein technisch gesehen, perfekt moderieren oder auch visualisieren, aber eine solche Kühle und Distanz denen gegenüber ausstrahlen, die man eigentlich mobilisieren soll, dass diese das persönliche Desinteresse oder das Fehlen von persönlicher Wertschätzung unmittelbar spüren und mit entsprechender Enthaltsamkeit reagieren, was das geforderte Mitmachen angeht. Wem gewisse Persönlichkeitsmerkmale mangeln, die soziales Verhalten ausmachen, der kann diese Defizite auch nicht mit noch so vielen und noch so perfektionierten Techniken kompensieren.
Gesucht: Sozialkompetenz
Es gibt keine absolute Trennschärfe zwischen Sozialtechniken und Sozialverhalten. Stattdessen prägen Grauzonen und Übergänge das Bild. Trotzdem: Sozialtechniken lernen und sie auf dem Trainings-Trockendock ausüben, das kann jeder; Sozialverhalten gehört insofern einer anderen Kategorie an, als das Soziale am Verhalten nicht einseitig definiert werden kann. Entscheidend dafür, ob ein Verhalten sozial oder eben unsozial ist, bestimmt nicht derjenige, der sich verhält, sondern wie das jeweilige Verhalten beim Adressaten ankommt, wie es erlebt wird und was es beim Adressaten auslöst. Die dazu notwendigen Informationen können nur über entsprechende Rückmeldungen gewonnen werden. Insofern sind Feedback und der angemessene Umgang damit ein substantieller Bestandteil von Sozialverhalten – im Unterschied zu Sozialtechniken.
Es gibt eine ganze Reihe von gruppenorientierten Methoden und Verfahren zur Überprüfung und Einübung von Sozialverhalten mithilfe von Feedback: Gruppendynamik, Gruppenanalyse, Themenzentrierte Interaktion, systemische Familientherapie, um nur einige zu nennen. Eines ist allen Verfahren, so unterschiedlich sie auch sein mögen, gemeinsam: Keinem ist bisher die allgemeine wissenschaftliche und damit auch gesellschaftliche Reputation zuteil geworden - im Gegensatz zum Beispiel zur Medizin. Alle diese psychologischen, psycho- oder gruppendynamischen Verfahren werden von den nicht eingeweihten „normalen Menschen“ als mehr oder weniger exotisch eingestuft. Und weil die generelle Akzeptanz (noch) fehlt, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Anbieter einen Streit der Schulen liefern, um sich in einem insgesamt noch wenig stabilen Gesamtfeld durch individuelle Prominenz die jeweils bessere Ausgangssituation zu verschaffen.
Ich möchte an dieser Stelle von einer speziellen Bewertung der einzelnen Verfahren absehen. Zumal mir als Betroffener durchaus mit Recht Befangenheit unterstellt werden könnte. Ganz generell scheinen mir die folgenden Aspekte wesentlich:
Erstens, ohne Gruppe geht nichts. Ein wie auch immer geartetes Gruppenverfahren ist meines Erachtens zur Entwicklung von Sozialkompetenz unverzichtbar, soweit man mir zustimmt, dass Feedback als konstituierender Bestandteil zur Entwicklung von Sozialkompetenz betrachtet werden muss. Das soziale Ich kann sich nur im Umfeld und Zusammenspiel mit anderen überprüfen und weiterentwickeln.
Zweitens, wie gut ein Training im Endeffekt für den Teilnehmer ist, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, die sich in ihrem Einfluss weder voneinander isolieren, noch genau messen lassen, z.B. (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
■ Die direkte Wirkkraft des Verfahrens
■ Die Verfassung des Teilnehmers
■ Die Qualifikation des Trainers
■ Die Zusammensetzung und die Qualität der Gruppe
So kann ein suboptimales Verfahren durchaus zu einem insgesamt hervorragenden Ergebnis für den Teilnehmer führen, wenn die anderen Faktoren stimmen. Und das beste Verfahren nützt wenig, wenn einer der anderen Faktoren nicht stimmt.
Drittens, aus Mangel an eindeutigen objektiven Kriterien führt wohl kein Weg daran vorbei, sich mit einem Mix subjektiver Ansätze zu behelfen:
■ Gezielt Erkundungen bei verschiedenen Menschen einholen, die entweder direkte Erfahrungen als Teilnehmer gewonnen haben, oder von Menschen, die Teilnehmer vor und nach ihrer Teilnahme erlebt haben.
■ Sich auf subjektive Empfehlungen einlassen, nicht darauf hoffen, dass ein Seminarprospekt eine bessere Qualität haben könnte als ein Urlaubskatalog.
■ Sich durch Mehrfachempfehlungen nach mehreren Seiten hin absichern, damit man weder der Euphorie eines Einzelnen auf den Leim geht, die sehr wohl durch ein geschicktes Design vom Trainer erzeugt werden kann, aber nichts über die mittel- und längerfristige Wirkkraft des Trainings aussagt, oder umgekehrt, dass man Leidtragender einer schlechten Beurteilung eines eigentlich guten Seminars wird, die sehr wohl darauf beruhen kann, dass der Teilnehmer mit Themen in Berührung kam, die ihm im Moment nicht in sein Selbstkonzept passen, die aber sehr wohl in ihm etwas in Gang gebracht haben können, was halt seine Zeit braucht, um sich tatsächlich auswirken zu können.
■ Sich darüber im Klaren sein, dass schlussendlich ein nicht unerhebliches persönliches Restrisiko bleibt, das nur durch persönliches Engagement in der Veranstaltung selbst gemindert werden kann – mit dem Bestreben, die Veranstaltung zur eigenen zu machen und das Beste für sich herauszuholen.
Flucht in den Wunderglauben, oder: Training als Beruhigungspille
Es war immer so und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern: Menschen lieben – zumindest vorübergehend – die Flucht in die Abhängigkeit und glauben nur zu gerne an Wunder. Lotto und Spielbanken leben schon Jahrhunderte davon. Warum soll es gerade im Psychomarkt anders sein? Umso mehr gilt dies in Zeiten, in denen alles immer unübersichtlicher und immer weniger berechenbar wird.
Es gab und gibt immer wieder Effekt heischende Inszenierungen von selbsternannten Gurus – professionell gestaltet nach allen Regeln des Marketingmix: Großveranstaltungen, Bücher, Videos, CDs, Fernsehauftritte usw. mit dem ausdrücklichen Anspruch, einen wichtigen Beitrag zur Verhaltensänderung zu leisten. Für den Moment sei es uns gleichgültig, ob es um das Thema Sozialverhalten, Persönlichkeitsentwicklung oder auch um körperliche Fitness geht, die sich unmittelbar auf die seelische Verfassung auswirken sollen. Was soll man davon halten? Sind diese Inszenierungen minimal ungefährlich, weil folgenlos – und damit nur ärgerlich oder muss man davor warnen, wenn auch, wie beim Rauchen, mit wenig Aussicht auf Erfolg, weil riskante Wirkungen nicht ausgeschlossen werden können?
Auf der einen Seite liegt es in der Verantwortung der Teilnehmer, selbst zu entscheiden, wofür sie ihr Geld ausgeben. Wunderglaube und Lottospielen sind nicht strafbar. Heißt es doch schon bei GOETHE: „Wie glücklich würde sich der Affe schätzen, könnt’ er nur auch ins Lotto setzen“. Und warum nicht der Aufforderung Folge leisten: Mach’ dir ein paar schöne Stunden und geh’ ins Kino, respektive zur Fortbildung. Einfach mal abschalten und für ein paar Stunden wenigstens in eine künstliche Welt eintauchen, aus der man sowieso schnell genug wiedererwacht oder herausgerissen wird. Stellt sich darüber hinaus ein Placebo-Effekt ein – umso besser! Soweit die positive, zumindest aber unschädliche Seite.
Diejenigen allerdings, die solche Vorstellungen im angeblichen Unternehmensinteresse für Mitarbeiter einkaufen oder beschicken, möchte ich weniger schonend behandeln: Entweder sie setzen gezielt Sedative oder sie sind bodenlos dumm. Und da bleibt wahrscheinlich nur der uralte Trost: Gegen die Dummheit kämpfen selbst die Götter vergebens.
5.3 Allgemein übergreifende Aspekte – unabhängig von der Art der Maßnahme
Wer (Weiter-)Bildung nicht als eine geplante Folgenlosigkeit versteht, sondern mit nachhaltiger Wirksamkeit gestalten will, muss prinzipiell zwei Aspekte berücksichtigen: einerseits die generellen Rahmenbedingungen, in denen wir uns alles befinden, andererseits aber auch die grundsätzliche innere Programmierung von durchschnittlichen Menschen – beides